Rabbiner Ahrens ist einer der Initiatoren der Erklärung "Den Willen unseres Vaters im Himmel tun". Die Erklärung ist bahnbrechend, findet Rabbiner Jehoschua Ahrens. „Das hatten wir nicht erwartet“, sagt verblüfft Oberkirchenrätin Barbara Rudolph. Dialog führt zusammen, meint treffend Pater Elias H. Füllenbach. Ein Gespräch.
Oberkirchenrätin: Gerade hat der Vatikan zum 50. Jahrestag von „Nostra aetate“, dem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, eine Erklärung für die Intensivierung des christlich-jüdischen Dialogs herausgebracht. Taufrisch ist auch die Erklärung orthodoxer Rabbiner. Herr Ahrens, Sie gehören zu den Initiatoren der Erklärung. Was mich als erstes interessiert: Wie kam es zu dieser Erklärung?
Rabbiner: Bisher haben sich eher nichtorthodoxe Rabbiner im christlich-jüdischen Dialog engagiert. Die Erklärung „Dabru Emet“ aus dem Jahr 2.000, die Erklärung von jüdischen Rabbinern, die auf die Erneuerung in der christlichen Theologie seit der Shoah eingeht und zum ersten Mal eine Reaktion der Würdigung dieser Entwicklung im Christentum von jüdischer Seite fordert, wurde kaum von orthodoxer Seite unterstützt. Unsere Erklärung ist eine Antwort auf „Nostra aetate“ vor 50 Jahren, aber auch eine klare Antwort zu den anti-christlichen Taten in Israel: Solche Taten haben keinerlei Grundlage im Judentum.
Außerdem fanden wir es an der Zeit, siebzig Jahre nach der Shoah und nach zweitausend Jahren der Feindschaft und Entfremdung neu zu beginnen. Wir haben es in der Erklärung so genannt: Wir möchten den Willen unseres Vaters im Himmel erfüllen und die Hand annehmen, die uns unsere christlichen Brüder und Schwestern gereicht haben. Juden und Christen müssen als Partner zusammenarbeiten und sich den ethischen Herausforderungen unserer Zeit stellen.
Oberkirchenrätin: Sie wollen explizit auch eine theologische Erklärung abgeben?
Rabbiner: Ja, die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Zum Beispiel die Judenmission: Sie steht heute nicht mehr zwischen uns. Dieses Thema ist im christlichen Mainstream erledigt. Wenn wir in unserer Erklärung „To do the Will of Our Father in Heaven“ nun sagen, das Christentum ist gewollt, wissen wir, dass das im orthodoxen Judentum teils kritisch gehört wird. Wir möchten die Diskussion eröffnen, auch innerhalb des Judentums, und gerade innerhalb der Orthodoxie. Wir sagen, trotz theologischer Unterschiede: Das Christentum ist weder ein Zufall noch ein Unfall, sondern ein göttlich gewolltes Geschenk an die Völker. Wir haben die Thora und den Monotheismus in die Welt gebracht, die Christen haben G’tt und unsere heilige Schrift in der Welt verbreitet, deshalb können wir nicht mehr von Götzendienst in Verbindung mit dem Christentum sprechen.
Oberkirchenrätin: Wer gehört zu den Erstunterzeichnern?
Rabbiner: Unserer Gruppe gehören namhafte Rabbiner aus allen Richtungen innerhalb der Orthodoxie an, darunter Rabbiner Schlomo Riskin, Oberrabbiner von Efrat und einer der weltweit exponiertesten modern-orthodoxen Rabbiner, Rabbiner Marc Angel, ein führender Rabbiner in den USA, ehemals Vorsitzender der amerikanischen Rabbinerkonferenz, Rabbiner Samuel Sirat, stellvertretender Vorsitzender der europäischen Rabbinerkonferenz und ehemals Oberrabbiner von Frankreich, und Rabbiner David Rosen, zuständig für interreligiösen Dialog bei verschiedenen Organisationen und Behörden, beispielsweise dem israelischen Oberrabbinat und ehemals Oberrabbiner von Irland. Insgesamt sind wir 25.
Oberkirchenrätin: Was ich spannend finde: Es ist eine Stimme aus der Mitte. In der frühen Phase des Dialogs waren wir froh, überhaupt jüdische Partner zu finden, die zum Gespräch bereit waren. Außerdem ist die neue Erklärung mehr als „Dabru Emet“. Neu ist, dass aus der jüdischen Tradition heraus nach einer Antwort gesucht wird, warum jüdische Gesprächspartner den Dialog mit Christinnen und Christen suchen sollen. Das hatten wir bisher nicht erwartet. Wir haben ja bisher die Haltung: Wir lernen vom Judentum, wenn auch heute leider nicht mit dem theologischen Drive wie zur Zeit unseres wegweisenden Synodalbeschlusses „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ 1980.
Rabbiner: Nun, ich finde wir müssen über schöne gemeinsame Feste und schöne gemeinsame Fotos hinauskommen. Jetzt ist der Wendepunkt gekommen. Wir sollten neue Schritte gehen – auf Augenhöhe, ohne Angst und ohne uns gegenseitig zu delegitimieren. Ich glaube auch, die Grenzen stehen heute nicht mehr zwischen jüdisch und christlich, sondern zwischen religiös und säkular, zwischen Werten oder ohne. Ich sage es mal provokativ: Religiöse Christen sind heute erstmals in der Minderheit. Wir sind es dagegen gewohnt, in der Minderheit zu sein. Jetzt sind wir beide Minderheit und versuchen, G’tt in die Gesellschaft zu tragen. Wir teilen das Ziel: die Erlösung der Welt.
Oberkirchenrätin: So steht es in unserer Kirchenordnung. Wir haben geschrieben: Mit Israel hoffen wir auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Ich möchte noch einen weiteren Aspekt anfügen: Mir ist wichtig, Religion aus der Unterstellung herauszuholen, nur Gewalt und Fundamentalismus zu produzieren. Im Gegenteil: Gemeinsam sind wir eine große positive Kraft und können unserer Gesellschaft gut tun.
Bei der Begegnung im Vatikan haben jüdische Vertreter die Erklärung der orthodoxen Rabbiner überreicht. Was heißt das für die katholische Kirche, Herr Füllenbach?
Pater: Vor 50 Jahren gab es prominente orthodoxe Rabbiner, die den Bemühungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht trauen wollten. Sie befürchteten, dass die katholische Kirche nur nach neuen Wegen der Judenmission suche und lehnten daher jedes offizielle Gespräch über religiöse Themen ab. Inzwischen ist aber ein tiefes Vertrauen gewachsen. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass der Vatikan in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend Kontakt gesucht hat zu den unterschiedlichsten religiösen Gruppen innerhalb des Judentums, zu den Liberalen genauso wie zu den Orthodoxen. So wurden nach und nach die Vorbehalte auf jüdischer Seite abgebaut. Hier zeigt sich, wie sehr Dialog verändern und zusammenführen kann.
Oberkirchenrätin: Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere von Nostra aetate und der neuen Erklärung dazu?
Pater: Die neue Erklärung würdigt die Erfolgsgeschichte von Nostra aetate. Die Kirche vollzog damals eine entscheidende Wende, weil die Konzilsväter erstmals das gemeinsame Erbe zwischen Juden und Christen und die bleibende Verbundenheit Gottes mit dem jüdischen Volk betonten, den traditionellen Gottesmordvorwurf verwarfen und alle Manifestationen des Antisemitismus strikt ablehnten. Die heutige Erklärung macht nun nochmals deutlich, dass der Dialog mit den Juden für Christen „etwas ganz besonderes“ ist und sich daher auch vom Gespräch mit anderen Religionen maßgeblich unterscheidet.
Wie von Ihnen, Herr Ahrens, schon angesprochen: Die institutionelle Judenmission wird in der neuen Erklärung grundsätzlich abgelehnt. Manche haben sich auch eine Rücknahme der von Papst Benedikt verfassten Karfreitagsfürbitte gewünscht; diese ist zwar nicht erfolgt, aber in den neuen Erklärung wird trotzdem sehr deutlich, dass ein Gebet „pro conversione Judaeorum“ unsinnig ist.
Papst Franziskus ist der christlich-jüdische Dialog ein großes Herzensanliegen, schon vor seiner Wahl. Bei der Tagung des International Council of Christians and Jews im vergangenen Juni in Rom nahm er sich beispielsweise für jeden einzelnen Teilnehmer Zeit zum Gespräch – einige Mitglieder des Ausschusses Christen und Juden durften das ja miterleben. Schon mit dieser Geste hat Franziskus ein deutliches Zeichen gesetzt, das nun mit der vatikanischen Erklärung bekräftigt wird.
In ihr werden übrigens einige Ziele des christlich-jüdischen Dialogs formuliert, die sich auch in der bemerkenswerten Erklärung der orthodoxen Rabbiner wiederfinden. Die vatikanische Erklärung betont, dass Gerechtigkeit und Friede im Dialog zu einer konkreten Kooperation führen sollten. Die Rabbiner nennen das in ihrem Text sehr schön die gemeinsame „Mission“ von Juden und Christen, eine „aktive Rolle“ in der Welt zu übernehmen. Also, packen wir es gemeinsam an!
Rabbiner: Mir hat gefallen, dass Sie, Frau Rudolph, eben von der Stimme aus der Mitte, und Sie, Herr Füllenbach, vom konkreten Handeln gesprochen haben. Wir sind auch eine Stimme der Vernunft und wir als Religion stehen auch für Pragmatismus. Wir stehen nicht gegen die Moderne, sondern mit den Gegebenheiten, in denen wir leben.
Oberkirchenrätin: Die Erklärung wird uns miteinander in die Arbeit stürzen. Sie öffnet uns die Tür, auch für theologische Gespräche. Wir kommen wirklich in eine neue Phase im christlich-jüdischen Dialog. Was heißt das: echte Partner sein? Welche unterschiedlichen und möglicherweise gleichen theologischen Zugänge haben wir? Um noch einmal auf ihre Erklärung zurückzukommen: Ich finde die Kombination spannend: Theologisch neu sagen, welche Verheißungen wir teilen und zugleich gesellschaftlich etwas konkret tun.
Rabbiner: Genau das wünschen auch wir uns. Wir möchten, dass weitere Schritte folgen - sowohl theologisch, als auch praktisch. Zu den praktischen Themen zähle ich die Flüchtlingsfrage, aber auch den Antisemitismus. Obwohl unser Dialog so gut ist wie noch nie, scheinen wir es verpasst zu haben, die Basis mitzunehmen. Und so haben wir weiter mit Antisemitismus zu tun.
Oberkirchenrätin: Das Erlernen einer anderen Haltung ist nicht leicht, aber ich bestehe auch darauf: Antisemitismus verletzt nicht nur Juden, sondern auch unser Land, unsere Werte und die Kirchen. Und genauso entschieden meine ich: Das Aufeinanderzugehen und Miteinandertun stärken unsere Gesellschaft, unser Land und unsere Religionsgemeinschaften.
Rabbiner Jehoschua Ahrens, geboren 1978 in Erlenbach bei Frankfurt / Main, arbeitete als Rabbiner in Sofia, Zürich und Düsseldorf. Im Rahmen seiner Doktorarbeit ist er derzeit mit einem Forschungsauftrag für den Schweizerischen Nationalfonds beschäftigt.
Pater Elias H. Füllenbach, geboren 1977, ist Prior des Dominikaner-Konventes Düsseldorf, und u.a. Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und katholisches Gastmitglied im Ausschuss Christen und Juden der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Oberkirchenrätin Barbara Rudolph leitet die Ökumene-Abteilung der Evangelischen Kirche im Rheinland.