Gott segnete sie (die Menschen) und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. (1. Mose 1,28)
Wohl selten hat ein Bibelvers solches Aufsehen erregt wie diese Formulierung des dominium terrae (wörtlich: Beherrschung der Erde). Und zwar deshalb, weil der amerikanische Theologe Lynn White 1968 behauptet hatte, dieser Vers sei die Hauptursache der ökologischen Krise. Die hebräische Bibel saß plötzlich auf der ökologischen Anklagebank. Da war es verständlich, dass sich die Theologen zunächst in Sachen Ökologie zu verteidigen versuchten. Ich selbst veröffentlichte 1972 Thesen zur Auslegung und Wirkungsgeschichte des dominium terrae, die dem Nachweis dienen sollten, dass weder der biblische Text noch seine Auslegungsgeschichte eine Schuldzuschreibung von solcher Einseitigkeit und Massivität rechtfertigten (1).
In der Folgezeit entwickelte sich eine Diskussion über die Intensität des Gewaltanteils in den beiden Verben, die in der Lutherübersetzung mit "herrschen" und "untertan machen" wiedergegeben werden. Die eine Linie der Auslegung versteht "herrschen" eher aggressiv im Sinne von niedertreten/ niederzwingen, die andere Linie plädiert für ein Verständnis als begleiten/mit Autorität führen/managen. Für beide Deutungen gibt es gute Belege. Dabei spielt es eine Rolle, ob das Bild des altorientalischen Königs, des Hirten oder des Bauern hinter den Verben steckt. Vertreter beider Auslegungslinien sind sich darüber einig, dass es sich auf jeden Fall um sorgsame Herrschaft handelt, nicht um schrankenlose Verfügungsgewalt des Menschen über die Tiere und die Erde. Die aggressiven Elemente in den Verben gehen wohl auf den Umstand zurück, dass die Israeliten in der Zeit der endgültigen Verschriftlichung von 1. Mose 1 in harter Konkurrenz mit den Tieren leben mussten. So wird in 3. Mose 26,22 als Strafmaßnahme Gottes angedroht: Ich lasse auf euch die wilden Tiere los, die euer Land entvölkern, euer Vieh vernichten und euch an Zahl so verringern, dass eure Wege veröden.
Man hat aus diesen Diskussionen gelernt, dass ein sachgerechtes Verständnis der "Herrschaft" des Menschen nur zu erreichen ist, wenn die Zusammenhänge gesehen werden, in denen von ihr die Rede ist. Da ist zuerst einmal, dass das dominium nicht die Tötung und den Verzehr von Tieren umfasst, da der Mensch nach 1. Mose 1,29 f. als Vegetarier konzipiert ist. Für den nachsintflutlichen Menschen, der in der Gewaltwelt lebt (1. Mose 6,13), gilt dies allerdings nicht mehr (1. Mose 9,2 f.) - aber auch da werden der Gewalt durch das Blut-Tabu Schranken gesetzt (1. Mose 9,4-6). Weiter ist zu beachten, dass das dominium unter dem Mantel des göttlichen Segens steht (1. Mose 1,28), was sich schwer mit einer zu aggressiven Deutung verträgt (2).
Ein noch nicht genannter Zusammenhang ist für die ökologische Diskussion und die sich entwickelnde Umweltarbeit der Kirchen besonders wichtig geworden: die Verbindung zur zweiten Schöpfungserzählung in 1. Mose 2-3. Dort lautet ja der Auftrag an den Menschen, den Garten zu bebauen und zu bewahren/behüten (1. Mose 2,15). Diese Formel ist schon bald als die legitime Auslegung des dominium verstanden worden. Wolfgang Huber hat das auf den Punkt gebracht: "Eindrücklich ist die Formel, weil sie Fortschritt und Erhaltung, progressio und conservatio unmittelbar verbindet: … Bebauen, um das Anvertraute zu bewahren; Bewahren, um einen Ort des Bauens zu behalten." (3) Damit hat die Umweltarbeit der Kirchen eine Zeit lang gut gelebt. Dann geschah etwas, was viele heute gern rückgängig machen würden. Bei der Titelformulierung des "Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" wurde nur ein Element der Formel aufgenommen - und zwar gerade das Bewahren. Da ich an dem Prozess bis hin zu der Europäischen Versammlung in Basel beteiligt war, muss ich mir heute selber vorwerfen, nicht laut genug die Stimme erhoben zu haben.
Biblisch-theologisch: Ist es sachgerecht, dass man unter dem "Garten" die ganze Schöpfung versteht? Wohl kaum, denn die Schöpfung umfasst in der Bibel Himmel und Erde und der Himmel kann ja dem Bebauen und Bewahren des Menschen nicht zugänglich sein. Außerdem ist übersehen worden, dass es sich bei 1. Mose 2 um einen Text "vor dem Fall" handelt. Wenn am Ende von 1. Mose 3 der heutige Weltzustand erreicht ist, dann hat der Mensch zwar nach wie vor den Auftrag, "den Ackerboden zu bebauen" - das sorgende "Bewahren/ Bewachen" wird aber den Engeln aufgetragen! Und dieses Bewachen des Gartens durch die Engel "trennt den endgültig auf sein gemindertes Leben festgelegten, d. h. von der Komplementarität (einander ergänzenden Zusammenhang) von Bebauen und Bewahren ausgeschlossenen Menschen von Eden", so Jürgen Ebach. Ist es angesichts dieser Zusammenhänge ratsam, ausgerechnet die paradiesische Zustandsbeschreibung von 1. Mose 2,15 zum Leitfaden ökologischer Ethik zu machen?
Systematisch-theologisch: Die Formel "Bebauen und Bewahren" leidet unter der mangelnden Unterscheidung zwischen "Natur" und "Schöpfung". Ich nehme Wolfgang Hubers Vorschlag auf: "Der Begriff der Natur meint theologisch die noch nicht erlöste Welt, die von Gott zur Erlösung bestimmt und bewahrt ist. Menschliches Handeln an der Natur ist damit als Mitwirkung an dieser Bestimmung und Bewahrung zu begreifen." Es müsste also genauer von der "Bewahrung der Natur im Wissen um ihren Charakter als Schöpfung" gesprochen werden. Hinzu kommt, dass das Bewahren der Welt in der klassischen Dogmatik allein und ausschließlich Handeln Gottes ist. "Bewahrung der Schöpfung" durch den Menschen wäre also Verwechslung von Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf. "Als Gegenmittel gegen die ökologische Bedrohung der Gegenwart wird eben die Selbstüberhebung des Menschen aufgeboten, der diese Bedrohung selbst entspringt." (4) Nun wird kaum einer der Verteidiger/innen der "Bewahrung der Schöpfung" solche Konsequenzen im Sinn gehabt haben, aber dass hier eine offene Flanke ist, lässt sich nicht leugnen. 1. Mose 1 und 2 sind eben - mit Jürgen Ebach - utopische Texte, in denen Ursprung und Ziel der Schöpfung zusammenfallen. Sie zeigen uns, was "keinen Ort mehr hat" und was "noch keinen Ort hat". Sie sind Verheißungen.
Zuletzt noch ein fast banales Argument: Angesichts der fortgeschrittenen Zerstörung der Umwelt scheint es zu harmlos, den übrig gebliebenen Bestand nur "bewahren" zu wollen. Fazit: Die Formel ist einerseits theologisch zu vollmundig, andererseits empirisch zu bescheiden. Wie kommen wir weiter?
Bei mir verstärkt sich seit einigen Jahren die Vermutung, dass die biblischen Texte von der Zukunft der Schöpfung uns neue Impulse bringen können. Und hier vor allem Römer 8,18 ff., die große Hoffnungsansage des Paulus, die sich auch auf die außermenschliche Schöpfung bezieht. Ihr Spitzensatz ist (V. 21): Denn auch die Schöpfung selbst wird befreit werden aus der Sklaverei des Verderbens zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes.
Die Ausleger/innen sind sich heute ziemlich einig, dass die hier verheißene Befreiung der außermenschlichen Schöpfung gilt. Diese Freiheit wird realisiert sein in jener zukünftigen Welt ohne Tränen, ohne Tod, ohne Leid, Geschrei und Schmerz (Apokalypse 21,1 f.), in der Welt von Jesaja 11 und 65, wo wilde und zahme Tiere friedlich mit den Menschen zusammenleben. Je nachdem, wie heil- und hoffnungslos die gegenwärtige Welt erfahren wird, gibt es eine schmale Kontinuität zwischen Gegenwart und endzeitlicher Zukunft oder nur totalen Abbruch und eine neue Schöpfung. In Jesaja wird mit friedlicher Verwandlung gerechnet. In der Apokalypse herrscht reine Diskontinuität: die Welt muss ganz neu geschaffen werden. Römer 8 ist ein Text, der zwischen diesen beiden Polen vermittelt. Paulus zeigt "die Macht der Hoffnung, die das neue Leben im alten hat".
Aus welcher Sklaverei wird die Schöpfung befreit? Paulus benutzt in V.21 das griechische Wort phthora, das normalerweise mit Vergänglichkeit übersetzt wird. Phthora bezeichnet aber in der griechischen Übersetzung von 1. Mose 6,11-13 mehrfach das Verderben der Schöpfung. Konkretisiert wird das mit den Worten: "Die Erde ist angefüllt mit Gewalt von den Menschen her." Es geht also um Befreiung von der Gewalt, die auch nach der großen Flut auf Erden geblieben ist. Diese Befreiung aus dem Leiden unter der Gewalt begründet nicht nur die Hoffnung; sie bildet auch den Ausgangspunkt dessen, was von uns Menschen gefordert werden kann. Die Schöpfung wartet nämlich auf die "Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes". Und Kinder Gottes sind wir Christinnen und Christen, weil wir den Geist Gottes empfangen haben (V.23). Das muss Folgen haben. Ernst Käsemann: "So erschien dem Paulus die Christenheit, welche die Kindschaft bezeugt …, als die große Verheißung für alle Kreatur bis in die außermenschlichen Bereiche hinein."
Gewiss: Nicht die geistbegabten Menschen befreien die Schöpfung. Das tut Gott allein. Aber die Schöpfung blickt auf uns. An der Art, wie wir mit ihrem - und unserem - Leiden umgehen, zeigt sich der Schöpfung, wie es um ihre Hoffnung bestellt ist. Wenn wir das Leiden der Schöpfung vermehren, dann sinkt die Hoffnung der Schöpfung. Wenn wir dagegen in Solidarität mit Natur und Mitmensch Leiden verringern, dann erwacht die Hoffnung der Schöpfung zu neuem Leben. In dieser Weise würdigt uns Gott, an der Befreiung der Schöpfung teilzuhaben. Verminderung der menschlichen Gewalt gegen die Schöpfung ist demnach die bescheidene, aber wichtige Aufgabe der Christinnen und Christen. Dieser Vorschlag einer endzeitlichen Begründung der Schöpfungsethik ist keine vermessene ökologische Erlösungslehre. Gott ist und bleibt das alleinige Subjekt der Befreiung der Schöpfung. Die Aufgabe der geisterfüllten Menschen ist realistisch als Minimierung der Gewalt zu beschreiben.
Minimierung der Gewalt ist eine Handlungsanweisung, die sich gut in unsere Lebenswelt hineindeklinieren lässt. Gewaltausübung des Menschen gegen die Natur ist ein Grunddatum in den Programmen der neuzeitlichen Wissenschaft und Technik (Descartes, Francis Bacon). Und: Der vom Menschen verursachte Energieumsatz ist ein gutes Maß für die Gewalt gegenüber der Natur. Auf diese Weise lässt sich eine biblisch orientierte Schöpfungsethik bis ins Technische hinein buchstabieren.
Ob sich aus diesen Überlegungen ein neuer Impuls für uns ergeben könnte - ein Impuls, der sowohl ein ökologisch verträglich verstandenes dominium terrae als auch das "Bebauen und Bewahren" aufnimmt und gesamtbiblisch verankert?
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(1) Gerhard Liedke, Von der Ausbeutung zur Kooperation, in: E. U. v. Weizsäcker (Hg.), Humanökologie und Umweltschutz, Stuttgart-München 1972, 36-65. Udo Krolzik untermauerte das für die Wirkungsgeschichte: Umweltkrise - Folge des Christentums?, Stuttgart-Berlin 1980.
(2) Über den unmittelbaren Kontext hinaus ist das dominium im Zusammenhang aller anderen Schöpfungstexte des Ersten und Zweiten Testamentes zu verstehen: Psalm 8; Psalm 104; Sprüche 8; Jesaja 11; Johannes 1,1-18; Gleichnisse und weisheitliche Lehrreden Jesu, Römer 8,18-27; Apokalypse 21 … Das ist inzwischen vielfach geschehen: Odil Hannes Steck, Welt und Umwelt, Suttgart-Berlin-Köln-Mainz 1978; Liedke, Im Bauch des Fisches. Ökologische Theologie, Stuttgart 1988; Jürgen Ebach, Ursprung und Ziel, Neukirchen-Vluyn 1986; Karl Löning und Erich Zenger, Als Anfang schuf Gott, Düsseldorf, 1997; Othmar Keel und Silvia Schroer, Schöpfung, Freiburg (Schweiz)-Göttingen 2002.
(3) Wolfgang Huber, Konflikt und Konsens, München 1990, 202.
(4) Huber, a.a.O., 190; vgl. auch Ulrich H. J. Körtner, Solange die Erde steht, Hannover 1997, 33-51.