Die zeitgenössischen Zitate stammen aus:
Matthias Zeidler (Hg.), Der Raum der Kirche. Perspektiven aus Theologie, Architektur und Gemeinde. Symposion 01 der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche vom 25./26. August 2001, Horw 2002
„Wie nun Gott den Gläubigen das gemeinsame Gebet in seinem Wort gebietet, so müssen auch öffentliche Kirchengebäude da sein, die zum Vollzug dieser Gebete bestimmt sind. Wer sich nun weigert, dort mit dem Volke Gottes zusammen gemeinsam zu beten, der kann nicht missbräuchlich den Vorwand für sich in Anspruch nehmen, er gehe eben in sein Kämmerlein, um dem Gebot des Herrn zu gehorchen! Denn er verheißt doch, wenn zwei oder drei sich in seinem Namen versammelten und etwas erbeteten, so wolle er es tun (Matthäus 18, 19.20), und damit bezeugt er, dass er die öffentlich gesprochenen Gebete keineswegs verachtet. Nur muss dabei alles Gepränge und alles Haschen nach menschlichem Ruhm wegbleiben, und es muss lautere, wahre Andacht herrschen, die im Verborgenen des Herzens wohnt.
Dies ist also sicherlich der rechte Gebrauch der Kirchengebäude. Dann müssen wir uns aber auf der anderen Seite hüten, sie nicht etwa, wie man das vor einigen Jahrhunderten angefangen hat, für Gottes eigentliche Wohnstätten zu halten, in denen er sein Ohr näher zu uns kommen ließe; auch sollen wir ihnen nicht irgendeine verborgene Heiligkeit andichten, die unser Gebet bei Gott geheiligter machte. Denn wir sind doch selbst Gottes wahre Tempel, und deshalb müssen wir in uns selber beten, wenn wir Gott in seinem heiligen Tempel anrufen wollen!“ (Institutio III, 20, 30)
„Wie wir aber glauben, dass Gott nicht wohne ,in Tempeln von Händen gemacht’, so wissen wir doch aus Gottes Wort und aus den heiligen Gebräuchen, dass die Gott und seiner Anbetung gewidmeten Stätten nicht gewöhnliche, sondern heilige Orte sind (scimus loca Deo cultuique eius dedicata, non esse prophana sed sacra) und wer sich darin aufhält, soll sich ehrerbietig und geziemend benehmen, da er ja an heiligem Orte ist, vor Gottes und seiner heiligen Engel Angesicht.“
Schleiermacher fordert, dass „der Raum für die religiösen Zusammenkünfte einen anderen Charakter habe, als die Räume, die dem Geschäfts- oder geselligen Leben gewidmet sind“. Als weiteres Kriterium für den Kirchbau ist bei Schleiermacher zu finden:
„Wir müssen jede Kirche ansehen als ein Werk, welches die christliche Gemeinde aufgeführet habe und zwar in der wichtigsten Angelegenheit, und da verlangen wir, daß Freude sich darin zu Tage lege.“
(Hinweis in: Franziska Mihram, Not macht erfinderisch … Zur Entdeckung des Kirchenbaus als Thema der Theologie, in: Matthias Zeidler (Hg.), Der Raum der Kirche, a.a.O., 53-67, hier 60)
Die beste Studie über die kirchliche Architektur der erste drei Jahrhunderte der Christenheit stammt meines Erachtens von Lloyd Michael Wright: The Social Setting of Christian Worship. Eine seiner Hauptthesen ist, dass man ursprünglich einen domus ecclesiae, ein Haus der Gemeinde, hatte. Und erst im dritten Jahrhundert kam man zum Begriff des domus Dei, Haus Gottes. Ich meine, dass wir in unserem Jahrhundert den ersten Christen näher sind als den Christen des Mittelalters oder der klassizistischen Zeit des 18. Jahrhunderts.
Wir stehen in einer polytheistischen Zeit. Und es wäre nötig, dass ein Kirchenbau ein Haus der Gemeinde ist, das heisst ein Haus, wo Ihre Gemeinde sich wohl fühlt. Aber als Kirche, das heisst nicht um von der Welt abgesondert zu sein, sondern als eine Kirche, die andere empfangen und ihnen helfen kann. Wenn eine Gemeinde sich in diesem Gebäude wohl fühlt, dann ist es gut. Und da kommt der Architekt als Künstler oder als Dichter ins Spiel. Ein Dichter ist für Liebespaare ein Mann, der die richtigen Worte gibt, um die Liebe auszudrücken. Und der gute Architekt drückt aus, was das Haus sein muss.“ (S. 79)
„Wir müssen uns nicht verabschieden vom Begriff des Hauses Gottes. Der steht im Neuen Testament und den wollen wir so ernst nehmen. Aber ich meine, es ist richtig, diesen Begriff so zu verstehen, dass er nicht einen Ort bezeichnet, wo Gott wohnt, wo er auch wohnt, wenn keine Menschen da sind, die zu ihm beten und die ihn hören wollen. Sondern, der dort wohnt, wenn Menschen zusammenkommen, um vor ihm beisammen zu sein. Und das, denke ich, gibt uns im praktischen Umgang mit diesen Räumen eine grosse Freiheit. Dass wir in der Tat danach fragen dürfen, was ermöglicht uns als Gemeinde in optimaler Weise, eine solche Gemeinde zu sein oder es noch besser zu werden.“ (S. 81)
„[…] Was heisst reformiert? Ich meine, dass es doch einige Hinweise gibt, die zeigen, was typisch reformiert ist. Ich bemerke in vielen Büchern über Liturgie oder auch über kirchliche Architektur den Ausdruck ‚liturgische Ebene’. Aber was ist ‚liturgische Ebene’? Ich meine, für die Reformierten ist die liturgische Ebene der ganze Raum, wo die Gemeinde versammelt ist, und nicht nur ein Teil des Kirchengebäudes.
Schön zu sehen ist das in Chȇne-Pȃquier in der Waadt – das ist die schönste der vier ovalen Kirchen in der Schweiz. Sie stammt aus dem 17. Jahrhundert und hat vier Fenster. Und als Medaillons in den vier Fenstern gibt es die Symbole der vier Evangelisten, genau so wie in einem Chor einer mittelalterlichen Kirche. Es gibt meines Wissens keinen Text, der das auslegt. Aber ich meine, damit soll gesagt werden: Die Gemeinde, die in diesem Raum den Gottesdienst feiert, bildet einen Chor. Sie ist also eine priesterliche Gemeinde. Das ist das erste.
Zweitens: Das wichtigste Bild in einem evangelischen Gottesdienst sind die Menschen und ihre Gesichter. Man muss also die Gesichter der anderen Gemeindeglieder auch sehen können, nicht nur ihren Rücken oder ihre Haare. Und drittens, zur Kunst: Es ist erstaunlich, festzustellen, dass es doch Texte gibt, Briefe von Leuten, die die grossen reformierten Kirchen in Südfrankreich vor der Aufhebung des Ediktes von Nantes besucht haben.
Und die sagen, wie beispielsweise die reformierte Grosskirche in Montpellier schön war, weil es unter anderem einen grossen Bogen gab. Aber der Bogen war nicht in der Breite, sondern in der Länge, und eine, die einzige reformierte Kirche der damaligen Zeit, die jetzt immer noch existiert, ist in Le Collet-de-Dèze in den Cevennen. Und da gibt es einen Bogen in der Länge. Es ist erstaunlich zu bemerken, wie der Bogen in der Länge das Gefühl der Gemeinschaft erleben lässt, während ein Bogen in der Breite die Gemeinschaft teilt.“ (S. 77f.)
Wie gehen wir damit um, dass auf der einen Seite das Bedürfnis nach Sakralräumen da ist und auf der anderen Seite die Notwendigkeit, die Kirchen zu öffnen, Mehrzweckräume zu machen, verschiedene Funktionen zu erfüllen? […] Es ist eine Frage, die ich auch stelle vor dem Hintergrund zum Beispiel eines jüngst ausgetragenen Wettbewerbes für den Umbau der reformierten Kirche in Oberwil / Baselland, wo sich in der Ausschreibung genau diese Problematik spiegelt, indem es dort heisst, der Raum solle klar als reformierte Kirche erkennbar sein.
Gleichzeitig soll er Konzertraum sein, er soll die Möglichkeit geben, dass man dort auch ein Mahl einnimmt. Ganz viele Funktionen soll der Raum erfüllen und gleichzeitig eben als reformierter Kirchenraum erkennbar sein. […] ich meine, dass die Zeiten der Grabenkämpfe vorbei sind, wo man das eine gegen das andere [Sakralbau gegen Mehrzweckraum] ausspielt und sagt: ‚Das ist die einzig wahre Kirche.’ Heute, denke ich, ist es angebrachter, Lösungen zu finden, die beides ermöglichen, aber da ist die Frage: Wie sehen diese Lösungen aus, könnten sie aussehen?“ (S. 75f.)
Zu den Personen:
Bernard Reymond, Dr., em. Professor für Praktische Theologie an der evangelisch-theologischen Fakultät in Lausanne.
Johannes Stückelberger, Dr., PD, Privatdozent für Neuere Kunstgeschichte, Universität Basel und Universität Freiburg, Schweiz.
Matthias Zeidler, Dr., reformierter Pfarrer in Erlach / BE, Privatdozent für systematische Theologie an der theologischen Fakultät Bern.