Für den Monat März wurde aus den Beständen der Johannes a Lasco Bibliothek ein interessantes Objekt ausgewählt.
Isaak Habrecht: Kurtze und gründliche Beschreibung/ Eines Newen ungewohnlichen Sterns/ oder Cometen [...]. Straßburg 1618 (3 unpag. Blätter + 70 Seiten). Format 19,4 x 17 cm. Sammlung von Druckschriften des 17. Jahrhunderts Sign.: Hist. 4° 0900 M (4)
Abb. 1: Einband
Abb. 2: die Vorderseite
Abb. 3: Rückseite
Abb. 4: Titelblatt
Was sogleich auffällt, ist der Einband (s. Abb. 1). Material zum Einbinden von Drucken fiel früher in Bibliotheken selbst an, und zwar in Form mittelalterlicher Handschriften, die nicht mehr gebraucht wurden, sogenannte "Pergamentmakulatur". Wenn der Text einer solchen Handschrift nicht mehr lesbar oder von Interesse war, ließ sich der Beschreibstoff, das Pergament, noch immer verwenden. Dazu wurden die Seiten zerschnitten, um dann den Drucken als schützende Hülle zu dienen. In diesem Fall hat man auf der Vorderseite ein liturgisches Buch verwendet (s Abb. 2), für die Rückseite einen mittelalterlichen naturphilosophischen Traktat (s. Abb. 3). Die Abbildung zeigt eine in der Schriftart "Bastarda" geschriebene Kolumne aus einer zweispaltig beschriebenen Seite; der Text stammt aus "Von den Geheimnissen der Natur" (De secretis naturae) des Astrologen und Mediziners Michael Scotus (ca. 1180 bis ca. 1235). Auf Einband und Geschichte des Bandes wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen – sie sind Gegenstand künftiger Untersuchungen.
Der Titel gehört zu den Kometenschriften, die in unserem Band zahlreich vertreten sind. Der Autor, Isaak Habrecht (1589–1633), hatte in Medizin und Philosophie promoviert und bekleidete die Position des Leibarztes des Grafen Johann Reinhard I von Hanau-Lichtenberg. Über Himmelserscheinungen konnte er sich als Experte äußern, schon deshalb, weil Kenntnisse in Astronomie und Astrologie damals fester Bestandteil medizinischen Wissens waren. Interesse an Himmelserscheinungen wird Habrecht bereits vor Beginn seines Studiums entwickelt haben. Sein Vater, Isaak Habrecht (1544–1620), war einer der Erbauer der berühmten astronomischen Uhr im Straßburger Münster. Die Beschäftigung mit den Gestirnen und der Astronomie war ihm also bereits gleichsam in die Wiege gelegt.
Behandelt wird der große Komet, der Ende des Jahres 1618 im Sternbild Bootes, dem Bärenhüter, sichtbar geworden war. Das Titelblatt zeigt das Sternbild mit dem zu seiner Rechten stehenden Sternbild Corona (Krone) und den gewaltigen Kometen (s. Abb. 4).
Habrecht erweist sich in seiner Schrift als Kenner der zeitgenössischen Astronomie, er kennt Tycho Brahe und Johannes Kepler, um nur die bekanntesten zu nennen. Anders als man unter dem Einfluss des Aristoteles lange Zeit geglaubt hatte, galten Kometen für jemanden, der auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion seiner Zeit stand, im Jahre 1618 nicht mehr als Produkte irdischer Ausdünstungen, sondern als Objekte, die den Raum jenseits des Mondes durchzogen.
Dieweil dann die Cometen eine kleinere parallaxin haben als der Mon/ wie solches Tycho Brahe in seinem gantzen werck außführlich beweiset und darthut/ so bleibt unwidersprechlich war/ das die Cometen dern mehrerentheil/ ja alle/ die eigentlich Cometen heissen/ nicht im Lufft/ sonder im Himmel stehn unnd wandern/ das ist/ uber dem Mon biß zum Firmament und Gestirnten Himmel ihren Lauff verrichten mögen (S. 13).
Habrecht schloss sich der verbreiteten Meinung an, sie entstünden aus der feinen Himmelsmaterie unter Einwirkung von Planeten.
Exakte Beobachtung und die Kenntnis der einschlägigen zeitgenössischen astronomischen Literatur schlossen die Deutung des Kometen in einem "astrologischen" Horizont nicht aus. Freilich – für Habrecht bestand der Zusammenhang zwischen den Erscheinungen am Himmel und dem, was für die nähere Zukunft zu erwarten war, nicht so sehr in einer natürlichen Verbindung, sondern er war theologisch begründet. Die als bedrohlich empfundenen Kometen galten als Propheten, die von Gott an den Himmel gestellt wurden, um zur Buße aufzurufen und auf kommendes Unheil vorzubereiten. Gleich auf der Rückseite des Titels ist zu lesen:
Gott der Herr thut kein ding/ deß grund er nicht vor und ehe seinen Propheten eröffne. So dann ein Löw brüllet/ wer ist der nicht erschrecke? So nun Gott der Herr Redet/ wer will nicht Prophetieren?
Und so ist auch die Erscheinung des großen Kometen eingeordnet in die apokalyptischen Erwartungen der Zeit, die mit einem baldigen Ende dieser Welt rechnet. Die Erscheinung eines neuen Sterns, einer Supernova, im November 1572, die u.a. von Tycho Brahe als eine Veränderung in der Himmelsregion, d.h. als Ereignis oberhalb des Mondes, erkannt worden war, hatte nicht nur die gängige Auffassung ins Wanken gebracht, jenseits der irdischen Sphäre seien Veränderungen ausgeschlossen. Sie hatte jene endzeitlichen Ängste (und Hoffnungen) auch auf eine neue Grundlage gestellt, denn dieses gewaltige Ereignis wurde als unübersehbarer Hinweis gedeutet, dass mindestens eine tiefgreifende Veränderung der Welt bevorstünde.
Anfänglich soll uns als ein principium und Grund der gantzen Außlegung zugeben werden/ das Alte Newe Sternen/ und Cometen so innerhalb 46 Jahren/ das ist nach dem Newen Sternen deß 1572. Jahrs erschienen/ sich alle auff denselben richten. Dann er ist auß gemeinen Urtel der fürnemsten Sternkündiger/ für das gröste wunderzeichen vor dem Jüngstentag/ und vor der letsten Reformation der Welt gehalten worden/ hat aber bißhero sein vollkommene wirckung nicht erreicht (S. 60).
Der aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens hatte am Ende des Jahres 1618 tatsächlich reichlich Grund zur Sorge: Die Unruhen, die in Böhmen ausgebrochen waren, waren beängstigend. Damit lag Habrecht – und mit ihm viele andere Kometendeuter – alles andere als falsch. Denn aus den Unruhen entwickelte sich schließlich ein 30 Jahre währender Krieg, dessen Verheerungen alles bislang Dagewesene übertreffen sollte.
Dr. Michael Weichenhan
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