In Kürze:
Der Katholik Paul F. Knitter und der evangelische Theologe (Presbyterianer) John Hick, zwei der bekanntesten Vertreter einer pluralistischen Religionstheologie, haben eine christliche Theologie entwickelt, die das Gespräch mit anderen Religionen einschließt (zu anderen Vetretern einer Theologie der Religionen wie Reinhold Bernhardt und Percy Schmidt-Leukel, s. auf reformiert-info: >>> Theologie der Religionen u. >>> Wahrheit in Offenheit).
"Die Lampen sind verschieden, doch das Licht ist dasselbe." - Der Schlusssatz aus Hicks Buch "Gott und seine vielen Namen" (1980), fasst seine Theologie in einem Slogan zusammen. Der in reformierter Tradition verankerten radikalen Diastase zwischen Gott und Welt treu, hält Hicks Gott frei von der Vermischung mit irdischen Manifestationen. Die Inkarnation Gottes in Jesus Christus ist folglich eine Metapher. Jesus sei ein "völlig ausreichendes Modell wahrer Menschlichkeit in vollkommener Verbindung mit Gott".
Anders als Hicks setzt Knitter nicht bei der Gotteslehre ein, sondern bei der Verkündigung des Reiches Gottes und der Nachfolge. Zu fragen "Was ist Wahrheit?", störe den Dialog. Das Handeln an einer gerechteren Welt ist gefragt. Knitters befreiungstheologischer Entwurf sieht die Begegnung mit anderen Religionen nicht als Wert an sich, sondern im Dienst des Handels, das "gemeinsam auf die Stimmen der Leidenden und Unterdrückten" hört.
Der These, nur eine pluralistische Religionstheologie sei offen für einen Dialog der Religionen, hält Georg Plasger - in Anlehnung an die Theologie Karl Barths - entgegen: "Das Christentum vermittelt nicht das Heil, nie! Es bezeugt das Heil, das aber kommt von außen auf die Welt zu." Das Christentum kann "andere nicht vom Heil ausschließen, weil das nicht menschliche Aufgabe ist".
In guten Gesprächen mit Angehörigen anderer Religionen können Christen lernen "vom Reichtum Gottes, der auch außerhalb der Kirche wirkt".
von Prof. Dr. Georg Plasger
Zur Freiheit hat uns Christus befreit – so hat der Apostel Paulus im Galaterbrief den Christen seiner Zeit einzuschärfen und ins Herz zu schreiben versucht: Das Evangelium knechtet nicht, sondern spricht und macht frei. Freiheit, die dem Miteinander der Menschen dient und sie nicht unter das Joch einer Knechtschaft bringen möchte.
Es ist daher bezeichnend, dass sich die wichtigsten Vertreter pluralistischer Religionstheologien auch auf die Befreiungsdimension des Evangeliums beziehen und dies gerade in der pluralistischen Religionstheologie verortet sehen. Der Katholik Paul F. Knitter nennt sein wichtigstes auf Deutsch erschienenes Buch: „Horizonte der Befreiung. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Theologie der Religionen“[1]. Knitter versteht seinen eigenen theologischen Weg als Befreiung „von der nach meinen Gefühl unbegründeten Überheblichkeit christlicher Ansprüche“[2], er sieht in der Anerkennung anderer Religionen als legitime Heilswege einen „Zug frischer, befreiender Luft“[3].
In gleicher Weise ist der der evangelisch-reformierten Tradition entstammende John Hick zu vernehmen. Auch für ihn ist, ohne dass bei ihm der Begriff im Mittelpunkt steht, die pluralistische Religionstheologie eine Befreiung, weil sie einseitige und verfestigte Gottesbilder umstößt – die Inkarnation und damit die Behauptung, Gott selber sei Mensch geworden und zwar nur dort –, gehört nach Hick zu den Gott zu sehr festlegenden Dingen. Die pluralistische Religionstheologie befreit also sozusagen Gott vor falschen Festlegungen seitens der Menschen, so Hick.
Knitter und Hick sind die beiden wohl gegenwärtig einflussreichsten und bekanntesten Vertreter der pluralistischen Religionstheologie. Und um die pluralistischen Religionstheologien und deren kritische Würdigung soll es heute Abend gehen. Die pluralistischen Religionstheologien setzen ein mit der Beobachtung, dass es nicht nur das Christentum, sondern mehrere Religionen gibt. Und fragen danach: Was hat das für eine Bedeutung für den christlichen Glauben, für das Christentum? Neben Paul Knitter und John Hick gibt es weitere Theologen, auf die ich im Verlaufe heute noch hin und wieder zu sprechen komme: Percy Schmidt-Leukel und auch Reinhold Bernhardt gehören dazu; in weiterem Umfeld wohl auch noch Hans Küng. Aber ich werde heute besonders auf Hick und Knitter eingehen. Oft wird einfach von „der“ pluralistischen Religionstheologie gesprochen. Aber das ist zu einfach, Knitter und Hick beispielsweise sind nicht über einen Kamm zu scheren. Sie stimmen gleichwohl in vielen Dingen überein, auch das werden wir hören. Aber sie sind doch zwei ganz unterschiedliche Konzeptionen, die aus verschiedenen dogmengeschichtlichen Ansätzen kommen.
Bevor ich beide Entwürfe knapp vorstelle, will ich zunächst ihren Einsatz würdigen. Die pluralistischen Religionstheologien wie Hick und Knitter nehmen wahr, dass sich geschlossene Kultusräume in modernen Gesellschaften nicht mehr vorfinden: unsere Gesellschaften sind multikulturell und multireligiös. Es ist von daher danach zu fragen, wie sich das Christentum zu diesen anderen in ihrem Umfeld befindlichen Religionen verhält, wie es sie einschätzt, wie es sich selber angesichts der anderen Religionen wahrnimmt. Die Intention ist in allen Fällen, den Dialog zwischen Angehörigen verschiedener Religionen zu fördern und in Gang zu bringen, die Christenmenschen aus ihren lieb gewonnenen Schneckenhäusern heraus zu locken und sie zur Begegnung zu animieren. Dabei haben beide Autoren eigene gedanklich komplexe Theorien aufgestellt, die ich Ihnen heute Abend vorführen möchte. Im Anschluss möchte ich auf einige Zentralfragen eingehen (dazu gehören der Religionsbegriff und die Christologie), um dann nach Perspektiven für das Gespräch mit Angehörigen anderer Religionen zu fragen.
Ich beginne mit der Vorstellung der Position John Hicks. John Hick ist der gegenwärtig am stärksten diskutierte Vertreter der pluralistischen Religionstheologie. Dabei ist er einer der wenigen, die nicht dem römisch-katholischen Milieu entstammen – und das hat Konsequenzen für seine Theologie. Eine Beschäftigung mit ihm findet gleichwohl auch in weiten Teilen der römisch-katholischen Theologie statt; ich verweise nur auf die Arbeit von Gerhard Gäde.[4]
John Hick wurde 1922 in Yorkshire geboren, studierte Jura und Philosophie. In seiner Studienzeit erlebte Hick eine Bekehrung und ließ ihn, wie er selber schreibt, zu einem „Christen evangelikaler, ja fundamentalistischer Prägung“[5] werden. Hick schloss sich der Presbyterian Church of England, heute Teil der United Reformed Church, an. In die „konservativ-evangelikale Gedankenwelt“[6] könne sich Hick gut hineinversetzen, diese von ihm früher geteilte Orthodoxie vermöge er „zu würdigen und zu respektieren.“[7] Aber er habe jetzt eine umfassendere Sichtweise als früher. Hick studierte dann Theologie und wurde reformierter Pastor in Northumberland. Später wurde er Professor für Religionsphilosophie an den Universitäten von Cornell, Princeton, Birmingham und Cambridge, zusätzlich war er in Claremont tätig. Er lebt heute in Birmingham.
Sein einflussreichstes Buch hat den Titel „God has many names“ aus dem Jahre 1980, auf Deutsch mehrfach aufgelegt, zuletzt neu bearbeitet unter dem Titel: Gott und seine vielen Namen, Lembeck 2001, 2002 in zweiter Auflage erschienen.
Zwei miteinander verwobene theologische Themen prägen sein Werk und auch die Rezeption seiner Theologie: Es ist einmal die Gotteslehre und dann die Christologie und genauer sein Verständnis von Inkarnation, von der Menschwerdung Gottes.
Blicken wir zunächst einmal auf die Gotteslehre. Ausgangspunkt für Hick ist, dass es im Laufe der Geschichte viele Religionen gegeben hat und gibt. In ihnen allen kommt zum Ausdruck, dass Menschen auf eine auf sie einwirkende göttliche Wirklichkeit reagieren (dass die Phänomene der Religion auch als Projektion wahrnehmbar sind, schließt Hick nicht aus – nach Hick sind das aber nur Möglichkeiten). Im Verlaufe der menschlichen Entwicklung hat der Mensch in den Naturreligionen (oder auch, wie Hick es nennt, in den Religionen ohne Offenbarung) kraft der den Menschen innewohnenden natürlichen Religiosität „ein dunkles und rohes Gespür für das Ewig Eine“[8] besessen. Diese eher konturenlose Religiosität beginnt sich ab etwa 800 vor Christus zu verändern. Einzelne „herausragende Menschen …, deren freie Antworten auf das Ewig Eine … die menschliche Erkenntnis des Göttlichen immer weiter erweiterten und in ihrer Entwicklung vorantrieben“[9], traten auf. Dazu zählt Hick Konfuzius und die Verfasser des Tao te King – darauf gehen Konfuzionismus und Taoismus zurück. In Indien sind das Gautama der Buddha, in Persien Zarathustra, in Israel die großen alttestamentlichen Propheten, in Griechenland die großen Philosophen. Diese mit Karl Jaspers zu nennende „Achsenzeit“ ist der religionsgeschichtliche Hintergrund für Hick. Alle diese Ereignisse, die erweiterbar sind, drücken die verschiedenen Offenbarungen des Ewig Einen aus. Denn es geht immer um ein Wechselspiel zwischen Erkennenden und Erkannten, das „Ding an sich“ kann nicht direkt erkannt werden. Gott an sich, der Ewig Eine ist also mit den verschiedenen religiösen Erfahrungen und Offenbarungen nicht identisch, er steht drüber. Von Gott ist deshalb zu sagen: Er hat viele Namen. Und Ausschließlichkeitsansprüche der verschiedenen Religionen sind insofern problematisch, weil sie die transzendente Wirklichkeit des Einen Gottes vereinnahmen.
Diese hier vorgeführte religionsphilosophische Argumentation zeigt deutlich, wie Hick seine eigene theologische Heimat überhöht. Er entstammt ja, das hatte ich vorhin angedeutet, der reformierten Kirche. Und für die reformierte Theologie – das kann ich leicht sagen, ich stamme ja selber aus ihr – ist die Gegenüberstellung von Gott und Welt charakteristisch. Ulrich Zwingli konnte sich deshalb beim Abendmahl mit Luther nicht einigen, weil Luther in Zwinglis Augen in problematischer Weise die Transzendenz Gottes, die Jenseitigkeit Gottes in die Materie hineinzwänge und damit Gott klein mache. Zu klein. Es ist ein klassisches reformiertes Anliegen, die Freiheit Gottes zu betonen – und wer von Ihnen die Barthsche Theologie ein bisschen kennt, wird diesen Grundsatz dort immer nachvollziehen können. Bei Hick ist nun dieses Anliegen sehr weit gesteigert – er hält Gott frei von aller Vermischung mit allzu irdischen Manifestationen. Gott selber (egal wie man ihn nennt) steht allen Offenbarungsmanifestiationen noch einmal gegenüber, ist ihnen jenseitig. Hick betont die unbedingte Transzendenz Gottes – und zeigt sich hier auch als Schüler des Philosophen Immanuel Kant. Es ist auffällig, dass diese Argumentation so nicht bei Knitter und anderen pluralistisch orientierten Religionstheologen, die aus der römisch-katholischen Kirche kommen, zu finden ist. Wir kommen darauf zurück.
Angesichts dieser Auffassung Gottes sind nach Hick für die Theologie und das Christentum notwendige Folgen zu ziehen. Allerdings sei eine bestimmte Art von Theologie immunisiert, diese notwendige Folge zu ziehen – und das ist nach Hick die dogmatische Theologie. Sie steht neben der von Hick bevorzugten problemorientierten Theologie. Die dogmatische Theologie lasse „religiösen Pluralismus kaum zu, denn ihren Mittelpunkt bildet die Überzeugung, dass Jesus von Nazareth Gott war – die zweite Person einer göttlichen Trinität, die ein Leben als Mensch geführt hat.“[10] Daraus folgt nach Hick die Überzeugung, Gott selbst habe das Christentum begründet, im Unterschied zu anderen Religionen. Und daraus folge wiederum konsequent und „mit unanfechtbarer Logik das römische Dogma ‚extra ecclesiam nulla salus` [d.h. außerhalb der Kirche gibt es kein Heil] … und sein protestantisch missionarisches Gegenstück aus dem 19. Jahrhundert (‚Außerhalb des Christentums kein Heil’).“ Und Hick weiter: „Doch angesichts all des Wissens über die anderen großen Weltreligionen, das wir heute haben, ist diese Schlussfolgerung, abgesehen von einer Minderheit dogmatisch Ewiggestriger, inzwischen für niemanden mehr akzeptabel. Sie widerspricht dem Gottesbild, das uns Jesus vermittelt hat, nämlich der Vorstellung von Gott als dem liebenden himmlischen Vater der gesamten Menschheit.“[11]
Weil Hick also diese Lösungen nicht hinreichen, sieht er sich genötigt, die Inkarnationsfrage in den Mittelpunkt zu stellen, da genau dies das Hauptproblem und Haupthindernis für die christliche Teilnahme am interreligiösen Gespräch sei. „Eine solche Neubetrachtung ist heute ohnehin erforderlich, und zwar aufgrund der Einsicht, dass der historische Jesus mit ziemlicher Sicherheit nicht gelehrt hat, in irgendeiner Weise Gott zu sein. Außerdem ist es dem christlichen Denken trotz jahrhundertelanger kluger Versuche nicht gelungen, irgendeinen intelligiblen Sinn für die Vorstellung zu finden, ein endlicher Mensch, der wirklich unserer menschlichen Gattung angehört, sei zugleich der unerschaffene Schöpfer aller Dinge, unendlich, ewig, allmächtig und allwissend.“[12] Hick zieht den Schluss daraus, dass es sich bei der Inkarnation um eine metaphorische Vorstellung handle, also um ein Gleichnis. Deswegen sollten die Christen, „wir“, sagt Hick, „nicht darauf beharren, dass Jesus im wörtlichen Sinne der inkarnierte Gott war, sondern ihn vielmehr als einen Menschen betrachten, der für Gottes Gegenwart so sehr offen war und ihr in seinem Leben so sehr entsprach, dass Gott durch ihn zum Heil vieler wirkte.“[13]
Die traditionellen christologischen Aussagen sind von Christen nach Hicks Meinung weitgehend fraglos übernommen worden. Am Beispiel des Bekenntnisses von Chalcedon – in dem es heißt: Jesus Christus ist zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch (wir kommen darauf zurück) – erläutert Hick, dass es eine Mischung aus Empirie und Metaphysik sei: Dass Jesus ein Mensch war, ist empirisch wahrnehmbar, sein Gottsein hingegen ist eine metaphysische Aussage. Nach Hick sind nun alle Versuche, dieser „Vorstellung irgendeinen Inhalt zu geben“[14], gescheitert: „Sie bleibt eine Aneinanderreihung von Worten ohne entsprechende Bedeutung. Denn ohne irgendeine Erklärung zu behaupten, der historische Jesus von Nazareth sei auch Gott gewesen, ist ebenso bar jeder Bedeutung, wie die Behauptung, ein Kreis sei zugleich ein Quadrat.“[15] Deswegen darf man die Aussage vom Gottsein Jesu nicht wörtlich nehmen. Dass Jesus als Gottes Sohn benannt wurde, muss von den Königsvorstellungen der antiken Welt her verstanden werden, wo Königen eben eine solche Titulatur zuerkannt werde. Und deshalb gilt von Jesus: „Er ist unser völlig ausreichendes Modell wahrer Menschlichkeit in vollkommener Verbindung mit Gott.“[16]
Dieses Vorbild erkennen die Christen in Jesus. Die traditionellen Aussagen wie: Jesus als Herr, König, Sohn Gottes sind also als „poetische Sprache der Liebe“[17] verstehen, als „Ausdruck einer persönlichen Empfindung“[18]. Und deshalb gelte, so sein Schlusssatz im Buch „Gott und seine vielen Namen“: „Die Lampen sind verschieden, doch das Licht ist dasselbe“[19].
Anders als John Hick, der dem reformierten Umfeld entstammt, ist Paul Knitter von Hause aus Katholik. Geboren wurde Knitter 1939 in Chicago. Mit 21 Jahren tritt er dem Orden „Societa verbi divini“ bei, in Deutschland als Steyler Missionare bekannter, und studierte Theologie an einem ihrer Colleges. Begegnungen mit Missionaren der Societas verbi divini, die Erfahrungen aus anderen Kulturen und Religionen mitbrachten, interessierten Knitter früh – und seine besondere Beschäftigung galt dem Buddhismus. Dieses Kennenlernen ließ ihn früh zweifeln an dem alten, wie er es nennt, exklusivistischen Modell, nach dem das Christentum als Licht, andere Religionen aber als Finsternis zu bezeichnen seien.[20] Sein biographischer Weg führte ihn dann nach Rom, wo er während des II. Vatikanischen Konzils an der Gregoriana studierte und sich intensiv mit dem römisch-katholischen Theologen Karl Rahner beschäftigte. Dessen auch im II. Vatikanischen Konzil zu findende Erkenntnis, dass es positive theologische Aussagen über Wahrheit und Werte anderer Religionen gibt, weil auch diese die Wahrheit teilweise spiegelten, beeindruckte Knitter – dieses Verständnis nennt Knitter Inklusivismus. Sein ursprünglicher Plan, bei Rahner zu promovieren, zerschlug sich; er promovierte deshalb in Marburg bei Carl-Heinz Ratschow über protestantische Haltungen zu anderen Religionen; sein Ergebnis lautet – kurz gefasst: Die protestantischen Theologen versagten bei ihren Bemühungen, „den Exklusivismus der dialektischen Haltung Karl Barths Theologie gegenüber den Wert anderer Religionen zu überwinden“[21], sie seien gelähmt „durch das reformatorische Festhalten am ‚allein aus Glauben’, ‚allein durch Christus’“.[22] Die römisch-katholische Haltung, die andere Religionen einschließt in ihr Verständnis von Wahrheit, sei besser. Doch bei dieser Betonung des Inklusiven blieb Knitter, der 1972 Professor am Catholic Theological Union Seminary in Chicago wurde, nicht stehen. Rahners Inklusivismus war für Knitter vielmehr die Brücke, um weiter zu gehen. In Begegnungen mit Angehörigen anderer Religionen – mit einem Muslim und einem Hindu –, dem Lernen religiöser Praktiken aus anderen Religionen (z.B. der Zazen-Meditation) und der Lektüre von Küng, dessen Festhalten an der Endgültigkeit Christi für ihn nicht akzeptabel war, schrieb er das bahnbrechende Buch: „No other names?“ (auf Deutsch: Ein Gott – viele Religionen, München 1988). Auch wenn sich hier manche Gemeinsamkeit mit den Gedanken von Hick finden lässt: Das göttliche Geheimnis ist größer als die Wirklichkeit und Botschaft Jesu; in anderen Religionen ist es möglicherweise auch vorhanden und erkennbar; alle Religionen stimmen darin überein, dass sie „ihre Bemühungen fortsetzen, das unerschöpfliche Geheimnis oder die Wahrheit zu entdecken oder ihr treu zu bleiben“[23] – so ist doch der Akzent ein deutlich anderer. Immer wichtiger wird bei Knitter von da aus nämlich die befreiungstheologische Dimension – es geht Knitter um Nachfolge. Befreiung verleiht der Religion Sinn und ist eine Sache der treuen Nachfolge Jesu. Die Begegnung mit anderen Religionen ist deshalb für Knitter kein Wert an sich, sondern steht im Dienst des Handelns: „Wenn religiöse Menschen gemeinsam auf die Stimmen der Leidenden und Unterdrückten hören, wenn sie gemeinsam versuchen, auf diese Nöte zu antworten, dann sind sie fähig, einander zu vertrauen und die Wahrheit und die Kraft in ihrer jeweiligen Andersartigkeit zu spüren.“[24]
Und genau darin versteht Knitter auch das urchristliche Anliegen. Es geht nicht darum, Jesus zu preisen, sondern ihm nachzufolgen. Zentrum ist nicht die Person Jesu, sondern das von ihm verkündigte Reich Gottes. Aber diese Zentrierung auf das Reich Gottes und nicht auf die Person Jesu ist nach Auffassung von Knitter genau das Interesse Jesu selber. Deshalb ist theologisch „eine am Reich Gottes orientierte Christologie“[25] zu formulieren. In einem Dialog der Religionen geht es deshalb weder um Bekehrung (das wäre exklusivistisch) noch um die Frage, ob ein anonymer Christus bei ihnen da sei (das hatte Rahner behauptet; das ist Inklusivismus), sondern um „gemeinsam mit ihnen das Reich Gottes voranzubringen: durch Ungerechtigkeit verursachtes Leid zu lindern, eine Welt größerer Gegenseitigkeit und Zusammenarbeit zu bauen und die Wunden zu heilen, die dem Ökosystem des Planeten beigebracht wurden.“[26] Das ist die religionspluralistische Befreiungstheologie, die Knitter betont. Die Einzigartigkeit Jesu geht dabei nach Knitter nicht verloren, vielmehr wird Jesus ernst genommen, wenn man ihn als einzigartigen Verkünder der Liebe und des Reiches Gottes wahrnimmt, als einen Propheten par excellance. Und diese Einzigartigkeit Jesu zu betonen, seinen Einsatz für die Schwachen in der Gesellschaft stark zu machen – das grenzt keine anderen Religionen aus: das kann andere Religionen nur bereichern. Darum geht es im Evangelium. Das ist das Evangelium nach der Ansicht von Knitter, das eine Evangelium! Dieses Evangelium gilt für alle und macht alle froh, jedenfalls alle Unterdrückten und Leidenden.
Anders als Hick, der eher religionsphilosophisch argumentiert und die Jenseitigkeit des Ewig Einen betont, argumentiert Knitter ethisch: Das Reich Gottes ist das Ziel, ist die Botschaft, für die Christen sich einsetzen. Die Wahrheitsfrage muss deshalb raus aus dem Dialog, sie hindert nur und grenzt aus.
Nun sind beide, Knitter und Hick, nicht so weit auseinander, dass sie gar nicht vereinbar wären. Sie arbeiten auch eng zusammen und bereichern sich gegenseitig. Aber ihre Anliegen sind doch unterschiedlich. Und ich spitze etwas zu, wenn ich sage: Hick vertritt das reformierte Anliegen im Dialog: Gott und Welt sind prinzipiell voneinander unterschieden, und deshalb gibt es keinen legitimen Wahrheitsanspruch. Knitter vertritt eher das römisch-katholische Anliegen und vertritt die Handlungsbetonung – und da stehen die Wahrheitsansprüche im Weg.
Hick ist der wohl anregendere Denker, weshalb theologische Arbeiten zu ihm in größerer Zahl vorhanden sind. Knitter ist der wohl stärker in der Praxis des Dialogs beheimatete; er hat spannende konkrete dialogische Arbeiten vor allem im Gespräch mit dem Buddhismus erarbeitet.
Die von Knitter biographisch aufgewiesene Begrifflichkeit ist beinahe zu einem Axiom in der pluralistischen Religionstheologie geworden. Unter Exklusivismus wird verstanden, dass sich das Christentum als einzig seligmachende Religion versteht und andere Religionen als Heilswege ausschließt. Unter Inklusivismus wird verstanden die Vereinnahmung anderer Religionen in ein Gesamtkonzept, wozu etwa gehört, dass sich Teilwahrheiten in anderen Religionen wieder finden lassen, die ganze Wahrheit aber im Christentum. Und unter Pluralismus wird das akzeptierte Nebeneinander von Heilswegen verstanden, was einhergeht mit einer Relativierung der eigenen Religion.
Diese Begrifflichkeit hat nun in der Diskussion im Rahmen der pluralistischen Religionstheologien beinahe Grundgesetzcharakter. Gesprächsfähig sei eine Religion nämlich nur bei der pluralistischen Position. Bei Exklusivismus werden andere Religionen ausgeschlossen, bei Inklusivismus vereinnahmt, beim Pluralismus gerade nicht. Ich will Ihnen heute Abend keine alternative Begrifflichkeit vorstellen, nur einige Anfragen an die Klarheit dieser drei Begriffe stellen – sie vernebeln in meinen Augen eher als dass sie wirklich weiterhelfen.
Zum Begriff des Exklusivismus, zu der von Knitter ausdrücklich Karl Barth gerechnet wird. Nach Knitter beispielsweise ist es so, dass im Exklusivismus die eigene Religion als der einzige Heilsweg bezeichnet wird. Nun ist es bei Barth beispielsweise komplizierter. Barth spricht der eigenen Religion geradezu ab, Heilsweg zu sein. Das Christentum vermittelt nicht das Heil, nie! Es bezeugt das Heil, das aber kommt von außen auf die Welt zu. Was unterscheidet Christen und Nichtchristen? Auf die Frage hat Barth einmal gesagt, dass Christenmenschen wissen, was Nichtchristen nicht wissen: Gott hat die Welt in Christus versöhnt. Das unterscheidet sie. Das Christentum besitzt das Heil nicht und verfügt auch nicht darüber. Deshalb kann, so Barth, das Christentum auch nicht andere vom Heil ausschließen, weil das nicht menschliche Aufgabe ist. Natürlich hat Knitter richtig gesehen, dass eine pluralistische Relativierung so, wie er es machen möchte, mit Barth nicht einfach machbar ist – dazu kommen wir noch. Aber es ist doch zu einfach, diese Position mit Exklusivismus zu bezeichnen: Wer ist denn hier derjenige, der ausschließt? Nach Barth ist es nicht das Christentum – die Christen können nur bezeugen und einladen. Mehr nicht. Der Begriff des Exklusivismus passt also nicht glatt.
Zum Inklusivismus. Hier wird kritisiert, dass eine Vereinnahmung anderer Religionen stattfindet – im Unterschied zum Pluralismus. Aber: Wird nicht gerade in einer pluralistischen Theologie der Religionen beispielsweise bei Hick jede Religion vereinnahmt in sein eigenes Konzept: Gott ist der Ewig Eine – das ist ja eine sehr steile monotheistische Voraussetzung. Alle anderen Religionen werden in dieses Konzept vereinnahmt, insofern alles das, was über diese Aussage hinausgeht, abgeschliffen wird. Was ist der Unterschied zwischen einer Position auf der einen Seite, die anderen Religionen gegenüber die eine Wahrheit bezeugt und ihnen sagt: Ich vertraue meinem Herrn Jesus Christus – Gott ist kein anderer als wie er sich am Sinai und in Jesus Christus gezeigt hat. Und auf der anderen Seite steht Hick und sagt: Deine Religion hat so wenig einen objektiven Wahrheitsanspruch zu vertreten wie meine. In beiden Fällen findet eine Kappung des Anspruchs meines Gegenübers statt: Ich glaube Dir nur insoweit, als dass Du Deine Erkenntnis, Deinen Glauben bezeugst. Aber in Wirklichkeit ist das nicht mehr als Deine persönliche Erkenntnis. Ich weiß besser, wie es in Wirklichkeit ist!
Inklusivismus und damit Vereinnahmung anderer Religionen findet – so behaupte ich jetzt einmal – in der pluralistischen Theologie der Religionen noch mehr statt als in der Auseinandersetzung, im Bestreiten einer Wahrheit. Der Streit um die Wahrheit kann dann hässlich werden, wenn ich meine, sie auch gewaltsam durchsetzen zu können. Der Streit um die Wahrheit ist aber ein Geschenk, wenn sie als Gespräch stattfindet, in geschwisterlicher, menschlicher Weise. Die pluralistischen Religionstheologien spülen hier in problematischer Weise weich. Zu weich.
Ein weiterer im Gespräch mit den Vertretern der religionspluralistischen Theorien zu diskutierender Punkt ist das Verständnis von Religion. Hier möchte ich an zwei Punkten einsetzen. Einmal gibt es gegenwärtig keinen Religionsbegriff, der als allgemeingültig vorausgesetzt werden könnte; jeder versteht unter Religion ein bisschen was anderes. Es hat sogar der Münchener katholische Theologe Ernst Feil gefordert, auf den Begriff der Religion eine Weile ganz zu verzichten, weil er nur Diffusionen auslöse – und hat damit vor einigen Jahren eine heftige Debatte ausgelöst, die freilich verpufft ist.
Und andererseits ist zu fragen, welchen Religionsbegriff wir auch theologisch nachvollziehen können – jeder Begriff, sofern er in der Theologie gebraucht wird, hat ja eigene Begründungen und Vorverständnisse.
Was ist denn überhaupt mit Religion gemeint? Sind die so genannten interreligiösen Dialoge die zwischen den Angehörigen von Weltreligionen? Also z.B. Islam, Judentum, Christentum plus Buddhismus und Hinduismus? Wenn so argumentiert wird, ist sofort die Frage zu stellen, was hier ausschlaggebend ist. Ist es die Quantität des Vorkommens allein? Denn mit Begriffen wie Transzendenz kommen wir ja nicht überall weiter; der Buddhismus sperrt sich zumindest in den meisten seiner Ausformungen gegen solche Gedanken. Das hat zur Konsequenz, dass ein Transzendenzbezug als Voraussetzung eines umfassenden Religionsbegriffs schwierig ist. Und: Wie ist das mit animistischen Religionen? Mit Stammesreligionen? Nehmen wir sie alle prinzipiell in den Religionsbegriff hinein?
Und noch weiter: Was ist eigentlich mit den Weltanschauungen? Nehmen wir nur den Marxismus – ist der auch als Religion zu verstehen? Wenn nicht, warum nicht? Weil der Transzendenzbezug fehlt, wie oft argumentiert wird (auch von Hick übrigens)? Das würde andere Religionen dann auch ausschließen.
Wir sind also vor die Schwierigkeit gestellt, dass eine allgemeingültige Definition von Religion nicht zu gelingen scheint. Und damit sind wir nicht allein.
In Bezug auf den interreligiösen Dialog sind wir deshalb theologisch gefragt, mit welchem Religionsverständnis wir uns in diesen Dialogen befinden und begeben.
Und weiter: Die ganze Diskussion der Religionskritik, die die Debatte seit Jahrhunderten bestimmt, wird weitgehend innerhalb der pluralistischen Religionstheologien ausgeblendet. Johannes Brosseder formuliert deshalb mit Recht: „In jeder Religionstheologie, auch in einer pluralistischen, sind jedenfalls die negativen Folgen der Religionen als sozial verfasste Größen und die Einwände der Religionskritik sowohl an den Religionen als sozial verfassten Größen wie auch an den Lehren der Religionen mitzureflektieren. Das ist meines Wissens bisher nicht geschehen.“[27] Unter Religion wird in den pluralistischen Religionstheologien entweder die reine Zugehörigkeit zu einer Weltreligion verstanden oder aber – von Schleiermacher herkommend und beeinflusst – ein auf die Unendlichkeit gerichtetes Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, also ein anthropologisch enggeführtes Religionsverständnis. Nun kann man argumentieren, wie Hick das tut, dass das pragmatisch geschehe, weil es ja Menschen aus verschiedenen Religionen gibt – und damit einfach Religionen vorhanden sind. Einverstanden. Aber: Was er dann in seiner Konzeption macht, ist doch wieder eine Metaebene einzuziehen, als er von einer Transzendenz ausgeht, von dem Ewig Einen. Damit wird letztlich ein bestimmtes Religionsverständnis Voraussetzung für den Dialog mit Angehörigen anderer Religionen.
Ich halte es nicht für problematisch, mit ganz bestimmten Voraussetzungen in Dialoge hineinzugehen und solche zu führen – dazu komme ich gleich noch. Aber ich halte es für äußerst problematisch, so zu tun, als ginge jemand ohne dogmatische Voraussetzung, ohne Apriori in einen solchen Dialog.
Wenn Hick vom dem Ewig Einen ausgeht, dann ist das eine ganz bestimmte Setzung. Sie entstammt dem Monotheismus, hat jüdische Wurzeln, ohne das Alte Testament auf seiner Seite zu haben – dort ist der Eine bekannt, der sich zu erkennen gegeben hat, der in der Geschichte gehandelt hat, der sein Volk erwählt hat. Die monotheistische Setzung Hicks macht ihre eigene dogmatische Verfasstheit zu wenig klar. Sie spiegelt die Diastase von Gott und Welt wieder, ein reformiertes, ja platonisches Erbe. Andere Religionen wie beispielsweise der Buddhismus können eigentlich diese Voraussetzung nicht teilen.
Bei Knitter ist das anders. Er führt intensive Dialoge mit dem Buddhismus, weil er besonders an der ethischen Dimension des christlichen Glaubens orientiert ist (und hat da auch viele Berührungspunkte mit Hans Küngs Projekt Weltethos). Um das ausreichend geschehen zu lassen, rüstet er christologisch ab, weil, wie er selber sagt, die entscheidenden Wegmarken für den Weg der Solidarität aller Religionen mit den Leidenden der Welt „nicht innerhalb der Religionen oder zwischen ihnen gefunden werden“ können, „sondern nur außerhalb ihrer selbst.“[28] Knitter geht also von außen an die Religionen heran und hat einen Maßstab, an dem die Religionen sich zu halten haben. Gut ist, dass im Christentum Jesus mit seiner reich-Gottes-Verkündigung so nahe heran kommt an diesen Maßstab, schlecht ist, dass der Apostel Paulus diese eigentliche Mitte so sehr verrückt hat. Auch Knitter hat also eine ganz bestimmte Voraussetzung, mit der er die Religionen misst. Es ist die Frage, ob mit diesem Verständnis die Religionen noch ihre Identität bewahren können. Knitter sieht diese Gefahr durchaus, sieht aber darin zugleich die eigentliche Mitte und das Verbindende aller Religionen. Der Zweck der Religion, jeder Religion, ist die Beseitigung des Leides, ist das Umgehen-Können mit dem Leiden in der Welt. Das ist der Kern von Religion. Auch Knitter hat also ein ganz spezifisches Religionskonzept, mit dem er seine Theologie entwirft.
Der Weg der pluralistischen Religionstheologien, so berechtigt und wichtig ihr Ziel ist, Dialoge zu führen, ist ein verkehrter und in die Irre führender Weg. Denn er geht grundsätzlich von der Prämisse aus, dass das Christentum sich selber relativieren könne. Nun ist es wahr, dass diese Relativierung nötig ist: wir verfügen nicht über die Wahrheit, wir haben sie nicht. Ein Absolutheitsanspruch ist deshalb für das Christentum unangemessen, ja fatal. Aber: Sollte das Christentum diesen Anspruch für sich selber in Anschlag bringen wollen, dann hat es sich selber verraten. Der christliche Glaube bezieht sich zentral auf die Bibel. Und nun rechtfertigt die Bibel nicht die Ansprüche der Christen, sondern stellt den Schreibern das Handeln Gottes gegenüber. Die Kirche ist Adressat der Botschaft, nicht Besitzerin. Sie hat das Evangelium zu hören und weiterzugeben – sie besitzt es nicht. Und hier stellt sich die Frage, ob das, was gar nicht besessen wird, aufgegeben werden kann. Ich selber kann nicht anders, als das Gegenüber Gottes zur entscheidenden Voraussetzung zu machen, von der sich Christenmenschen und christliche Theologen und Theologinnen nie lösen dürfen, wenn sie denn als Christenmenschen argumentieren und leben. Das erste Gebot ist ein theologisches Axiom, hat Karl Barth einmal formuliert. Ein Axiom auch für die Theologie. Sie hat auszugehen vom Reden und Handeln Gottes: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus der Knechtschaft geführt habe: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Ich kann dies hier heute nicht weiter ausführen, was ich darunter im Einzelnen meine. Ich halte aber die Religionskritik Karl Barths für eine große Hilfe und nicht für ein Hindernis im Dialog mit Angehörigen anderer Religionen.
Der Begriff der Religion wie die Sache der Religion ist – und jetzt nehme ich zwei Begriffe von Barth auf, die wesentlich sind, „nicht-notwendig“ und „schwach“. Religion ist erstens „nicht-notwendig“, weil ein Vorverständnis von Religion nicht notwendige Voraussetzung für den christlichen Glauben ist. Natürlich: der christliche Glaube, das Christentum ist eine Religion. Aber: das Spezifikum des Christentums ist nicht, dass sie eine unter anderen Religionen ist, sondern dass sie den Gott bekennen und erkennen darf, den die Kirche bezeugt. Und schwach ist er in gleichem Bezug, weil die Religion nicht das Evangelium trägt. Kein Religionsbegriff ist kräftig genug, um das Evangelium selber in sich zu tragen: das Evangelium sprengt immer wieder alle mitgebrachten Religionsbegriffe. Hick hat also insofern schon recht: Gott ist anders und kann von uns nicht eingefasst werden. Aber er hat sich zu erkennen gegeben. Und dort will er erkannt werden. Damit ist eingeschlossen, was die pluralistischen Theologien der Religion bisher nicht geschafft haben: Sie haben in ihren Konzeptionen das in Deutschland und andernorts in Europa vorhandene Phänomen der Religionslosigkeit nicht erfasst. Unter der Hand vereinnahmen viele sie als doch heimlich religiös. Viele Menschen verstehen sich jedoch nicht religiös. Wenn der Religionsbegriff nicht Voraussetzung ist für das Gespräch, dann ist hier eine größere Öffnung möglich.
Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen, der die bisherigen Überlegungen noch einmal inhaltlich fokussiert. Wir haben es bei Knitter gehört, dass er von Jesus Christus nicht mehr die Person, sondern nur noch seine Reich-Gottes-Botschaft beibehalten möchte; sein Verständnis Jesu Christi bedeutet, dass er ihn nur noch als „geschichtlichen, partikularen Gottesmittler“[29] ansehen kann. In gleicher Weise haben wir anfangs von John Hick gehört, dass er Abschied nehmen musste von der klassischen christlichen Vorstellung, dass Gott selber in Jesus Christus tatsächlich Mensch geworden sei. In ihrer Arbeit zu Hicks Christologie hat Kirsten Joswowitz-Schwellenbach nun herausgestellt, dass „Hick – im Vergleich zu seinem Skeptizismus gegenüber dogmatischen Aussagen – eine verblüffende Begeisterung für den historischen Jesus an den Tag legt und dabei auch die Verwendung von Superlativen nicht scheut.“[30] Und sie schließt zu Recht daraus messerscharf, dass sich Hick dadurch jegliche Möglichkeit einer entwickelnden Christologie von vornherein nimmt. Dadurch vereinnahmt er die neutestamentlichen Zeugen. Er unterstellt ihnen, sie wollten die Auferstehung Jesu „beweisen“; jegliche Brücke hin zur frühchristlichen Christologie wird von Hick vehement bestritten. Im Konzil von Chalcedon wurde bekannt, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Hick setzt jedoch als Axiom voraus, dass Gott und Mensch nicht zusammen denkbar sind. Indem dieses für Hick Grundvoraussetzung ist, kann er die gesamte altkirchliche Christologie nur als Verirrung in Substanzbegriffen verstehen. Joswowitz-Schwellenbach weist auch darauf hin, dass Hick christologische Zerrbilder aufstellt, die leicht widerlegt werden können.
Warum nun besteht bei Hick und bei anderen solch eine Skepsis gegenüber klassischen christologischen Aussagen? Hick sieht in ihnen die Gefahr, dass die Einzigartigkeit Jesu zum Herrschaftsinstrument verkommt, dass man ihn als Besitz aussagt, dass die Kirche oder die Christen triumphalistisch mit der Aussage, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, umgehen. Und das führt, so Hick und auch Knitter, zu einer Barriere im Dialog mit den Religionen. Das ist Besitzstandswahrung. Das ist eine Engführung, die wir anderen nicht zumuten können.
Was aber ist denn die Botschaft, die die Kirche nicht hat, sondern hören und bezeugen darf? Gott selber ist einen Weg in diese Welt hinein gegangen. Er ist den Weg ans Kreuz gegangen, uns zugut. Die Auferstehung Jesu Christi lässt die Jünger zurückblicken und das Kreuz nicht als Scheitern, sondern sogar als Heilsereignis verstehen. Der in der Theologiegeschichte vielgescholtene Anselm von Canterbury fragt in Cur Deus homo danach, wie denn Gott und Mensch zusammen gedacht werden können. Es passt doch nicht zu Gott, wenn er in den Schoß einer Frau hinabsteigt und gesäugt wird. Es passt doch nicht zu Gott, wenn er in die Windeln macht. Es passt doch noch weniger zu Gott, wenn der Tod in Gott selber hineinkommt. Das geht doch nicht. Das verunreinigt doch Gott. Das verstehen wir nicht. Das ist die Frage, die uns Christenmenschen seit Anfang an mitgegeben ist, von der wir uns billigerweise nicht lösen können. Und was ist Anselms Antwort? Unsere Gottesbilder gehen kaputt und passen nicht. Wir haben uns neu zeigen zu lassen, wer und wie dieser Gott ist. Wir erkennen gerade im Weg Jesu Christi, im Tod am Kreuz, wer Gott ist. Also: der Weg Anselms geht genau andersherum. Sein Ausgangspunkt ist nicht eine allgemeine Vorstellung von Gott, die möglichst allen gemeinsam wäre. Weil die doch zerbricht.
Und nun ist es spannend, dass Anselms Theologie zumindest im Horizont von Religionsgesprächen entstanden ist (ob es selber Teil eines solchen ist, ist umstritten).
Was sind gute Gespräche mit Angehörigen anderer Religionen? Gespräche, bei denen man einander ernst nimmt. Gespräche, in denen Differenzen nicht aufgehoben werden, sondern ehrlich benannt werden können. Gespräche, in denen Christen lernen können vom Reichtum Gottes, der auch außerhalb der Kirche wirkt. Gespräche, in denen Christen die Wahrheit bezeugen dürfen, die sie selber gehört haben, der sie vertrauen, die aber nicht ihr Besitz ist.
Das eine Evangelium, die gute Botschaft gilt für alle. Sie gilt allen, weil Gott in Jesus Christus nicht nur die Christen, sondern die ganze Welt mit sich versöhnt hat. Das darf aller Welt bezeugt werden. Und – nicht alle Welt wird es glauben. Das Geschenk des Glaubens aber können wir nicht machen.
Das eine Evangelium trägt uns. Nicht wir tragen das Evangelium. Wir tragen es auch nicht zu anderen – Gott selber vermittelt seine frohe Botschaft. In diesem Sinne dürfen wir in Gesprächen mit Angehörigen anderer Religionen Hörer und Zeugen sein. Ein gemeinsames Gottesverständnis muss nicht erst konstruiert werden, das nimmt keinen wirklich ernst. „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11)
Georg Plasger
(Der Vortrag wurde zuletzt 2010 auf einer katholischen Lehrerfortbildung gehalten.)
[1] Hg. v. B. Jaspert, Frankfurt / Paderborn 1997.
[2] AaO., 17.
[3] Ebd.
[4] G. Gäde, Viele Religionen, ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks pluralistische Religionstheologie, Gütersloh 1998.
[5] J. Hick, Gott und seine viele Namen, Frankfurt ²2002, 16.
[6] AaO., 18.
[7] Ebd.
[8] Hick, Gott und seine vielen Namen, 49.
[9] AaO., 50.
[10] AaO., 30.
[11] Ebd.
[12] AaO., 31.
[13] AaO., 165.
[14] J. Hick, Jesus und die Weltreligionen, in: J. Hick (Hg.), Wurde Gott Mensch? Der Mythos von fleischgewordenen Gott, Gütersloh 1979, 175-194, 187.
[15] Ebd.
[16] J. Hick, Gott und seine vielen Namen, aaO., 188.
[17] AaO., 165.
[18] Ebd.
[19] Ebd.
[20] Vgl. P. Knitter, Horizonte der Befreiung. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Theologie der Religionen, Franfurt 1997, 17.
[21] AaO., 18.
[22] Ebd.
[23] AaO., 20.
[24] AaO., 25.
[25] P. Knitter, Apologie einer pluralistischen Theologie und Christologie, in: H.-G. Schwandt, Pluralistische Theologie der Religionen. Eine kritische Sichtung, Frankfurt 1998, 75-95, 91.
[26] AaO., 92.
[27] J. Brosseder, Konstruktive Kritik einer pluralistischen Theologie der Religionen, in: H.-G. Schwandt, Pluralistische Theologie der Religionen, aaO., 117-133, 120f.
[28] P. Knitter, Jesus und die Weltreligionen, aaO., 83.
[29] So R. Bernhardt, Ein neuer Lessing? – Paul Knitters Theologie der Religionen, in: EvTheol 49/1989, 516-528, 523.
[30] K. Joswowitz-Schwellenbach, Zwischen Chalcedon und Birmingham. Zur Christologie John Hicks, Neuwied 2000, 231.