Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Anerkennung und Respekt
Die Barmer Theologische Erklärung aus islamischer Sicht
Hamideh Mohagheghi ist Juristin aus dem Iran, Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland und Lehrbeauftragte für die Religion des Islam an der Universität Paderborn. Sie lebt seit über 25 Jahren in Deutschland und arbeitet in verschiedenen Arbeitskreisen zum interkulturellen und interreligiösen Dialog, sie ist Referentin für interreligiösen Dialog und im Vorstand des Frauennetzwerkes HUDA e.V.
(…) Wenn die Barmer Theologische Erklärung den Zweck erfüllte, die Kirche vor der Einflussnahme des Naziregimes zu bewahren und auch in ihrer Wirkungsgeschichte in andere Länder gewirkt hat, die Menschen zu ermutigen, sich zu erheben, ist zu überlegen, welche Bedeutung sie heute hat und in welchem Bereich sie eine Unterstützung ist. Wenn sie ein Bekenntnis ist und Einfluss auf die Meinungsbildung hat, sehe ich darin einige Aussagen, die im Gespräch mit Andersgläubigen zu erheblichen Problemen führen können.
Dafür möchte ich die Thesen einzeln durcharbeiten und Punkte ausführlicher ansprechen, die im Gespräch und Dialog mit Muslimen von Bedeutung sind und unterschiedlich verstanden werden.
Meine Ausführungen sollen erklären, in welchen Punkten mir eine theologische Annäherung nicht möglich scheint und welche für eine gemeinsame Basis für ein Zusammenleben zwischen Christen und Muslime herangezogen werden können. Im Dialog ist es unentbehrlich, offen und ehrlich über die Differenzen zu sprechen, das Selbstverständnis der Anderen wahrzunehmen und die Unterschiede mit Respekt und Anerkennung stehen zu lassen. Das Ziel des Dialoges kann nicht eine Vereinheitlichung der Religionen sein, jede Religion hat ihre Besonderheiten und Einzigartigkeiten, die zu pflegen und zu bewahren sind.
These 1
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh. 14,6)
„Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder. Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden.“ (Joh. 10,1.9)
Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.
Die Barmer Theologische Erklärung hatte nicht die Absicht, die Unterschiede oder Abgrenzungen zu anderen Religionen zu thematisieren. Dennoch beinhaltet die These 1 aus meiner Sicht eine wichtige theologische Differenz zwischen Christen und Muslimen, die im Dialog zu strittigen Diskussionen über die Christologie in den beiden Religionen führen kann.
Die Aussage im Joh. 14: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich“ ist Anspruch und Verpflichtung mit zentraler Bedeutung für die Christen. Verpflichtung liegt darin, dass die Christen in die Pflicht genommen werden, den Weg Jesu zu gehen und seinem Beispiel in ihrem Leben zu folgen.
Als Anspruch kann sie Probleme hervorrufen und Verhaltens- und Handlungsweisen legitimieren, die nicht im Sinne der Lehre von Jesus sind: Die Gläubigen aller Religionen können für sich den Anspruch erheben, den eigenen Weg als den Richtigen zu bezeichnen. Es ist nicht anklagbar, wenn man von der eigenen Religion in diesem Sinne überzeugt ist, im Gegenteil verleiht diese Überzeugung die Beständigkeit und ist eine wichtige Grundlage für die Religiosität. Der Anspruch wird zum Problem, wenn man den eigenen Weg als den einzig richtigen und verbindlich für alle versteht und den anderen als nicht würdig für die uneingeschränkte Gnade und Barmherzigkeit Gottes erklärt.
Wenn der zweite Satz „niemand kommt zum Vater denn durch mich“ in dem Sinne verstanden wird, wie es die Formulierung aussagt, bedeutet dies für mich: Jemand, der nicht im christlichen Verständnis an Jesus Christus glaubt, hat keinen Zugang zu Gott. So schließt diese Aussage die Mehrheit der Menschen aus und schränkt die Gnade Gottes und seine Erreichbarkeit eindringlich ein. Gott wird vereinnahmt und reserviert für eine bestimmte Gruppe der Menschen.
Diese Auffassung kann dazu verleiten, dass man den eigenen Weg als die alleinige Wahrheit und sich selbst als Auserwählten wahrnimmt, seine Lebensaufgabe darin sieht, den anderen mit allen Mitteln zum „rechten Weg“ zu führen. Wir wissen, dass dieses religiöse Verständnis in Religionen zu einem Überlegenheitsanspruch führte und auch großes Unheil in der Menschheitsgeschichte angerichtet hat. Mag sein, dass Ausschließung und Abgrenzung gegenüber anderen in bestimmten historischen Epochen zum Überleben notwendig waren. Wenn sie aber ein Bestandteil der Religion werden, sind die Folgen für die Menschen verheerend.
Die Ausschließung wird verstärkt durch den nächsten Satz „Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder. Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden.“ Wir sprechen heute vom Dialog der Religionen und von der Annäherung und dem Verständnis füreinander. Wir leben in einer Welt, in der die Menschen immer näher zueinander rücken und das Zusammenleben zwischen unterschiedlichen Religionen nicht mehr vermeidbar ist. Wie ist ein Dialog mit Dieben, Mördern und Unseligen möglich? Kann es einen Dialog in gleicher Augenhöhe geben, wenn die anderen, die nicht an Jesus in diesem Sinne glauben, als Menschen betrachtet werden, denen man nicht trauen kann, denn Diebe und Mörder sind keine vertrauenswürdigen Menschen! Sind diese Aussagen nicht ein Hindernis, den anderen als gleichwertigen Menschen anzusehen? Wenn dies die Kernaussagen des Christentums sind, würden sie nicht für einen Christen theologische Bedenken verursachen, auf andere zuzugehen und sich mit ihnen auf der gleichen Ebene zu sehen? Geht von dieser Aussage nicht ein Überlegenheitsgefühl aus, das in Begegnung mit anderen immer wieder zum Vorschein kommen kann?
Für die Muslime ist Jesus ein herausragender Prophet und Verkünder der göttlichen Lehre. Er wird im Qur’an ein Wort Gottes genannt, nicht „das eine Wort Gottes“. Darin liegt der Unterschied: Er ist zwar ein besonderer Mensch, einzigartig und Träger besonderer Fähigkeiten, neben ihm gibt es aber andere Propheten, die von Gott auserwählt waren und deren Lehre genauso legitim ist. Er wurde durch das Wort Gottes erzeugt und war Träger des Heiligen Geistes (Qur’an, Sure 4:171), hatte die Ermächtigung, Kranke zu heilen und Wunder zu vollbringen. Er erhielt von Gott eine Offenbarung, die als „Weisheit und Licht für die Menschheit“ gilt (Qur’an, Sure 5: 46).
Die Propheten im Islam waren keine Übermenschen, sondern von Gott Auserwählte, die besondere Gaben und Möglichkeiten besaßen. Sie waren vor allem Menschen, die mitten in der Gemeinschaft sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzten. Sie waren alle Gottes Geschöpfe und seine Diener, sie stehen im Qur’an gleich nebeneinander ohne eine Wertung in der Ranghöhe.
Daher kann die Aussage „das eine Wort Gottes“ in der ersten These als Herabstufung der anderen Propheten und Auserwählten Gottes verstanden werden. Sie kann es erschweren zu akzeptieren, dass es andere Propheten gegeben hat und sie alle die Aufgabe hatten, die Botschaft Gottes entsprechend der Zeit zu verkünden.
Könnte diese These nicht gerade im Jahr 1934 als eine Bestätigung instrumentalisiert werden, dass man doch zu „besseren Menschen“ gehört? Ich kann nicht beurteilen, welche Bedeutung und Wirkung diese Aussage auf Meinung und Handlung der Christen damals und heute hat. Für mich als Außenstehende bedürfen sie einer klaren Definition und theologischen Begründung, die die äußere Aussageform erklären.
These 2
„Jesus Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heilung und zur Erlösung“ (1. Kor. 1,30) Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als gäbe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heilung durch ihn bedürfen.
Die Erlösung durch den Tod Jesu am Kreuz ist ein weiteres Thema, das im theologischen Diskurs und der Wahrnehmung der Muslime vom Christentum ein Diskussionspunkt ist. Für die Muslime ist die Vorstellung der Menschwerdung Gottes, um das Leid der Menschen zu erfahren, sehr fremd. Auch die Vorstellung, dass Jesus durch Leid und Tod am Kreuz die Menschen von ihren Sünden befreit hat, stößt auf Unverständnis.
Im islamischen Verständnis ist Gott der wissende Schöpfer, der die kleinsten Einzelheiten der physischen und psychischen Zustände seiner Geschöpfe kennt. Er steht ihnen nah und Sein Geist schenkt Leben in jedem einzelnen, Er ist der ständige Begleiter in allen Lebensbereichen. Seine Gnade und Barmherzigkeit umfasst alles, was existiert (Sure 7:156). Er lässt den Menschen die Möglichkeit, sich zu entscheiden und ihr Leben zu gestalten und ermöglicht ihnen Gelegenheiten, um Entscheidungen treffen zu können. Seine umfassende Kenntnis und Sein Wissen gehört zu Seinen Attributen in der islamischen Lehre; er bedarf es nicht, physisch zu erleben, wie der Mensch leidet. Die Vermenschlichung Gottes, wie sie die Muslime im Christentum wahrnehmen, ist eine wesentliche Trennlinie zwischen Christentum und Islam.
Im islamischen Verständnis ist es dem Menschen nicht möglich, das Wesen Gottes zu erfassen; dies liegt im Jenseits der menschlichen diesseitigen Möglichkeiten. Daher ist das Bild des Jesus als Gott in der Gestalt eines Menschen am Kreuz nicht für die Muslime tragbar und ebenso auch die Erklärung dafür, dass Gott durch Selbstopferung die Menschen von ihren Sünden befreit hat. Damit wird Gott personifiziert, er bekommt ein Gesicht und eine Gestalt und wird bildhaft dargestellt, auf die menschliche Sinneswahrnehmung reduziert.
Die Erlösung ist im Islam durch Gnade und Barmherzigkeit Gottes und die eigene Handlungs- und Verhaltenweise zu erreichen. Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich, und es sind seine bewussten und aus freiem Willen durchgeführten Taten, die ihn der Erlösung näher bringen oder auch ihn von ihr entfernen. Die Hoffnung auf die Gnade Gottes ist unbeschreiblich groß, so dass der Mensch sich direkt an Gott wendet und um Vergebung für sein Fehlverhalten bittet. Niemand kann die „Sünden“ der anderen auf sich nehmen und niemand ist berechtigt, die Entscheidung zu treffen, die nur Gott zugeschrieben ist, nämlich die Sünden zu vergeben. Jeder Mensch wird frei von „Sünden“ geboren und bleibt „sündenfrei“, solange er nicht mündig ist und aus eigenem Willen und frei handelt. Jedes Individuum trägt mit Gnade und Zuspruch Gottes und die Kraft der Gemeinschaft die Verantwortung für das, was er denkt und tut.
Die These 2 der Barmer Theologischen Erklärung ist meines Erachtens eine klare Absage an Bindungen zu anderen „Herren“ und Mächten außer Gott und Jesus. Wenn auch die Aufhebung der Autorität der Nazimachthaber nicht ausdrücklich in der Erklärung genannt wird, könnte diese These bewirkt haben, sich nicht diesen Mächten zu unterwerfen sondern den Mut zu haben, sich dagegen zu stellen. Aus diesem Grund kann sie ein wichtiges Dokument des Widerstandes sein und die Aufgabe erfüllen, die die Religionen in diesem Bereich zu erfüllen haben. Durch die Bindung und Hingabe zu einem einzigen Gott wird der Mensch befreit von anderen Bindungen, die ihn verleiten. Wenn auch diese Bindung an Gott in unserer Zeit verdrängt oder gar vergessen ist, bleibt sie ein wichtiger Bestandteil des Lebens und eine positive Antriebskraft der menschlichen Handlungsweise. Gerade in unserer Zeit ist es wichtig, dass die Religionen die Kraft dieser Bindung besonders herausstellen und die Menschen ermutigen, ihr Urbedürfnis nach einer Beziehung zu einer höheren Kraft, die allen weltlichen Mächten zugrund liegt, zu bekunden.
These 3
„Lasst uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist.“ (Eph 4, 15. 16)
Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.
Die Gemeinschaft hat in allen Religionen eine wichtige Stellung. Sie beeinflusst die Identitätsbildung, nimmt den Menschen auf, gibt ihm Sicherheit und Geborgenheit. In ihr lebt und wirkt der Mensch und lernt nicht nur den individuellen Interessen nachzugehen, sondern diese auch zurückzustellen, wenn diese das allgemeine Wohl der Gemeinschaft beeinträchtigen. Der Mensch braucht die Gemeinschaft, sonst verfällt er in Einsamkeit, Isolation und egozentrische Lebensweise ohne Bindungen, die ihn auf seinem Lebensweg unterstützen.
Die Gemeinschaft kann aber auch als Hindernis für die menschliche Entwicklung werden, wenn sie mit Dogmen und unzumutbaren Regeln nicht zulässt, dass die Freiheit des Einzelnen mit dem Wohlergehen der Gemeinschaft in Einklang steht. Besonders die religiösen Gemeinschaften können diesbezüglich ein Verhängnis werden, wenn sie durch Autorität und Strenge statt Liebe und Hingabe den Menschen in die Gemeinschaft einbinden. Es ist eine wichtige Aufgabe, dass die religiöse Gemeinschaft tatsächlich Trost bietet und eine Weisung ist. Dafür müssen die religiösen Werte in der Gestaltung der Gemeinschaft Einfluss haben.
Die Verwerfung in dieser These verstehe ich als eine Absage gegenüber der gemeinschaftlichen Ordnung, die die Kirche vereinnahmen möchte. Die Kirche verteidigt ihre Werte gegenüber der weltlichen Herrschaft und proklamiert ein selbständiges Agieren nebeneinander. Die Frage bleibt, wie die Kirche auf das Belieben der Herrschenden Einfluss nehmen kann, wenn sie die ethischen und prinzipiellen Werte der Gemeinschaft vernachlässigen oder systematisch aushöhlen.
These 4
„Ihr wisst, dass die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch; sondern so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener.“ (Mt. 20, 25.26)
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, vom Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen.
Der Inhalt dieser These ist meines Erachtens, außer seine Bedeutung für die kirchlichen Ämter, indirekt an die Machthaber gerichtet und ist eine Ermahnung, die Herrschaft als einen Dienst und nicht als ein Privileg zu sehen. In der Entstehungszeit dieser Erklärung ist dies ein starkes politisches Signal, nicht die Herrschaft für die Festigung der Macht zu verwenden, sondern im Dienste der Menschen.
Der Herrschende hat einen Auftrag und eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft, die Gemeinschaft hat die Pflicht, ihm zu folgen, solange er sich an die Regeln hält und nicht nur seine Macht und Vorteile im Auge hat. In einer Gemeinschaft ist es von enormer Bedeutung, dass unterschiedliche Kompetenzen und Aufgabenteilungen existieren, nur so kann eine Gemeinschaft funktionieren. Das Volk vertraut den Herrschenden seine Angelegenheiten an, gewährt ihnen die Freiheit, im Sinne der Interessen der Gemeinschaft zu handeln und erwartet, dass sie ihre Aufgabe in bestmöglicher Form erfüllen.
Dienst an der Menschheit gilt im Islam als Gottesdienst, und diesen hat nicht nur der Herrscher zu leisten, sondern auch die einzelnen Menschen in der Gemeinschaft. Die Lebens- und Handlungsweise jedes Einzelnen hat positive oder negative Folgen für alle Mitgeschöpfe. Daher liegt die Intention der religiösen Lebensweise darin, bewusst und bedacht zu handeln und die Konsequenzen der Taten langfristig zu überdenken. Die kurzfristig gewinnbringenden Handlungen, die das Leben der Menschen und die Schöpfung beeinträchtigen, sind im religiösen Verständnis nicht tragbar. Eine scharfe Trennung zwischen den weltlichen Angelegenheiten und gottesdienstlichen Handlungen gehört nicht zum traditionellen islamischen Verständnis. Jeder Dienst an die Menschheit ist ein Gottesdienst, ob diese vom Staat oder von den Einzelnen ausgeführt wird.
These 5
„Fürchtet Gott, ehret den König“ (1. Petr. 2, 17)
Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.
Diese These unterscheidet zwischen der Beziehung des Menschen zu Gott und zum Staat. Der Staat hat die Aufgabe und die Macht durch das Gewaltmonopol das Zusammenleben zu regeln. Im Satz „Fürchtet Gott und ehret den König!“ ist sowohl eine klare Unterscheidung als auch eine Verbindung zwischen Gott und „Kaiser“ festzustellen.
Furcht vor Gott befähigt den Menschen, seine Verantwortung bewusst wahrzunehmen und sie entsprechend auszuführen. „Die göttliche Anordnung“ überlässt „menschliche Einsicht und menschliches Vermögen“ einem Raum, in dem der Staat Gewalt androht und ausübt, um Recht und Frieden herzustellen. Die These 5 erläutert eindeutig, dass das weltliche Recht und nicht die Religion herrschen sollte. Die Kirche erinnert zwar an das Reich Gottes, sie hat aber nicht die Aufgabe, dieses Reich auf der Welt zu errichten.
Der Staat hat nicht die Aufgabe für das Heil und die Erlösung der Menschen zu sorgen, und er hat auch nicht die Aufgabe, die Wahrheit zu definieren, diese sind die Aufgaben der Kirche. Diese Unterscheidung zwischen Wirkungsbereichen der Kirche und des Staates und die Betonung, dass die Kirche nicht zu „einem Organ des Staates werden“ sollte, bedeutet in der Zeit der Entstehung der Barmer Thesen, die Kirche vor Vereinnahmung und Instrumentalisierung zu schützen.
Die Erfahrungen in der Menschheitsgeschichte zeigen, dass dort, wo die Religion zur Staatsideologie erhoben wird, eine Art Absolutismus entstehen kann, der nicht in der Lage ist, die Grundrechte der Menschen zu schützen, die nicht zur religiösen Gemeinschaft des Staates gehören. Wenn Staat und Religion zwei getrennte und selbständige Organe sein sollen, wie können sie in einer Wechselwirkung miteinander agieren, ohne dass das eine sich dem anderen wie ein „Knecht“ unterwerfen muss?
Der Islam erhebt den Anspruch, Werte und Normen für die Staatsführung anzubieten. Der Prophet Muhammad hat bekanntlich auch als weltliches Oberhaupt der Gemeinschaft gehandelt. Dies war aber nicht als Errichtung einer Staatsform zu verstehen, die für alle Zeiten relevant sein sollte.
Er war vor seiner Berufung zum Prophet als engagierter, aktiver und vertrauenswürdiger Mensch in der Gemeinschaft der Stadt Mekka bekannt. Nach seiner Berufung zum Propheten sahen die Menschen in ihm die Person, die am besten den religiösen und weltlichen Herrscher verkörpern könnte, und somit waren sie bereit, ihn auch als weltlichen Führer anzuerkennen. In dieser Funktion traf er seine Entscheidungen nach Beratung und Austausch mit anderen Menschen und handelte nicht allein und eigenmächtig, er hielt den Rat der anderen für die Regelung der weltlichen Angelegenheiten für unentbehrlich. Er sprach nicht von einem Reich Gottes, sondern von einer Gesellschaft, die auf Recht und Ethik aufgebaut war. Die religiösen Werte sollten die Fundamente einer solchen Gesellschaft sein.
Die Omayyaden, die nach den ersten vier Kalifen an die Macht kamen, haben die Macht der Gelehrten und religiösen Führer drastisch eingeschränkt und sie angewiesen, sich nur mit den religiösen Fragen, dem Jenseits und der Beziehung des Menschen zu Gott zu beschäftigen und sich nicht in die weltlichen Angelegenheiten einzumischen. Seit dieser Zeit herrschten in der islamischen Geschichte zahlreiche Machtkämpfe zwischen weltlichen und religiösen Führern.
Die Meinung der Gelehrten, die eine Trennung zwischen Religion und Staat ablehnten, wurde immer wieder von den bekannten Gelehrten, wie z.B. durch die folgende Aussage von Al-Ghazali, einem bedeutenden klassischen Rechtsgelehrten des 11. Jahrhunderts, untermauert: „Die islamische Lebensweise ist Fundament und Säule, der Staat ist ihre Verwalter und Beschützer. Alles, was kein Fundament hat, wird zerstört und alles, was keinen Beschützer hat, wird vernichtet.“
Der Islam schreibt keine Staatsform vor, er erwähnt einige Werte, die wesentliche Bestandteile eines Staates sind: die Herstellung und die Bewahrung der Gerechtigkeit und des Friedens, das Gewähren von Grundrechte für alle, die in der Gemeinschaft leben, die Durchsetzung des grundlegenden Prinzips, dass niemandem Schaden zugefügt werden darf, weder in seiner Person noch in seinem Besitz. Ein „islamischer Staat“ muss diese Aufgaben erfüllen.
Die Begriffe Demokratie und Säkularismus sind nicht in den islamischen Quellen zu finden, da sie neuzeitliche Begriffe sind. Es ist die Aufgabe der Muslime zu überprüfen, ob der Islam mit diesen Formen der Staatsführung zu vereinbaren ist. Es gibt Gelehrte, die den Garanten für die Durchführung der islamischen Prinzipien in einem Staat in der Trennung zwischen Religion und Staat sehen. Andere wiederum vertreten die Meinung, dass ein islamischer Staat nur mit Gesetzen und Anordnungen aus dem Qur’an zu führen sei, und nur die Rechtsgelehrten seien berechtigt, als Staatsorgan diese Führung zu übernehmen. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage wird in den nächsten Jahren ein wichtiger Bestandteil des theologischen Diskurses im Islam sein.
In der Staatsführung sind Werte und Normen notwendig, und die Religion kann sie anbieten und in diesem Sinne eine sinnvolle Orientierung sein und eine beratende Funktion haben. Die menschliche Einsicht und sein Vermögen, die ihn befähigen einen Staat zu führen, können durch religiöse Prinzipien aufgebaut, unterstützt und entfaltet werden. Die Religionsfreiheit und freie Ausübung der Religiosität kann aber nur ein Staat garantieren, der sich selbst nicht zu einer Religion bekennt.
These 6
„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt. 28,20)
„Gottes Wort ist nicht gebunden“ (2.Tim. 2,9)
Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi statt und also im Dienst seines eignen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.
Diese These hatte sicherlich das Ziel gehabt, die „Verdeutschung“ der Kirche durch Deutsche Christen zu verhindern, indem sie sich als „gerichtet an aller Völker“ erklärt. Sie erklärt aber auch die Beziehung der Kirche zu Nichtchristen und ihren Missionsauftrag, der ein wichtiger Bestandteil des christlichen Glaubens ist. Mission als Auftrag, aufzubrechen und die Nichtchristen einzuladen, hat ja bekanntlich unterschiedliche Wege im Laufe der Geschichte eingeschlagen, die nicht immer das Prinzip der „Nächstenliebe“ im Christentum als Grundlage hatten.
Der Auftrag, die Anderen einzuladen und ihnen den Zugang zu Gott zu ermöglichen, ist in den meisten Religionen mit unterschiedlicher Akzentuierung vorhanden. Der Auftrag, sich zu erheben, auf den Weg zu begeben und den anderen die Lehre näher zu bringen, wurde leider auch so verstanden, dass dies auch mit Gewalt möglich sei. Sie hat ebenso als Vorwand gedient, Herrschafts- und Machgebiete zu erweitern. Für diesen Zweck wurde sie ein Mittel der Unterdrückung und Vernichtung der anderen Traditionen und Kulturen.
Es ist ein Unterschied zu verkünden, dass der bezeugte Gott alle liebt in ihren eigenen Traditionen oder ob man sagt, dass diese Liebe nur denjenigen gewährt ist, die in einer bestimmten Religion verwurzelt sind oder bereit sind, sich darin einzugliedern. Wenn dies eine Voraussetzung und Bedingung für die Angenommenheit in Gottes Liebe wird, kann sie zu einem erheblichen Hindernis wie in der These 1 im Dialog werden.
Eine wichtige Voraussetzung für einen Dialog ist die Standhaftigkeit im eigenen Glauben und die Verbundenheit mit ihm. Erst wenn der Mensch einen festen Standpunkt hat, kann er mutig und offen den Anderen gegenübertreten und die Bereitschaft haben, mit ihnen über den Glauben zu sprechen. Aus diesem Grund ist die Barmer Erklärung wichtig: Die christlichen Glaubensprinzipien werden deutlich formuliert, und das Selbstverständnis des Menschen christlichen Glaubens dargestellt.
Der Dialog ist auch die Möglichkeit, durch Austausch und Gespräch mit anderen auf die kritischen Standpunkte aufmerksam zu werden und zu versuchen, sie zu erklären oder auch zu verändern, wenn die Kritik angebracht ist. Wichtig ist auch im Dialog, dass man nicht in Versuchung kommt, sich selbst zu leugnen, um den Anderen einen Gefallen zu tun. Denn der Zweck des Dialoges ist es, den anderen kennen zu lernen, die Gemeinsamkeiten zu entdecken und sie als Grundlage der Zusammenarbeit zu betrachten.
Ebenso müssen die Unterschiede wahrgenommen und sie mit Respekt stehen gelassen werden. Auf diesem Weg müssen wir auch lernen, Geduld zu haben und zu ertragen, wenn einige Aussagen und Praktiken der Anderen nicht der eigenen Auffassung entsprechen. Dialog ist keine Verkündigung des eigenen Glaubens, um den Anderen davon zu überzeugen, sondern ein Kennenlernen und der Versuch zu verstehen wie der Andere glaubt und danach lebt. Das Zuhören ist die wichtigste Prämisse im Dialog und regt zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung an.
Die Barmer Theologische Erklärung kann einen Beitrag für den Dialog mit Muslimen sein, da sie die Differenzen deutlich macht, die erwähnt und bestehen bleiben können und sollen. Sie thematisiert Positionen, die in der Gestaltung der Gesellschaft von Bedeutung sind und in diesem Sinne eine hilfreiche Grundlage für die Zusammenarbeit sein kann. Sie ist sicherlich eine neue Zugangsmöglichkeit für die Muslime zum Christentum und bietet Chancen im Dialog, auch auf praktischer Ebene weiter zu kommen.
Hamideh Mohagheghi