Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Auf Spurensuche in Barmen
Schwebende Impressionen bei einer Fahrt nach Wupperal
Wo der Regen an den Kuppen der bewaldeten Berge wolkenreich verharrt, wie Trauben lange an den Rebstöcken verweilen, wo beschieferte Fachwerkhäuser grüßen, zwischen der nie enden wollenden Verstricktheit von Straßen, die wie Spinnennetze über kaum sichtbares felsiges Land ausgebreitet liegen, zieht sich hin im Tal flachbrüstig das Nass der Wupper.
Wo einst Vögel schwebten über das schmale Band silbrigen Wassers, trachtend nach Beute, stöhnt und ächzt heute das hängende technische Monstrum einer Einschienenbahn, besser bekannt als Wuppertaler Schwebebahn.
Eingeschränkt betrachtet unter dem Gesichtswinkel des Platzmangels einer explodierenden Großstadt, eingeklemmt in den Bergeshängen, doch wohl sehr ökonomisch und eine geniale Idee. Denn der Fluss will hier einfach nicht schiffbar werden, sprich nutzbar für Wasser- oder andere Fahrzeuge. So erfand man diese Art einer Stelzenbahn.
Wir erklimmen gerade die Stufen der „Zoo Station“ bei herrlichem Sonnenschein. Das Kiosk an seinem Fuße, wo es über gefühlte Jahrhunderte Gazetten und Rauchwaren zu kaufen gab, ist verwaist. Fahrkartenbillets konnte man dort auch einst erwerben, für einige Groschen, Pfennige, D-Mark und dann Euros. Ein Fahrkartenautomat spuckt heute für uns gegen Bezahlung tatsächlich Fahrscheine aus.
Wer erstmals so einen luftigen Bahnhof betritt, hat schon ein wenig Schwindelgefühl. Nicht wegen der Höhe der Station, die ist zwar beträchtlich aber erträglich. Schauder erregt der Anblick vom Ende des Perrons, heute eher als Bahnsteig bekannt. Dass da keine Schienen liegen, mag auch verwirren. Krass ist aber der Abbruch dieses ohnehin leeren „Schienenbettes“, so abgeschnitten gleichsam mit dem Ende der ganzen Bahnstation. Darunter die Wupper glitzernd und gurgelnd, doch unhörbar. Die Stadt ist laut. Zu laut um wirklich etwas zu hören. Mein Hirn ergänzt aber sekündlich das fehlende plätschernde Geräusch in meinem Kopf, welch eine Leistung.
Eine Gegenbahn rattert herein. Bremst. Der dreigliedrige Wagon kommt zum Stehen. Er schwankt leicht gegen die Bahnsteigkante und zurück, das wiederholt sich, immer mehr sich abschwächend. Tauben fliegen aufgescheucht empor, den umstrittenen Brotkrumen mit Lauten des Bedauerns verlassend.
Die Bahn entleert sich indes unbeeindruckt von den seitlichen Pendelbewegungen von ihren Passagieren und nimmt zugleich neue Fahrgäste in sich auf. Schon schließen sich die Türen und die an ihrer kopfüber hängende Schienen-Tram entfernt sich eiligst, verlässt hier den Flusslauf und biegt nach rechts in die Sonnborner Straße, wo sie zum Überflieger des Straßenverkehrs wird. Die Kurvenfliehkraft bringt den ganzen Zug in eine Schräglage und die Laufräder oben auf der Schiene ächzen dabei ein stählernes Klagelied in den wolkenlosen Himmel.
Schwebebahn am Zoo-Stadion in Wuppertal
Fast gleichzeitig und unbemerkt schwebt nun unsere Gondel in die luftige Halle hinein, nimmt auch uns willig auf. Wir erstehen einen Platz. Die Türen schließen. Ich erfasse blitzschnell eine Haltestange. Der Anruck ist aber nur mäßig. Das Sprachengewirr ganzer Nationen erfüllt den Fahrgastraum. Direkt neben mir höre ich zwei sitzende junge Männer in lallenden Lauten sich sprachmalerisch verständigen, irgend eine arabische Sprache. Wie kann man aus so vielen LLLLLLL’s etwas heraushören was Sinn ergibt? Ich staune. Sie mögen knapp an die zwanzig Jahre jung sein. Herrliche schwarze krause Haare schmücken ihre Häupter.
An der Haltestange neben uns, unweit meiner Hand, wird diese von einer zarten Mädchenhand umschlossen. Bin ja mit dieser Hand quasi durchs verchromte Eisenrohr verbunden. Mein Blick macht sich nun an den Fingern fest. Die Fingernägel schwanken farblich zwischen tiefem Schwarz und einem Aubergine. Sie trägt neumodisch eine ebensolche schwarz finstere dicke Brille aus einem Plastegestell bestehend, wie man sie in den 1950-60 ziger Jahren zwangsläufig einmal trug in Ermangelung flotterer Modelle. Die Ohren hat sie verstöpselt mit weißen Miniohrhörern, aus denen ich so etwas wie Musik scheppern höre trotz allen Getümmels und Brummen der Elektromotoren über uns.
Der Blick aus dem Waggon ist dem neugierigen stehenden Fahrgast erschwert bzw. verwehrt. Die Oberlichter der Kabinenfenster sind fast komplett mit Reklamen überklebt, wie schade für den interessiert blickenden Touristen. Auch ich habe einen schwarz-auberginigen Fingernagel. Habe den Daumennagel am frühen Morgen noch schlaftrunken durch einen ungeschickten Griff gegen eine Stuhlkante nach außen abgeknickt.
Dumm von mir. Vergleiche ihn heimlich mit den Nägeln des jungen auch arabisch anmutenden Mädchens. Draußen huschen gerade die aufgewienerten Backsteinfabrikgebäude einer uralten Bayer-Fabrik vorbei, solche Industriegebäude haben Charme. Am Saum des gegenüberliegenden Berghanges erstreckt sich eine stuckreiche Häuserzeile die Straße entlang, typisch für diese Stadt, wo der letzte Krieg hier etwas übrig ließ.
Wer Jugendstil mag, kommt ganz auf seine Kosten. In der Fahrkabine sehe ich mindestens drei alte Frauen unweit neben uns stehen. Auch ältere Männer kann ich ausmachen. Gern würde ich ihnen meinen nicht vorhandenen Sitzplatz anbieten. Die jungen Leute, egal welchen weltweiten Ursprungs sie sind, sitzen beharrlich. Sie sind flinker als die Alten, also pfiffiger, wie man in alten Zeiten noch sagte. Sie haben Siegermentalität. Wer sitzt, ist immer ein Erster, also ein Sieger. Die alte Oma dort ist ohnehin schon morgen oder noch heute tot, was soll’s, wenn sie vorher noch einmal sitzen konnte? Auch ich bin mit meinen 62 Jahren ja fast ein alter Mann. Jugend-Stil neuzeitlich? Jetzt nur nicht daran denken, was wir unseren Kindern beigebracht haben, wir machen doch Urlaub.
Eine junge Frau mit Kinderwagen steigt zu bei einem der nächsten Halts. Wir bieten ihr neben dem Kinderwagen den Sitzplatz an, der gerade frei geworden ist. Sie verzichtet dennoch erfreut, bleibt lieber stehen. Wir erfreuen uns wiederum am Anblick des noch unschuldigen Kindes, es schläft bei allem Getöse und Gedröhne der Bahn und schert sich nicht um das Geschaukele.
Ganz anders mein Magen. Der meldet sich derart, dass er sich zum Zentralorgan in meinem Körper gar aufschwingt. Ein plötzliches Unwohlsein macht sich in meiner Bauchgegend immer breiter. Durch Missachtung versuche ich dieses Bauchgefühl zu verdrängen. Fahre ich doch schließlich nicht das erste Mal mit dieser Bahn, was soll das? Seekrankheit am Berghang? Wo mir doch auf keinem Schiff das bisher widerfuhr? Ich muss es akzeptieren. Nein, ich bin doch kein Schwächling. Wann kommt endlich zum Gotterbarmen, dieses Barmen – Wupperfeld, unsere Endstation heute? Wuppertal reckt sich aber gerade. Es hat heute an Überlänge noch dazugewonnen!
Die junge Frau mit dem Kinderwagen entsteigt dem Wagon im Stadtzentrum wie auch alle anderen Passagiere dieses ominösen Dampfers von Schwebebahn. Wir haben wohl gerade mal die Hälfte der Fahrt geschafft, registriert mein Unterbewusstsein, doch will ich das jetzt nicht vernehmen. Dafür kommt eine neue Kolonne von Mit- und Beifahrern reingerauscht. Jetzt heißt es durchhalten! Ah, da sehe ich noch den schönen Rathausturm! Lenke mich noch ein paar mal ab mit Blicken auf wunderschöne Kirchturmspitzen oder auf den unter uns liegenden Wasserlauf, vielleicht kommt doch mal ein Schiff?
Dabei fällt mir eine Animation ein vor Jahren im Technikmuseum am Geburtshaus von Friedrich Engels in Oberbarmen. Dort simulierte man eindrucksvoll die Verschmutzung der Wupper über die Jahrhunderte, ihren Missbrauch als Kloake für jegliche Industrie- und städtische Abwasser. Man stand auf einem Steg und unter einem sauste eine immer schlimmer werdende Brühe hindurch. Heute ist sie wieder glasklar die Wupper, vorbei die Zeit der giftlila Schaumkämme, wie wir sie in Bitterfeld oder bei Riesa damals bei uns sahen. Eine feine Leistung.
In Barmen-Wupperfeld angekommen geht es weiter zu Fuß mit dem Navigationssystem aus dem Auto. Dem ist die Fahrt mit der Bahn auch nicht bekommen. Es findet nicht den Fußgängermodus, ist genauso benommen wie ich. Wahrscheinlich sucht es den gefühlten fehlenden Flieger- oder Schiffsmodus. Wir suchen derweil aber die Gemarker Kirche, bzw. deren Reste.
Auch der Stadtteil Barmen wurde 1943 ohne Erbarmen dem Erdboden durch Bombenangriffe gleich gemacht, gleich Sodom und Gomorra. Das Navi führt uns nun doch gleich zu einer Kirche Nähe der Sternstraße. Sie ist verschlossen, der Name ist mir entfallen, ja auch unwichtig. Wozu braucht man denn auch verschlossene Gotteshäuser, sie sind zu nichts nütze? Wir tippeln nun weiter durch die Sterntrasse bis zu ihrem baldigen Ende, ohne das wirkliche prickelnde Sternenerlebnis. Ein älterer Herr, der gerade seinen Autoparkplatz sucht, schickt uns auf Anfrage zur eben schon passierten Kirche zurück, das soll die Gemarker nach seiner Ansicht sein.
Historische Ansicht der Gemarker Kirche um 1900
Im Gegenzug verraten wir ihm auch sofort, wo er sein Auto geparkt hat, denn den ALDI-Parkplatz hatten wir gerade zuvor tangiert, wo er sein Auto vermutete. Umständlich erklärt er uns noch, wie man mit dem Auto um die beiden Häuserecken herum zu der von uns schon ausgemachten Nicht-Gemarker Kirche kommt. Als wir ihm erklären, wir würden zu Fuß dort hinlaufen, war er ohnehin völlig platt.
Das Navi zeigt uns aber nach vielen Versuchen eine neue Funktion an. Wir können uns zeigen lassen, wo wir uns befinden und es zeigt uns nicht ganz überraschend die Sternstraße, so wie es ohnehin auch auf den Schildern an den Häusern abzulesen ist. Der Wandermodus ist unabrufbar vom Gerät verschwunden. Also auf die eigene Nase vertrauen, die haben wir noch dabei bzw. den richtigen Riecher.
Eine weitere Publikumsbefragung bestätigt dann die richtig eingeschlagene Richtung. „Gemarker Kirche? Da müssen Sie hier die Fußgängerzone bis ans Ende laufen, da ist die dann wohl ganz rechts irgendwo“ behauptet eine ältere Frau mit einer noch älteren untergehakt bereits am Stock gehenden Dame. Die müssen es ja wohl wirklich wissen.
Jedoch ein „Genau weiß ich das aber nicht!“ fügt sie noch unsicher hinzu. Meine eigene Unzufriedenheit gipfelt jetzt in der etwas ungehaltenen Bemerkung „Na Sie sind wohl katholisch?“ und ich ziehe mir die leicht empörte Bemerkung zu „Was denken Sie, ich bin mein ganzes Leben lang schon evangelisch!“ Nun frage ich beschwichtigend noch nach dem relativ neuen Denkmal für das „Barmer Bekenntnis“.
Das kennt sie offenbar auch. Das sei auch dort in der Fußgängerzone, bekommen wir nun zu hören. Hunderte Meter weiter frage ich noch einmal ein altes Ehepaar nach dem Ort unserer Sehnsucht, da sich außer Geschäfthäusern nichts weiter zeigen will. Sie halten zunächst erst einmal ihre Taschen vor uns fest, wissen aber nichts von einer Gemarker Kirche, die müsse wenn überhaupt in Gemark sein, dies hier ist aber Barmen in Wuppertal und weisen mit den Häuptern in die Richtung unserer augenblicklichen Herkunft.
Hinweisschilder oder eine Citykarte sehen wir nirgendwo, der Wuppertaler hält zumindest hier in Barmen alles für gleich wichtig oder unwichtig in seiner Stadt. Vielleicht muss ich auch richtiger sagen der Barmer in Wuppertal? Hier werden nur Distanzen von Bedeutung erwähnt, z.B. auf dem Johannes-Rau-Platz. Schwerin 388 km, natürlich Luftlinie oder das noch wichtigere Beer Sheva nur schlappe 3173 km entfernt, pah!
Wegweiser Johannes- Rau-Platz
Nachdem meine Frau erneut das Interesse an einem Blumenladen gefunden hat, werfe ich einen Blick auf einen weiteren Monumentalbau, vor 1945 zerstört und dann prächtig wieder aufgebaut. Doch gleich daneben erweckt ein dort beigefügtes Monsterdenkmal eines Fürst Bismarck mein Interesse. Danach landen wir vorbei am gigantischen Barmer Rathaus in einem Döner-Kebab um erst einmal den aufgekommenen Hunger zu stillen. Merhaba und Teschek ür ederem! Hos schakal. Hat prima geschmeckt.
Dem Bismarck hatte man übrigens eine eherne wunderschöne Germania zu Füßen gesetzt, sie macht das Denkmal etwas erträglicher von seiner Wucht. An ihren Rundungen haben offenbar viele Passanten ihren Gefallen, das sieht man an den blanken Stellen des Metalls deutlich, warum auch nicht, da wird selbst der Petrus im Petersdom etwas neidisch bei dem Anblick und nicht nur feuchte Augen bekommen. Auch hat man die Spuren des Krieges an dem Denkmal nicht völlig getilgt, es trägt Zeichen der Verwundung von Bombensplittern im roten Granitsockel. Gut so, denn Denkmal kann auch Mahnmal sein, die Wuppertaler wissen darum.
Nachdem wir einen C&A erfolgreich zwischendurch geplündert haben um unseren kleinen Frust des Suchens noch mehr zu vergessen, entdecken wir endlich rechts in einer kurzen Distanz den Kirchturm der Gemarker Kirche. Die Kirche, in der ein kleines Häuflein aufrechter evangelischer Christen den Versuch unternahm, den mehrheitlichen Nazichristen zu widersprechen, wenn auch beinahe zaghaft so doch auch sehr mutig schon im Jahre 1934, also ein Jahr nach der sogenannten Machtergreifung eines Adolf Hitlers.
Blick auf die Gemarker Kirche 2011
Gedenktafeln am Turm
Wie oft hatte ich diese Thesen im Konfirmandenunterricht oder in der Jungen Gemeinde oder in Hauskreisen besprochen? Damals in der DDR, in meiner Diakonen-Funktion als kirchlicher Mitarbeiter. Vom Mut der evangelischen Christen im Nationalsozialismus, einer alles beherrschenden Ideologie zu widerstehen, konnten wir, nein mussten wir doch auch Kraft tanken können! Und die selbstherrlichen Herrscher des angeblichen „Sozialismus“ konnten ja nicht einschreiten gegen diese Thesen, da sie sich ja auch als die eigentlichen Gegner des Faschismus verstanden haben wollten und feierten.
Natürlich hatte ich schon per Internet alle Fakten der Zerstörung der Gemarker Kirche und deren fragmentarischen Wiederaufbau nach 1945 mir angeeignet. Doch es war ein tiefes inneres Gefühl plötzlich vor dem Gebäude zu stehen mit der Gedenktafel am Kirchenschiff und die 1. These zu lesen „Jesus Christus, wie er uns in der heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben wie im Sterben vertrauen und zu gehorchen haben.“ – nicht Hitler!
Das ist wie der Schlussakkord bei einer Symphonie, wo das letzte „Ta-ta! Ta-ta“ uns noch einmal seelisch umreißt. Das alles hat es wirklich gegeben! Hier an dieser Stelle! Du hast nicht nur dieses unmenschliche DDR-System überlebt, nein, du stehst jetzt hier als freier Mensch, beinah wie ungläubig und siehst was du verkündet hast real vor Augen.
Das Portal neben der Gedenktafel am Fuß des Kirchturmes ist nicht offen, obwohl man mit einem Schild „Kirche geöffnet“ wirbt.
Durch ein Café kann man die Kirche betreten, erfahren wir auf einem nächsten Hinweisschild. Schon etwas merkwürdig für so einen denkwürdigen Ort. Durch den Kaffeedunst und das Gekicher zahlreicher rüstiger Rentnerinnen entweihe ich meine kleine aufgekommene heilige Gänsehaut. Im Anbau der vorgeblendeten Lokalität finden wir auch Einlass ins eigentliche Kirchenschiff.
Kirchenschiff der Gemarker Kirche 2011
Moderne schlägt einem kühl entgegen aber auch gekonnte Erinnerungsarchitektur. Hier gibt es nichts zu beklagen wegen der Zerstörung einer wunderschönen Kirche. Hier ist die verloren gegangene menschliche Vernunft oder in diesem Fall eher der Verlust aller christlichen Glaubenswerte für mehr als ein Jahrzehnt zu beweinen, trotz dieser wenigen Mutigen. In Sodom sollten nur 10 treue Gläubige die Stadt retten können vor Verwüstung, in Barmen war eine ganze Synode zu wenig für ein verirrtes irres Volk.
Neben dem Café gibt es auch einen kleinen „Eine-Welt-Laden“, wie er bei uns hier genannt wird. Dort frage ich nach dem Standpunkt des Denkmales zum „Barmer Bekenntnis“. Nach der Beschreibung des ehrenamtlich tätigen Verkäufers müssen wir daran wohl schon vorbeigelaufen sein, peinlich. In der Tat. Als wir das kurze Stück hin zur Fußgängerzone wieder durchschreiten steht es da auf einmal, umwuselt und verdeckt von den zahlreichen Passanten im Treiben dieser frühen nachmittäglichen Stunde. Nach dem gigantischen Bismark konnte ich offenbar nicht so klein denken und war nur auf Großes aus, habe es übersehen auch Kerstin meine Frau.
Erst als ich interessiert meine Kamera auf das Objekt der Begierde richte und fotografiere bleiben auch zwei drei Leute stehen und überlegen vielleicht, wie oft sie hier schon vorbeigelaufen sein mögen, ohne es wirklich zu sehen.
Dennoch ist dieses beinahe winzige Denkmal eine riesige Übertreibung und trotzdem sehr wirklich. Warum? Zählt man die dargestellten jubelnden „Deutschen Christen“ in Hitlergruß-Pose und die wenigen „Neinsager“ bzw. „Bekenner“ zum wahren Glauben einmal durch, dann ist das sehr schmeichelhaft im Verhältnis zur damaligen Wirklichkeit dargestellt. Die Künstlerin konnte natürlich unmöglich dieses Missverhältnis real darstellen. Man sagt allgemein wären im Hitlerreich 3 Prozent der Bevölkerung überhaupt nur in irgend einer Art von Widerstand gewesen.
Die Deutschen Christen
als Nazi-Jubelmasse
Das kleine Häuflein aufrechter Christen
mit der Bibel
Wie viele evangelische Christen aktive Faschisten oder auch nur Mitläufer waren, wer kann es ermessen? Wie sieht es heute aus mit dem Engagement in der Politik? Dabei denke ich nicht an Parteizugehörigkeiten sondern an waltendem Sachverstand, der mutig einzubringen ist. Am Monumentalbau, ein paar hundert Meter zuvor mit dem Bismarck, ist mir auch eine Erinnerungstafel an die Geschwister Scholl nicht entgangen, der ganze Platz ist nach ihnen benannt. In meiner Heimatstadt Neustrelitz ging ich ein paar Jahre in die „Geschwister Scholl Oberschule“, ohne je zu erfahren, was diese beiden Antifaschisten taten und vor allem aus welcher Überzeugung, nämlich aus tiefem christlichen Glauben.
Ganz sicher hat diese Stadt an der Wupper noch mehr Erinnerungspotential, ich erzähle hier nur von dem beinahe fast zufällig gesehenem an diesem herrlichen Oktobertag in dieser pulsierenden deutschen Metropole.
Auf der Rückfahrt Richtung Vohwinkel bleibt mir eine wohl auch arabisch stämmige junge Frau in der Erinnerung haften. Im besten Deutsch kaut sie mir ein Ohr ab, indem sie ständig etwas in ihr Unterwegstelefon hineinblökend quasselt, während ich das Gesehene noch auf mich einwirken lassen will. Wie immer geht es auch bei ihr um die anderen abgerissenen Typen.
„Weißt du eigentlich mit was für einer abgefuckten Tussi mein Ex jetzt rumläuft? Und wie sie sich schminkt! Die sieht so was von Scheiße aus, weißt Du?…“ Sie selber ist in der Tat feinstens präpariert. Ihre Wimpern sind eine Augenweide, sie könnte damit ihr ganzes Gesicht beschatten. Ihr Ausstieg an einer der nächsten Stationen ist wie eine Erlösung und zugleich Befreiungsschlag. Den Rest sitzen wir nun sogar und schauen auf Wupper und vorbeiziehende Stadtviertel.
Wieder im Zooviertel angekommen betreten wir das „Schweriner Ufer“.
Wuppertal verbindet eine Städtepartnerschaft mit der mecklenburgisch-vorpommerschen Hauptstadt, das Schild in Barmen wies schon darauf hin. Dort wurde 1976 unsere Tochter Sunhild-Juliane geboren ganz in der Nähe des Ufers vom Schweriner See. Was für ein geschichtlicher Bogen sich doch manchmal spannt.
Am Schweriner Ufer
Unsere Tochter wohnt nämlich heute in diesem Wuppertaler Zooviertel mit Mann und Kind. Deshalb sind wir eigentlich wieder mal hierher gekommen, um unseren kleinen Kronprinzen und Neuwuppertaler Ferdinand zu besuchen und um mit ihm den frisch restaurierten Märchenbrunnen neben den herrlichen Jugendstilfassaden zu umrunden.
Demutsarchitektur der Gemarker Kirche in Barmen –
Blick durch eine Milchglasscheibe ins Innere
Wir evangelischen Christen verdanken auch diesem kleinen Häuflein Aufrechter, die sich in der schwärzesten Geschichte Deutschlands, dort in Barmen versammelten, zu einer Synode mit einem mutigen Bekenntnis gegen den Einfluss einer alles beherrschenden Ideologie des totalitären Staates, unser Heute und wenn Gott will auch die Zukunft.
Für meine Arbeit als Diakon in der DDR waren die Barmer Thesen ein Eckstein, wo ich selber Halt fand und auch weiter Halt vermitteln konnte.
In dem Stadtteil Barmen hat man den mutigen Synodalen ein ewiges Andenken bewahrt und es durch dieses Kleinod der Wuppertaler Künstlerin Ulle Hees wirkungsvoll für immer ins Bild gesetzt.
Text und Fotos: Wilfried Baganz, Neustrelitz