Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Die Rezeption der Theologie Calvins in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik
Überlegungen zu Barth als Schüler Calvins
I Der historische Calvin – der lebendige Calvin. Gemeinsamkeiten zwischen Calvin und Barth
1. Calvin und Barth als gesamtbiblische Theologen
2. Calvin und Barth als Schüler Martin Luthers
3. Calvin und Barth als ökumenische Theologen
II Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis
Der the-anthropologische Erkenntnisweg der Institutio und der Kirchlichen Dogmatik
1. Die Erkenntnis Gottes und des Menschen (Inst I,1)
2. Das Problem der natürlichen Theologie bei Calvin (Inst 1,3–5)
3. Christus, das eine Licht und die Lichter (KD IV/3)
III Doppelte Prädestination oder Gnadenwahl. Barths kritische Rezeption der Erwählungslehre Calvins
1. Die Erwählung der Gemeinde zur Heiligung (Calvins Intention)
2. Absolute Allmacht und doppelte Prädestination (Barths Kritik)
3. Die Erwählungslehre als die Summe der Versöhnungslehre (Barths Neuansatz)
IV Epilog: Der historische Calvin ist der lebendige Calvin
In seiner Einleitung zur Calvin-Vorlesung und seiner Meditation über die von Calvin zitierte Cicero-Sentenz aus dem Altertum "Historia vitae magistra"(1), die Geschichte ist die Lehrerin des Lebens, sagt Barth: "Der historische Calvin ist der lebendige Calvin [...] Ein noch so pietätvoller und getreuer Nachredner Calvins ist darum noch [...] kein von Calvin wirklich Belehrter. Unsere Belehrung durch Calvin muss sich vielmehr in der Weise vollziehen, dass Calvin mit uns ein Gespräch führt, er als Lehrer, wir als die Schüler, [...] ein Gespräch also, das möglicherweise damit endigt, dass wir als Belehrte nachher etwas ganz Anderes sagen, als was Calvin gesagt hat, und was wir darum doch von ihm oder besser: durch ihn gelernt haben. Magistra und darum historia wird die Lehre Calvins erst dadurch, dass durch sie ein eigenes, selbständiges [...] Wissen in uns erweckt wird"(2).
Nicht um ein historistisches bloßes Wiederholen und Nachsagen geht es Barth also, sondern um ein Gespräch zwischen dem Lehrer und Schüler, in dessen Verlauf der Schüler zum selber die Quelle der Theologie Calvins Findenden, zum selber auf die Schrift Hörenden wird. War doch die conversio ad docilitatem für Calvin selber die Umkehr bzw. Umkehrung zu einem hörbereiten Lernen und lernbereiten Hören auf die Schrift(3).
I. Der historische Calvin – der lebendige Calvin. Gemeinsamkeiten zwischen Calvin und Barth
Diese Schülerschaft Barths gegenüber Calvin soll in Teil I zunächst an einigen mehr allgemeinen Punkten der Gemeinsamkeit zwischen Johannes Calvin und Karl Barth beschrieben werden:
1. Calvin und Barth als gesamtbiblische Theologen
Calvins Theologie ist eine Institutio, d.h. eine Unterweisung in eine gesamtbiblische Theologie. In seiner Vorlesung von 1922 sagt Barth über die Institutio als Einübung im Christentum, als erleuchtende und bezwingende Darlegung der christlichen Wahrheit: "Die Norm, an der sich die calvinische Theologie zu ihrer Rechtfertigung misst", liegt nicht apologetisch außerhalb ihrer selbst, "liegt vielmehr in ihr selber, sie ist [...] die Heilige Schrift"(4). Und zwar die Schrift in ihrem alt- wie neutestamentlichen Zeugnis und Kanon, den Calvin wiederum so gewichtet: Die Propheten sind die Ausleger des Mose, und die Apostel sind die Ausleger der Evangelisten. "Man hat vom Judaismus Calvins geredet, weil er den wesentlichen Zusammenhang von Altem und Neuem Testament nicht fallen lassen wollte, vielmehr [...] ihre Einheit behauptete"(5).
Dabei versteht Calvin die differenzierte Einheit des Alten und des Neuen Testaments in der einen Bibel präzis so, dass er – ganz unprotestantisch – die Propheten nicht als Überbieter, sondern als Ausleger und Interpreten der Tora des Mose und entsprechend die Apostel als Ausleger der Evangelisten versteht (Inst IV 8,6).
Barth war auf der Synode in Reformiert-Barmen vom 3./4. Januar 1934 von Calvin belehrt, als er in der These 5 die Intention der gesamtbiblischen Theologie Calvins wie folgt zusammenfasste: "Die Kirche hört das ein für allemal gesprochene Wort Gottes [...] in dem doppelten, aber einheitlichen und in seinen beiden Bestandteilen sich gegenseitig bedingenden Zeugnis des Alten und des Neuen Testamentes, d.h. in dem Zeugnis des Mose und der Propheten von dem kommenden, und in dem Zeugnis der Evangelisten und Apostel von dem gekommenen Jesus Christus"(6).
Barth erläutert diese These in der Schülerschaft zu Calvin: "Die Kirche aber hört hier [im ganzen Kanon] nicht Frömmigkeit, sondern Zeugnis von solchen, die das Wort Gottes selbst gehört und gesehen und betastet haben. Das sind miteinander dort Mose und die Propheten, hier die Evangelisten und Apostel. Altes Testament und Neues Testament sind nicht dasselbe [...] Nur in diesen zwei Worten lässt sich sagen, was uns gesagt sein muss vom Kommen des Reiches Gottes (und) dem Geschehen des Willens Gottes an uns und unter uns [...] Eines weist auf das Andere hin und ist durch es bedingt. Wer Eines wegnimmt, nimmt auch das Andere weg"(7).
Zwei Jahre nach Reformiert-Barmen hat Barth diese gesamtbiblische Schülerschaft gegenüber Calvin aus aktuellem Anlass der Calvin-Feier 1936, dem 400. Jahrestag der Institutio von 1536, wiederholt: "Wer ein Schüler Calvins wird, der wird ein Schüler der heiligen Schrift. Wir danken es ihm, dass [...] er uns eine theologische Existenz vorgelebt hat, die wie selten eine die eines Lesers und Erklärers der heiligen Schrift gewesen ist, der in ihr nicht seine eigenen, sondern Gottes Gedanken gesucht und gefunden hat." Nicht an die Ergebnisse der Auslegung Calvins sind wir gebunden. "Wir sind aber durch seine Auslegung gefragt, ob wir in gleicher Weise wie er an die heilige Schrift gebunden sind"(8).
Im gleichen Jahr hat der Bruder von Karl Barth, Peter Barth, in der Festschrift für Karl Barth zum 50. Geburtstag die Institutio Calvins als "Einführung in die Schrift" bezeichnet: "Sie will eine Anleitung sein zum aufmerksamen, disziplinierten Hören auf das Zeugnis der Schrift in seiner ganzen bewegten Vielgestaltigkeit und dennoch verborgenen Einheit." Und dann fügte er im Vergleich mit den Summen der Scholastiker hinzu: "Darum muss sich Calvins systematisches Hauptwerk gegenüber den Summen eines Alexander und eines Thomas ausnehmen wie ein Bündel lose aneinander gereihter Traktate"(9).
Hans-Joachim Kraus und Brevard Childs haben Calvins gesamtbiblische Theologie als eine noch vor uns liegende künftige Aufgabe gewürdigt(10). Hier liege bei Calvin ein gesamtbiblisches Fragen und Theologisieren vor, das nicht nur nach dem canonical approach im Blick auf das Alte Testament, sondern im Blick auf beide Testamente fragt: eben im Blick auf das sich wechselseitig bedingende Zeugnis des Mose und der ihn auslegenden Propheten, der Evangelisten und der sie auslegenden Apostel.
Besonders Brevard Childs hat in seinem jüngsten gesamtbiblischen Entwurf zum Alten und Neuen Testament, "Biblical Theology of the Old und New Testament" (1992), gesagt, dass die Implikationen des calvinischen Verständnisses des Zusammenhangs zwischen Exegese und Theologie sehr tief sind und zugleich eine Befragung und Infragestellung moderner Annahmen über die Aufgabe einer gesamtbiblischen Theologie darstellen(11).
Noch der späte Barth hat in seiner "Einführung in die evangelische Theologie" (1962), 40 Jahre nach seiner Calvin-Vorlesung, die Realisierung einer gesamtbiblischen Theologie und ihrer Methode als einen Weg umschrieben, der mehr dem Umwandern eines Gebirges als einem von oben her erfolgenden systematisierenden Zugriff vergleichbar ist: In der Schule der gesamtbiblischen Zeugen "kommt die Theologie unvermeidlich ins Wandern: vom Alten zum Neuen Testament und wieder zurück [...] Die Arbeit der Theologie wird in dieser Hinsicht mit dem unermüdlichen Umschreiten eines und desselben, aber faktisch in verschiedenster Gestalt existierenden und sich darstellenden hohen Berges zu vergleichen sein"(12).
2. Calvin und Barth als Schüler Martin Luthers
Der historische Calvin ist der lebendige Calvin. Barth entfaltet die Theologie Calvins nicht abstrakt, nicht zeitlos-systematisch, sondern im Wechselspiel von Biographie und Theologie: "Calvin als Mensch und Theologe"(13). So möchte Barth in seiner Calvin-Vorlesung "zunächst Calvins Leben und Persönlichkeit, dann in drei kürzeren Kapiteln Calvins Predigt, Exegese und Polemik, endlich in einem [...] Hauptkapitel Calvins theologisches System [besser: Werk] im Anschluss an seine Institutio" behandeln(14). Das alles ist nur teilweise zur Ausführung gelangt(15). Wichtig nicht nur für das Verständnis Calvins, sondern auch für die Interpretation des Gesamtwerkes der Kirchlichen Dogmatik Barths selber(16), ist aber die folgende Bemerkung: "Ich halte nämlich dafür, dass man sich den Weg zum Verständnis der Institutio erst bahnen muss dadurch, dass man sich ein Bild macht davon, was Calvin gesagt hat, wenn er ex tempore zur Gemeinde redete, wenn er ohne direkte Absicht die Bibel las und auslegte, wenn er sich, jetzt auf dieser, jetzt auf jener Front kämpfend, mit seinen Gegnern auseinandersetzte"(17).
Dem Verständnis der Institutio als Entwurf einer gesamtbiblischen Theologie entspricht also das Verständnis der Institutio unter Voraussetzung und im Kontext von Calvins Predigten, seiner exegetischen Kommentare, seiner Briefe und seiner öffentlich-polemischen Stellungnahmen.
Diesem kontextuellen Verstehen der Theologie Calvins und seiner Institutio entspricht auch, dass Barth Calvins und Luthers Theologien nicht abstrakt und konfessionalistisch vergleicht, sondern Calvin, den Reformator der zweiten Generation, als Schüler Luthers versteht, der auf den Schultern Luthers steht, den Calvin verehrt und dessen Theologie er in die seinige sorgfältig aufgenommen hat: "Ein guter Reformierter muss seine Sache immer damit anfangen, dass er Luthers einzigartige Stellung in der Reformation glatt anerkennt und von Luther sich auch dadurch nicht abdrängen lässt [...], dass er sich, den Winken Calvins folgend, genötigt sieht, einen Schritt über Luther hinaus zu tun, sondern, indem er das ganz bewusst tut, immer wieder auf Luthers Ansatz zurückkommt. Wir unterscheiden uns u.a. dadurch von den Lutheranern, dass wir als die Schüler von Luthers getreuestem Schüler auf Luther so wenig etwas kommen lassen wie sie selber, während sie zur Stützung des Ansehens ihres Mannes ohne offene oder heimliche Polemik gegen [Calvin] nie ganz auskommen"(18).
Deshalb ist das Verständnis der Theologie Luthers nach Barth eine der wichtigsten Voraussetzungen zum Verständnis der Theologie Calvins. Darum hat Barth seiner Calvin-Interpretation eine ausführliche Darstellung und Würdigung der Theologie Luthers vorangestellt, insbesondere in der Gestalt der Disputatio contra Scholasticam theologiam Luthers von 1517 und der Heidelberger Thesen Luthers zur theologia crucis von 1518(19). Gerade Luthers darin entfaltete berühmte These 20 von der indirekten Erkenntnis Gottes im Spiegel der Leiden und des Kreuzes Christi(20) ist von Barth nicht nur in seiner Gotteslehre (KD II/1), sondern nicht zuletzt in der Kreuzestheologie seiner Versöhnungslehre (KD IV/1) umfassend entfaltet worden: Hier folgt Barth Calvins Satz "Gott ist gewiss nicht leidensfähig" nicht(21). Sondern er folgt hier Luther: Gott kann das! Gott entspricht das!
Gott muss im Kreuz nicht seine Gottheit, wie Calvin anders als Luther sagen kann, zurückhalten, sondern Gott ist sogar des Leidens und des Kreuzes, der Erniedrigung und der tiefsten Entäußerung fähig. Noch präziser: gerade in dieser Tiefe des Kreuzes und des Leidens zeigt Gott seine wahre Gottheit. So ist es nur konsequent, dass Barth die Regel aller Gotteserkenntnis im Anschluss an Luthers "Generalregel aller Gotteserkenntnis" formuliert hat: das Leiden des Gekreuzigten ist der Spiegel der Gottheit Gottes. Oder in seiner Schrift "Die Menschlichkeit Gottes": Jesus Christus, gerade auch in seinem Leiden und Kreuz, ist "der Spiegel des väterlichen Herzens Gottes".
Was aber Barth von Calvin mit Recht sagt, gilt auch von ihm selber: Man kann Calvin, man kann aber auch Barth ohne Luther nicht verstehen. Wie Calvin ein Schüler Luthers, so ist Barth als ein Schüler Calvins zugleich ein Schüler Luthers.
Barths Dictum gegenüber dem Fangmeier-Seminar vom 1.7.1968: "Wenn man mich überhaupt mit einem Reformator in Beziehung setzen sollte, so wäre es noch am ehesten Johannes Calvin", ist also immer inklusiv, d.h. Luther einschließend, zu verstehen(23).
Dabei scheint mir die Schülerschaft Barths gegenüber Calvin noch lange nicht ausgeschöpft zu sein: Das im 1. Römerbrief Barths (1919) immer wieder festgestellte organologische Denken(24) ist m.E. Einfluss von Calvins Kommentar zum Römerbrief von 1539 zur Christusgemeinschaft(25). Barths Kommentar zum 1. Korintherbrief vom Sommersemester 1923, ein Jahr nach seiner Calvin-Vorlesung, schließt an Calvins reformatorische Erstlingsschrift, die Psychopannychia (1534), und Barths glänzende Interpretation dieser Schrift(26) an. Und zwar unter demselben Thema und mit demselben theologischen Interesse: nämlich der Verklammerung von Eschatologie und Ethik(27). Nicht zufällig erscheint als Vorwort zu Barths 1. Korintherbrief-Vorlesung ein Calvin-Zitat vom Wandern und Tätigsein im Vorletzten in der Hoffnung auf das Letzte(28).
3. Calvin und Barth als ökumenische Theologen
Der historische Calvin ist der ökumenische Calvin. Neben der gemeinsamen gesamtbiblischen Orientierung von Calvin und Barth, neben der Kontextualität ihrer Theologien und ihrer gemeinsamen Schülerschaft gegenüber Luther nenne ich als drittes Moment der Gemeinsamkeit zwischen Barth und Calvin und also als drittes Moment der Schülerschaft Barths gegenüber Calvin die Ökumene(29).
Barth hat 1922 Calvin historisch als Teilnehmer der damaligen evangelisch-katholisch-ökumenischen Versuche gewürdigt(30) und systematisch Calvins integrative Kraft im Hinblick auf die Anliegen der anderen Reformatoren dargestellt(31).
Barth selbst hat – wie Visser't Hooft 1966 formuliert hat – nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus in den 30er und 40er Jahren aus Bonn, Barmen und Basel seine ökumenische Stimme erhoben, sondern ist auch seit Amsterdam 1948, d.h. seit seiner Teilnahme an der dortigen Weltversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen, zu einem ökumenischen Consultant geworden(32), wie sein großer kirchengeschichtlicher Exkurs in KD IV/3 zeigt: Die ökumenische Bewegung sei Zeichen des fälligen Aufbruchs der christlichen Gemeinde aus den konstantinischen Bindungen des corpus Christianum in die Welt – und zwar in Entsprechung zu der universalen Prophetie Jesu Christi extra muros ecclesiae und ihres Weges zur Welt, zur ganzen Menschheit, ja zur ganzen Schöpfung(33).
In seiner Ansprache vor der Sonderversammlung der reformierten Kirchen sagte Barth in Amsterdam: "Wir haben als Reformierte einen großen theologischen Lehrer: Johannes Calvin. Calvinisches Denken war aber ein ausgesprochen komprehensives [...] Denken. Als Schüler dieses Meisters sind wir aufgefordert, im Verhältnis zu anderen 'Kirchen', ihrer Überlieferung und Botschaft, auf alle Fälle aufmerksam und aufgeschlossen zu sein. Es entspricht unserer von Calvin her bestimmten Art, wenn wir uns hier in Amsterdam fragen, wo wir übereinstimmen und wo wir nicht übereinstimmen [...] Calvinisches Denken gibt uns eine Spielregel theologischer Kunst, die uns befähigen muss, gerade auf theologischem Feld echte ökumenische Arbeit zu leisten"(34).
Sowohl in der bedeutenden katholischen Calvin-Forschung bis zu Alexandre Ganozcy(35) als auch bei Barths Besuch im Vatikan vom 22. bis 29. September 1966(36) zeigt sich die ökumenische Dimension der Theologie Calvins lebendig und wirksam: Der historische Calvin ist als der lebendige immer auch der ökumenische Calvin.
Barth versteht, wie er 1959 in seinem ökumenischen Exkurs ausgeführt hat, die Einigung der Kirchen nicht als Selbstzweck, sondern als Parallele zu der auf die Welt ausgreifenden Prophetie Jesu Christi, d.h. "teleologisch-dynamisch: in der Einheit von Jesus Christus her als Einigung für ihn, nämlich für die Bezeugung seines Werkes in der Welt und für die Welt"(37).
Dass dieses ökumenische Einigungswerk im 20. Jahrhundert – über die Einsichten Calvins hinaus – in der neuen Begegnung mit dem Judentum fundiert und in der ökumenischen Verantwortung der Gemeinde für die Welt zu sehen ist, das hat Barth in KD IV/3 in Auslegung der universalen Prophetie Jesu Christi umfassend entfaltet: KD IV/3 ist dabei im Überschritt über Calvin hinaus zugleich ein großer Kommentar zu Calvins Auslegung der Christus-Gemeinschaft im Buch III der Institutio.
Jedoch ist diese notwendige ökumenische Verantwortung für die Welt zuerst mit Calvin zu vollziehen, wie Barth in Amsterdam ebenfalls ausführte. Zum Hauptthema der ökumenischen Konferenz von 1948 "Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt" sagte Barth: "In der rechten [also umgekehrten!] Reihenfolge [‚Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan’] verstanden, ist dieses Thema doch ein echt reformiertes Thema. Seine Absicht entspricht der von [...] Calvin so nachdrücklich betonten Zusammengehörigkeit von Rechtfertigung und Heiligung, von Glaube und Werk, von Christengemeinde und Bürgergemeinde, von Kirche und Staat. Dieses 'und' ist höchst reformiert! Gott will keine der Welt gegenüber isolierte Kirche. Er ruft sie gerade nach dieser Seite zum Dienst und in die Verantwortung. Das ist ein Grundpfeiler unseres reformierten Denkens [...] Wir sind [...] als Kinder Gottes berufen, mitten in seiner sehr unvollkommenen Welt rastlos und tapfer seine Zeugen zu sein"(38).
Barth hatte 1968, ein halbes Jahr vor seinem Tode, in Basel zu Studierenden der Kirchlichen Hochschule Wuppertal gesagt: "Wenn man mich überhaupt mit einem Reformator in Beziehung setzen sollte, so wäre es noch am ehesten Johannes Calvin." Und er fügte dann hinzu: "Freilich mit sieben oder acht Abweichungen"(39).
Eine Dimension dieser Beziehung Barths zu Calvin und zugleich eine Abweichung als Zeichen seiner echten Schülerschaft gegenüber Calvin möchte ich im folgenden Teil II und Teil III vorstellen. Dabei greife ich auf Vorarbeiten zurück, die in diesem Vergleich Calvin-Barth bereits von O. Weber, W. Kreck, H.-J. Kraus, u.a. veröffentlicht worden sind, wenn auch zu anderen Punkten und mit anderer Akzentuierung(40).
II. Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis. Der the-anthropologische Erkenntnisweg der Institutio und der Kirchlichen Dogmatik
1. Die Erkenntnis Gottes und des Menschen (Inst I,1)
Wird der berühmte the-anthropologische Einsatz Calvins in der Institutio I,1 von der Calvin-Forschung – entsprechend dem Augustinischen "Deum et animam scire cupio. Noverim te, noverim me" aus den Soliloquien – aus der augustinisch-platonischen Tradition abgeleitet, so hat Calvin, Barth zufolge, die Anregung dazu von Zwinglis Commentarius de vera et falsa religione erhalten. Im Unterschied zu Zwingli hat dann aber Calvin "das Ganze, die summa der doctrina, tatsächlich unter diesen doppelten Gesichtspunkt", der Gottes- und Selbsterkenntnis, gestellt.
"Es verhält sich also so, dass der Gebrauch dieser Formel bezeichnender ist für den, der sie übernommen, als für den, der sie ursprünglich gebildet hat"(41). Der ganze Aufriss der Institutio ist nach Barth von diesem methodischen Doppelrhythmus her zu verstehen: "Man kann und man muss sogar bei Calvin durchlaufend dieses Doppelte bedenken, dass von Gott und vom Menschen die Rede ist; es ist diese Synthese, die [...] alle Thesen und Antithesen seiner Theologie [...] aus sich entlässt, auf die sie, recht verstanden, alle zurückweisen wollen(42).
Institutio I,1 ist der Test auf diese These Barths(43). Die platonisierenden Ausführungen – ohne Selbsterkenntnis keine Gotteserkenntnis und ohne Gotteserkenntnis keine wahrhafte Selbsterkenntnis – und die korrelativen Aussagen über die Selbst- und Gotteserkenntnis (Institutio I 1,1f) werden in der Einleitung sofort auf die biblischen Gotteserfahrungen hin geöffnet: Wir müssen sterben, denn wir haben den NAMEN, Gott, gesehen.
Solche biblischen Gottesbegegnungen von Manoah über Jesaja bis hin zu Ezechiels Schau der Herrlichkeit Gottes kulminieren bei Calvin in der Hiob-Erfahrung, derzufolge angesichts von Gottes Weisheit, Macht und Reinheit des Menschen Torheit, Machtlosigkeit und Unreinheit offenbar werden. Die platonisierenden Ausführungen aus Inst I 1,1–2 entsprechen also den normativen Epiphanie-Erfahrungen biblischer Menschen: "Wenn Gott seine Herrlichkeit in voller Nähe offenbart, dann versinkt auch das sonst Leuchtende in Finsternis" (Inst I,1,3).
Calvins Fazit am Ende seines Eingangsabschnittes über Selbst- und Gotteserkenntnis lautet: "Gottes- und Selbsterkenntnis sind fest miteinander verknüpft. Aber die rechte Ordnung in der Lehre verlangt, dass wir zunächst (priore loco) die Gotteserkenntnis und dann (postea) die Selbsterkenntnis behandeln" (Inst I,1,3).
Barth interpretiert diese Einleitung der Institutio im Jahre 1922 zurecht so: "Überblicken wir nun, was Calvin gleich auf den ersten Seiten seiner Institutio von 1536 über Gott einerseits und den Menschen andererseits sagt, so fällt vor Allem Eines auf: er rückt Gott, soweit das möglich ist, sofort in das Licht einer vollen, genugsamen Erkenntnis vom Menschen aus, und er redet vom Menschen sofort so, dass man merkt: das ist der von Gott aus eingesehene und erkannte Mensch"(44).
Dieses existentielle Denken des Theologen Calvin aus dem unverbrüchlichen Zusammenhang der Gottes- und Selbsterkenntnis heraus mit seinem unumkehrbaren Zirkel und Sachgefälle von der Gotteserkenntnis zur Selbsterkenntnis des Menschen hin hat Barth nicht nur als den durchgehenden methodischen Doppelschritt und Doppelaspekt der ganzen Institutio erkannt. Sondern er hat dieses Gefälle, dieses Prius der Gotteserkenntnis vor der Selbsterkenntnis – ihrer durchgehenden Korrelation unbeschadet – auch gegenüber R. Bultmann und F. Gogarten(45) in seinem ersten Band der Prolegomena von 1932 in ausführlicher Berufung auf Luther und Calvin entfaltet und festgehalten(46).
Barth zitiert in KD I/1 §5 die entscheidenden Sätze des anthropologischen Programms Gogartens, demzufolge es zwischen der Selbsterkenntnis des Menschen und der Gotteserkenntnis einen Zirkel gibt: "Es gibt kein Verständnis des Menschen ohne das Verständnis Gottes, aber [...] diesen Gott kann ich wiederum nicht verstehen, ohne schon den Menschen zu verstehen"(47). Barth folgert aus Calvins theologisch-methodischem Grundsatz in Institutio I,1: "Würde Gogarten im letzten Satz 'auch' den Menschen statt 'schon' den Menschen geschrieben haben, so wäre nichts dagegen einzuwenden. Der Gedanke wäre dann der: "Verständnis des Menschen hat Verständnis Gottes zur Voraussetzung; Verständnis Gottes schließt aber auch immer Verständnis des Menschen in sich"(48). Die methodische Doppelbewegung von Institutio I,1 wird hier sofort deutlich.
Barths Ablehnung des Vorverständnisses bei Bultmann und Gogarten zugunsten des Ausgangs vom NAMEN Gottes in seiner Offenbarung und also zugunsten der Unumkehrbarkeit von Gottes- und Selbsterkenntnis in ihrer Zirkelstruktur und in ihrem Sachgefälle ist also Auslegung und Aktualisierung von Calvins Verhältnisbestimmung von Gottes- und Selbsterkenntnis, ihrer Relation (nexus) und ihres Begründungsgefälles.
2. Das Problem der natürlichen Theologie bei Calvin (Inst I,3–5)
Gotteserkenntnis schließt also immer auch Selbsterkenntnis ein, und Selbsterkenntnis setzt immer schon Gotteserkenntnis voraus. Barth will sich mit diesem offenbarungstheologischen Verständnis von Institutio I,1 gegen ein Missverständnis der berühmten Einleitungskapitel Institutio I,1–5 abgrenzen, wie es schon bei R. Seeberg, später aber besonders bei E. Brunner(49) und P. Althaus vertreten worden ist: Calvin, meint Seeberg, habe sein Verständnis von Gott und Mensch nicht an der in der Schrift bezeugten Offenbarung entwickelt, sondern "er habe in eine allgemeine metaphysisch-philosophische Ansicht christliche Elemente bloß hineingemengt"(50).
P. Althaus rezipiert Calvins Einleitung im Rahmen seiner Lehre von der "Uroffenbarung". Althaus schreibt: "So [urteilt] Calvin zu Eingang seiner Institutio [...] kein waches und tiefes Selbstbewusstsein, das nicht unmittelbar Bewusstsein Gottes würde. Keine Selbsterkenntnis, die nicht notwendig sofort Erkenntnis Gottes würde. Wer seiner selbst innewird, der wir eben damit zugleich Gottes inne –, er wäre sonst seiner selbst, seines Menschseins nicht im Ernste inne. Wir haben es mit Gott zu tun, wenn wir es mit uns selber zu tun haben"(51).
Demgegenüber heißt es 1922 bei Barth im Blick auf den Doppelaspekt von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis als the-anthropologisches Ordnungs- und Strukturprinzip der ganzen Institutio: "Auf beiden Seiten [der Gottes- und Selbsterkenntnis] keine Spur von Zurückhaltung, die etwa darauf hinweisen würde, dass hier nur eine vorläufige, eine untere Stufe von Erkenntnis, eine natürliche Theologie oder Anthropologie etwa vorgetragen werden sollte"(52).
Was eine Analyse der ganzen Einleitung der Institutio von 1536, die Barth 1922 leider nur fragmentarisch vorgelegt hat, erst recht zeigen würde, fasst Barth so zusammen: "Diese ursprüngliche Cognitio [als Gottes- und Selbsterkenntnis] ist eben voll, genugsam, unüberbietbar. Alles, was etwa [von Calvin in der Institutio, auch in Inst I,3–5] weiter noch zu sagen ist, ist nur die Entwicklung, Entfaltung, Ausbreitung und Verdeutlichung dieses Ursprünglichen und das offene Aussprechen, das Beim- Namen-Nennen dieses Ursprünglichen selbst"(53). Das Fazit Barths lautet: "Calvin kennt keinen Stufenunterschied etwa zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung, keinen Weg, der von hier nach dort führte"(54).
Wenn Calvin später tatsächlich beide, nämlich die Offenbarung Gottes in Religion, Natur und Geschichte einerseits und die Offenbarung Gottes in der Schrift des Alten und Neuen Testaments andererseits unterscheidet, so ist die erstere, nämlich die Offenbarung Gottes in Religion, Natur und Weltgeschichte, "eigentlich nur die Explikation, man könnte auch sagen: die Aktualisierung" der letzteren, die Offenbarung Gottes in der Schrift, "die Bibel (also) z.B. die Brille, um das Wort Gottes in Natur und Geschichte(55) zu lesen, wie es (Calvin) später ausdrücklich sagen wird"(56). Als antizipierte Barth seine spätere Lichterlehre aus dem Jahre 1959, sagt er schon 1922: "Wenige Gedanken sind Calvin zeitlebens so sehr am Herzen gelegen, wie dieser von der Einheit der biblischen Offenbarung [...] mit dem, was Gott in Natur, Geschichte und Gewissen ohnehin zum Menschen gesagt hat und noch sagt"(57).
Peter Barth, Otto Weber, P. C. Böttger, W. Niesel und Chr. Link sind Barth in dieser Deutung der Eingangskapitel der Institutio gefolgt(58). Auch bei dem katholischen Calvin-Forscher A. Ganoczy lesen wir als einem unverdächtigen Zeugen: "Die Theologen streiten sich darüber, ob sich bei Calvin eine 'natürliche Theologie' findet, ob er eine natürliche Erkenntnis Gottes annimmt". Ganoczy selber antwortet: "Der Reformator (erklärt) selbst ohne Umschweife [...], der gefallene Mensch, d.h. der einzige, der tatsächlich existiert, gelange überhaupt nie zu einer solchen Erkenntnis [...]. Ist auch jegliches Geschaffene wie ein Spiegel, der die unsichtbare Majestät Gottes aufscheinen lässt, so hat unsere Vernunft doch nicht [mehr] das 'Auge', vom Spiegelbild zum Licht vorzudringen. Obwohl Gott in Wahrheit das Notwendige vollbringt, obwohl er sich tatsächlich kundtut in seinen Werken – von der Sünde getrübt, ist unser Erkenntnisvermögen unfähig, ihn darin zu finden. Darum hilft Gott uns so, wie es uns als Blinden zugänglich ist: er offenbart sich uns in seinem Wort und [...] dies weckt in uns schließlich die Glaubenserkenntnis"(59). So weit A. Ganoczy zur Verhältnisbestimmung der Gotteserkenntnis aus Religion, Natur und Geschichte (Inst I,1–5) zur Gotteserkenntnis aus der Schrift (Inst I,6–10).
Einen weiteren Hinweis zur Interpretation der Eingangskapitel der Institutio füge ich hier aus Reformiert-Barmen vom Januar 1934 an. Barths 7. These lautete, wie wir bereits gehört haben: Die Verkündigung der Kirche ist Dienst am Wort Gottes, d.h. Bezeugung des Handelns Gottes in Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift aus Mose und den Propheten, aus Evangelisten und Aposteln und ist nicht Deutung von Geschichte. In der Aussprache zu Barths Thesen in Reformiert-Barmen stellt ein reformierter Pfarrer aus Düsseldorf die Frage: "Warum beginnt Calvin seine Institutio mit der Lehre von der Erkenntnis des Schöpfers. Es gibt nach Calvin eine natürliche Gotteserkenntnis [...] Er weist auf sie hin, um die Unentschuldbarkeit des Menschen [Paulus] aufzudecken".
Und Barth antwortet: "Trotz des Angeführten schöpfen beide, Paulus und Calvin, bei der Darlegung des Evangeliums nur aus einer Quelle [...] Den Anwälten der natürlichen Gotteserkenntnis ist zu sagen: macht ihr mal den sauberen Gebrauch von ihr, wie die Reformatoren es getan haben! Unsere [reformierte] Erklärung bedeutet hier eine Verschärfung gegenüber den Reformatoren. Das kann nicht anders sein nach den Erfahrungen der letzten vierhundert Jahre"(60).
3. Christus, das eine Licht und die Lichter (KD IV/3)
Was aber bedeutet die von Barth in Reformiert-Barmen ausgesagte Verschärfung gegenüber den Reformatoren im Themenkreis der natürlichen Theologie? Warum fragt Calvin nun doch nach den Zeichen der Offenbarung Gottes in Religion und Gewissen (sensus divinitatis), in Natur (Makrokosmos) und Geschichte, d.h. in der göttlichen Lenkung der menschlichen Gesellschaften und der Geschicke der Menschheit?
Barth antwortet schon 1922 wie dann ebenso auch später grundlegend: Calvin "tut Christus nicht damit Ehre an, dass er ihn irgendwo abseits auf einen hohen Leuchter stellt und alle anderen Lichter auslöscht, um das eigene Licht triumphieren zu lassen, sondern indem er alle Lichter zum vornherein sieht im Lichte des einen Lichtes"(61).
Der Hinweis muss hier genügen: Barth hat in KD IV/3 § 69,2 eine ausführliche Lehre von Christus als dem einen Licht, das allen Menschen leuchtet, die in diese Welt kommen (Joh 1,9), entwickelt. Von diesem einen Licht Jesu Christi und seinem universalen Leuchten von Ostern und Pfingsten her entfaltet Barth im Jahre 1959 eine Lehre von den Lichtern und Wahrheiten in Geschichte und Schöpfung. Noch dazu das Ganze als Auslegung des Artikels I der Barmer Theologischen Erklärung von Jesus Christus als dem einen Wort Gottes, wie es uns in dem sich wechselseitig bedingenden Zeugnis des Alten Testaments von Mose und den Propheten und des Neuen Testaments von den Evangelisten und Aposteln vorgegeben ist (Leitsatz KD IV/3 69).
Im Unterschied zu einem katholisch-neuprotestantischen Stufenmodell von natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis entwickelt Barth hier eine Lehre von den Lichtern der Offenbarung Jesu Christi unter Voraussetzung eines evangelisch-reformatorischen Entsprechungsmodells: Die reformatorische Theologie Luthers und Calvins, zusammengefasst in Barmen Art. I, erscheint nunmehr übersetzt in die Sprache der Weisheit(62), wie auch die Bergpredigt Jesu offen ist für die Übersetzung in die Weisheitssprache der Goldenen Regel (Mt 7,12), wie auch die Bundesgeschichte Israels offen war und ist für die Rezeption der Weisheit unter Voraussetzung des ersten Gebotes und der Furcht vor Gott(63).
In einem Gespräch mit den Vertretern der Evangelischen Brüdergemeinde hat Barth 1961 zu seinem 1934 ausgesprochenen Nein zu Brunners Calvin-Deutung unter dem Leitgedanken der natürlichen Theologie erklärt: "Später holte ich dann die theologia naturalis via Christologie wieder herein. Heute würde meine Kritik lauten: Man muss es nur anders, eben christologisch sagen"(64).
Noch deutlicher äußert sich Barth gegenüber dem Spiegel-Redakteur Rohlinger in einem Interview "Der Rebell Gottes", 1966, aus Anlass seines 80. Geburtstages, zur natürlichen Offenbarung im Unterschied zur natürlichen Theologie: "Gott ist kein toter, sondern der lebendige Gott, wenn wir Ohren hätten zu hören, dann könnten wir ihn beständig hören. Denn die Welt, in der wir leben, ist von ihm geschaffen. Von daher müssten wir offen sein für die Schöpfung, offen für das, was in der Geschichte geschieht. Wenn wir Ohren hätten, würden wir etwas wahrnehmen. Nicht nur in der Bibel, sondern auch sonst"(65).
Zum 400. Todestag Calvins im Jahre 1964 weist Barth erneut auf diesen durchgängigen Doppelaspekt der Theologie Calvins hin: "Die Summe aller Weisheit, so schrieb er (Calvin) gleich am Anfang seines literarischen Hauptwerkes, sei die rechte Erkenntnis Gottes und des Menschen [...] Was wir heute die 'westliche' Welt, Kultur und Zivilisation nennen, wäre ohne sie (die Größe von Calvins Konzeption) undenkbar". Und Barth fügt hinzu: "Welche immer kühne, aber nie trennende oder vermischende Zusammenschau von Gott und Welt [und Mensch]: Ubi cognoscitur Deus, etiam colitur humanitas! 'Wo Gott erkannt wird, da kommt auch die Humanität zu Ehren!' hat Calvin einmal formuliert"(66).
Wo die Menschlichkeit Gottes erkannt wird, da kommt auch die Humanität des Menschen zu Ehren!(67). Barth folgt in seiner Kirchlichen Dogmatik diesem durchgängigen Grundsatz und dieser the-anthropologischen Grundmethode der Theologie Calvins. Barth hat aber die strenge Beachtung dieses Grundsatzes und also den Zusammenhang der Ehre Gottes mit dem Heil und der Humanität des Menschen bei Calvin an einer Stelle schmerzlich vermisst: und zwar im Bereich der Prädestinations- und der mit ihr zusammenhängenden Gotteslehre. Dem gilt der III., diesmal Calvin gegenüber mehr kritische Teil der Rezeption Calvins in der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths.
Anmerkungen:
1 K. BARTH: Die Theologie Calvins, 1922, hrsg. von Hans Scholl, Karl-Barth-Gesamtausgabe, Zürich 1933,1.
2 AaO. 4–6.
3 H. OBERMAN: "Subita conversio". The "conversion" of John Calvin, in: Reformiertes Erbe, FS für G.W. Locher Bd. II, Zürich 1993, 279–295, bes. 286ff.–295, Anm. 295, spricht Oberman zu Recht von der Psychopannychia Calvins von 1534 "as the first post-conversion treatise".
4 K. BARTH: (Anm. 1) 211.
5 AaO. 220.
6 K. BARTH: Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart (1934), in: J. BECKMANN (Hrsg.), Rheinische Bekenntnissynoden im Kirchenkampf, Neukirchen 1975, 34–46.39.
7 Ebd.
8 K. BARTH: Calvinfeier 1936, ThExhH 43/München 1936,4.
9 P. BARTH: Die Erwählungslehre in Calvins Institutio von 1536, in: Theologische Aufsätze, FS K. Barth zum 50. Geburtstag, München 1936, 432–442.432.433. – Zur Loci-Methode und dem Loci-Charakter der Institutio vgl. auch K. BARTHs Ausführungen zur Methode und zum Weg der Theologie: "In ihrer (der Schrift) Schule wird ihr (der Theologie) eigenes Verstehen, Denken und Reden unvermeidlich ein lokales: ausgerichtet auf die lebendige Folge der verschiedenen Loci des göttlichen Werkes und Wortes" (K. BARTH, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 1962, 42).
10 H.-J.KRAUS: Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen 1982, § 1–4. – B. CHILDS: Biblical Theology of the Old Testament and New Testament, London 1992, 47ff.
11 AaO. 50. – Dabei hat CHILDS mit Recht auf die vorliegenden Arbeiten von D. SCHELLONG: Calvins Auslegung der synoptischen Evangelien, Neukirchen 1969, und auf die Arbeiten von J. PARKER: Calvins New Testament Commentaries, London 1971, und Calvins Old Testament Commentaries, Edinburgh 1986, aufmerksam gemacht.
12 K. BARTH: Einführung (Anm. 9) 42f.
13 K. BARTH: (Anm. 1) 156–171.
14 AaO. 13
15 H. SCHOLL: (Anm 1) XI.
16 B. KLAPPERT: Versöhnung und Befreiung. Versuche, Karl Barth kontextuell zu verstehen, Neukirchen 1994, X.
17 K. BARTH: (Anm. 1) 13, vgl. 156.174f.
18 AaO. 95. – Vgl. die weiter aaO. 159 zitierten Briefe von CALVIN an Bullinger und Farel über sein positives Verhältnis zu Luther. – Vgl. weiter OS V 46 und O. WEBER, Die Treue Gottes in der Geschichte der Kirche, GA II, Neukirchen 1968,33 zu Inst IV,3.4 (Übersetzung von Weber 717): "Ohne Zweifel ist Luther gemeint. Tatsächlich nennt Calvin auch an anderen Stellen Luther einen Apostel". WEBER verweist dafür auf CR 6,250 und 239f. – Vgl. auch DERS., aaO. 63: "Calvins Haltung als des führenden Mannes der innerprotestantischen Union ist oft beachtet worden. Alle kennen seine begeisterten Worte über Luther und dessen einzigartige Stellung". – O. WEBERs Calvin-Interpretation in GA II und in seinen beiden Dogmatik-Bänden (Neukirchen 1955/1962) ist bisher zu wenig beachtet worden.
19 K. BARTH: (Anm. 1) 51ff.55ff.
20 AaO. 58.
21 J. CALVIN: Inst II,14,2 (1559) 300.
22 K. BARTH: KD II/1, Zürich 1940, 18; ders.: Die Menschlichkeit Gottes, Zürich 1956,15; B. KLAPPERT: Gott kann das – Gott entspricht das!, in: (Anm. 16) 185–203.
23 K. BARTH: Gespräch mit Wuppertaler Studierenden des Seminars von J. Fangmeier in Basel am 1.7.1968.
24 P. CHR. BÖTTGER: Calvins Institutio als Erbauungsbuch (1963), Neukirchen 1990. – B. KLAPPERT: (Anm. 16) 329ff. – H. ANZINGER: Glaube und kommunikative Praxis, München 1991.
25 H. SCHOLL: (Anm. 1) VIII: "Sicher ist, dass er [sc. Barth] [...] bei seiner Auslegung des Römerbriefs in dessen erster, 1919 erschienener [...] Fassung Calvins Römerbriefkommentar von 1519 durchgehend zu Rate gezogen hat".
26 K. BARTH: (Anm. 1) 193ff.
27 AaO. 171.
28 K. BARTH: Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1.Kor 15 (Göttingen, Sommersemester 1923), München 1926. – Das Calvin-Zitat des Vorwortes stammt aus Inst II,9,3.
29 O. WEBER: (Anm. 18) 54f.
30 Calvin war Teilnehmer der innerökumenischen Religionsgespräche in Hagenau (1540), Worms (1540/41) und Regensburg (1541).
31 K. BARTH: (Anm 1) 93ff.
32 B. KLAPPERT: (Anm. 16) 53ff.94f.
33 K. BARTH: KD IV/3, Zürich 1959, 18–40.
34 K. BARTH: Unsere reformierten Kirchen und der Weltrat der Kirchen. Ansprache bei einer Sonderversammlung der Reformierten in Amsterdam am 1.9.1948, in: ThExhNF 15/1949, 11–15.11f.
35 A. GANOCZY: Ecclesia Ministrans. Dienende Kirche und kirchlicher Dienst bei Calvin, Freiburg/Basel/Wien 1968.
36 K. BARTH: Ad Limina Apostolorum, Zürich 1967.
37 K. BARTH: KD IV/3 (Anm. 33) 38.
38 K. BARTH: (Anm. 34) 13.
39 K. BARTH: (Anm. 23).
40 W. KRECK: Johannes Calvin und Karl Barth, in: Kirche, Konfession, Ökumene, FS W. Niesel zum 70. Geburtstag, Neukirchen 1973, 77–84. – H.-J. KRAUS: Rückkehr zu Israel, Neukirchen 1991.189ff, O. WEBER: (Anm. 81).
41 K. BARTH: (Anm. 1) 215.
42 Ebd.
43 In Inst I,1 sagt CALVIN: "Die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis [...] hängen vielfältig zusammen; und darum ist es nun doch nicht so einfach zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus entlässt" (Inst I,1,1). Calvin beginnt in Inst I 1,1 mit der via positionis und via negationis der auf Gott verweisenden Selbsterkenntnis des Menschen: Unser Dasein (esse) besteht doch darin, dass wir unseren Bestand (subsistentia) in Gott haben, wie im Bereich der Natur wir durch Rinnsale und Bäche zur Quelle hingeführt werden (via positionis bzw. eminentiae). Umgekehrt verweist alle menschliche Unwissenheit auf die göttliche Weisheit als die Quelle aller Güter und alles Guten (via negationis). Also: Ohne Selbsterkenntnis keine Gotteserkenntnis. Unsere relativen Güter und unser Mangel werden so zum Hinweis auf Gott als fons omnium bonorum. – Aber auch das Umgekehrte gilt (Inst I,1,2): Ohne die Gotteserkenntnis keine wahrhafte Selbsterkenntnis des Menschen: "Wenn der Mensch nicht zuerst Gottes Angesicht anschaut und aus dieser Anschauung (intuitus) heraus dazu übergeht, sich selbst anzusehen", hat er keine Norm und keinen Maßstab, an dem er das Relative seiner selbst an Gott messen könnte.
44 K. BARTH: (Anm. 1) 215.
45 Ebd.
46 R. BULTMANN: Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden (1925), in: GuV I Tübingen 1933, 26–32; FR. GOGARTEN: Karl Barths Dogmatik, Theol. Rundschau 1929, 70f; DERS., Das Problem einer theologischen Anthropologie, in: Zwischen den Zeiten (ZdZ) 1929, 493ff.
47 FR. GOGARTEN: (Anm. 46) ZdZ 1929, 496, zit. bei Barth in KD I/1, Zürich 1932, 132.
48 K. BARTH: KD I/1, Zürich 1932, 132.
49 Zur Auseinandersetzung mit E. BRUNNER vgl. K. BARTH: NEIN! Antwort an Emil Brunner, ThExh 14, München 1934. – P. BARTH: Das Problem der natürlichen Theologie bei Calvin, ThExh 18/1935. – DERS.: Die fünf Einleitungskapitel von Calvins Institutio, in: Kirchenblatt für die reformierte Schweiz 57/1925, 45–47.49–50. – W. KRECK: Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik, Neukirchen 1978, 199ff.
50 R. SEEBERG: Lehrbuch der Dogmengeschichte, Erlangen/Leipzig 31920; zit. nach (Anm. 1) 218.
51 P. ALTHAUS: Die christliche Wahrheit, Gütersloh 1947, 63.
52 K. BARTH: (Anm. 1) 215.
53 AaO. 217.
54 Ebd.
55 BARTH lässt bei der Aufzählung (Anm 1) 217 merkwürdigerweise bzw. signifikanterweise die Religion aus. CALVIN selbst spricht von der Offenbarung Gottes in Religion, Natur und Geschichte.
56 K. BARTH: (Anm. 1) 217.
57 AaO. 220.
58 P. BARTH (Anm. 49), 1925, und W. NIESEL, Die Theologie Calvins, München 1938, sprechen im Blick auf die Einleitung der Institutio von einer Retrospektive von der Offenbarung Gottes in Christus her; O. WEBER: Grundlagen der Dogmatik, Bd I, Neukirchen 1955, 186, spricht von einer regressiven Argumentation Calvins von der Christus-Offenbarung her; P. CHR. BÖTTGER (Anm. 24) findet bei Calvin die Übersetzung der reformatorischen Erkenntnis in die Weisheitssprache des Reformhumanismus, aus dem Calvin selber kommt; CHR. LINK, Schöpfung. Schöpfungstheologie in reformatorischer Tradition Bd I, Gütersloh 1991, verweist in seinen weiterführenden Analysen auf Inst II,6,1: "Wir müssen das Wort vom Kreuz [...] in Demut annehmen, wenn wir zu Gott unserem Schöpfer und Wirker zurückkehren wollen, von dem wir uns entfremdet haben" (zit. bei LINK, 157).
59 A. GANOCZY: (Anm. 35) 32f.
60 K. BARTH: (Anm. 6) 40.
61 K. BARTH: (Anm 1) 218. – Nach P. CHR. BÖTTGER (Anm. 24) wollte sich Calvin mit den humanistisch Gebildeten, die wie er ins Fragen über die rechte Form der Gottesverehrung gekommen waren, zuerst auf der Ebene der Weisheit unterhalten: "Man braucht nur das humanistische Gewand ein wenig zu lüften, um gleich den tiefen reformatorischen Gehalt dieser Sätze [der Einleitung Calvins] zu spüren" (34). – Kriterium der von Calvin vorgenommenen Übersetzung reformatorischer Theologie in die Sprache der Weisheit ist der Vorrang der Gotteserkenntnis vor der Selbsterkenntnis innerhalb des Zirkels von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis. – Zur Intention der Übersetzung reformatorischer Theologie in die Sprache der Weisheit vgl. FR. SCHLEIERMACHER: Zwei Sendschreiben über seine Glaubenslehre an Herrn Dr. Lücke, in: Schleiermachers-Auswahl von H. Bolli, Gütersloh 21980, 120–175. – Ein historisch-systematischer Vergleich zwischen der Einleitung Calvins in der Institutio und der Einleitung Schleiermachers in seiner Glaubenslehre steht noch aus.
62 Vgl. dazu neben der Arbeit von P. CHR. BÖTTGER (Anm. 24) nunmehr die umfassende Untersuchung von P. OPITZ: Calvins theologische Hermeneutik, Neukirchen 1994.
63 G. VON RAD: Weisheit in Israel, Neukirchen 1970. – Barths in der Lichterlehre feststellbarer Gebrauch des Terminus "Gespräch des Geschaffenen mit sich selbst" (KD IV/3, 161) entspricht sachlich G. VON RADs Ausführungen in seinem Weisheitsbuch. – Zur kritischen Unterstellung der Weisheit unter den NAMEN des Gottes Israels und unter das erste Gebot als theologisches Axiom, wie sie bei Calvin und Barth durchgängig zu finden ist, vgl. W. ZIMMERLI: Grundriss der alttestamentlichen Theologie, Stuttgart 1972, 61989, § 18. – W. ZIMMERLIs in Leipzig 1932 herausgekommene Ausgabe der Psychopannychia ist von Barth 1934 in einem seiner letzten Bonner Semester zur Seminargrundlage gemacht worden.
64 K. BARTH: Ein Gespräch mit der Brüdergemeinde, in: Civitas Praesens, Nr. 13, 1961,7f.
65 K. BARTH: Interview mit dem Spiegelredakteur Rohlinger, in: Wie Mose vor Pharao. Karl Barth als junger Pfarrer von Safenwil, Sendung durch den WDR am 10.5.86 in der Reihe GOTT UND DIE WELT (Film von U. Kilimann, wissenschaftliche Betreuung durch B. KLAPPERT)
66 K. BARTH: (Anm. 1) 226.227.
67 K. BARTH: Die Menschlichkeit Gottes, Zürich 1956.
Prof. Dr. Bertold Klappert
Bertold Klappert, Die Rezeption der Theologie Calvins in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik (PDF)