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Immer noch Karl Barth?
45 Jahre nach seinem Tod? Von Barbara Schenck
Immer noch Karl Barth? überschreibt Michael Weinrich das einleitende Kapitel zu seinem neuen Barth-Buch. Aus der Frage wird beim Lesen schnell ein Ausruf, aber in mir ist die Frage geweckt: Was fasziniert mich an Barth?
Bei der Vorarbeit für diese Kolumne passiert das, was meistens geschieht, wenn ich Barth lese. Anstatt einen großen dogmatischen Wurf, etwa seine Erwählungslehre, zu erfassen und zu würdigen, bleibe ich hängen im Kleinen - zwei Wochen vorm Christfest in der kleinen Broschüre Weihnacht. Im Schein des Lichts von Bethlehem empfiehlt Barth die "geistige Abrüstung", denn: "dass Gott Mensch ward, das springt aus allen Prinzipien heraus". Gerade den "deutschen Menschen" legt er ins Herz: "Sollte der vorbehaltlose Glaube an allerhand Prinzipien nicht die besondere deutsche Form des Unglaubens sein?" Ich fühle mich ertappt. Wer jetzt denkt, das Urteil aus dem Jahr 1931, sei nicht mehr up to date, werfe einen Blick in Erziehungsratgeber. Aber Barth ist nicht unbarmherzig. Prinzipien und Überzeugungen werden nicht gänzlich verdammt. Dem "wirklichen Leben" tun sie als "Bohnenstangen" "nützliche Dienste". Aber Gott liebe uns gewiss nicht "prinzipiell" oder weil er "etwas mit uns anfangen konnte", sondern um unserer selbst willen.
Wer mit Barth denkt, muss politisch sein, Bibel und Zeitung lesen. Christliche Gemeinschaft ist Zeitgenossenschaft, nicht "Ewigkeitsgenossenschaft". Mir gefällt dazu seine Warnung: Die Kirche müsse sich fragen, wann und wo sie zum "stummen Hunde" geworden sei, "aus lauter Angst, nur ja von keinem 'Kotflügel' gestreift zu werden, nur ja nicht in den Schein zu kommen, Partei zu ergreifen", "in der Sorge um ihren guten Ruf und sauberen Mantel ewig schweigende, ewig meditierende und diskutierende, ewig neutrale Kirche". Das gilt wohl nicht nur für die Kirche, interpretiere ich meinen Lehrer.
Ganz im Sinne des großen Theologen ist es wohl nicht, wie ich einen Teil seiner Texte lese: als Rat fürs Leben. Ja, ich brauche Barths Worte so wie andere Anselm Grün & Co. Dabei muss ich mich dann selbst warnen, die dialektische Theologie nicht zu verniedlichen. Erquickend ist es trotzdem, sich auf diese Weise an Barth zu laben, etwa beim kläglichen Versuch, in wenigen Sätzen Theologisches zu schreiben, Barths Polemik zu hören gegen "kurzatmige Pseudo-Einfachheiten": Von der Wahrheit zu reden sei nicht einfach. "Einfach ist für uns weder der Römerbrief des Paulus, noch die heutige Lage in der Theologie, noch die heutige Weltlage, noch die Lage des Menschen Gott gegenüber überhaupt."
Hadere ich mit einer misslungenen Kolumne, dann hol' ich mir den schlichten Trost aus dem Vorwort zum Zweitem Römerbrief: "Nur Vorarbeit ist alles menschliche Werk". Und dann geht's weiter, nicht aufzugeben die "gebrochene Linie des Glaubens".
Zitate:
"kurzatmige Pseudo-Einfachheiten": Römerbrief, XV.
"die gebrochene Linie des Glaubens": Römerbrief, XVI.
"Ewigkeitsgenossenschaft": Weihnacht, 41.
"zum stummen Hunde geworden" (1938): Eine Schweizer Stimme, 76 .
Literatur
Karl Barth, Der Römerbrief 1922, TVZ 1989.
Karl Barth, Eine Schweizer Stimme 1938 - 1945, Zollikon-Zürich 1945.
Karl Barth, Weihnacht, Chr. Kaiser Verlag München 1934.
Michael Weinrich, Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths. Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie, Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 139, Göttingen 2013.
Barbara Schenck, 11. Dezember 2013