Zuständig ist Breithor fachlich für 15 Gefängnisse. Die meiste Zeit verbringt er als Seelsorger an der JVA Heidering. Breithor versucht aber, wie er sagt, mindestens einmal pro Jahr alle 15 Gefängnisse in seinem Zuständigkeitsbereich zu besuchen. In der JVA Heidering arbeitet er zusammen mit einem Kollegen der katholischen Kirche. Sämtliche Insassen sind dort bis zu fünf Jahre untergebracht. Manche Inhaftierte haben bereits einen Teil ihrer Haftstrafe in einer anderen JVA abgesessen. Besonders schwere Fälle sitzen in der JVA Tegel: Dort sind Sicherungsverwahrte und damit auch Gewalttäter untergebracht.
Herr Breithor, wer kommt zu Ihnen als Gefängnisseelsorger?
Das sind meistens Häftlinge, die länger in der JVA bleiben. Ein Jahr oder mehr. Wenn einer mal zu uns gekommen ist, dann bleibt es meistens nicht bei einem Gespräch.
Wie kommen die Häftlinge auf Sie zu?
Die einen schreiben einen sogenannten Vormelder. Auf so einem DinA5-Zettel steht dann der Name und das Anliegen. Pro Woche bekommen wir davon zehn bis fünfzehn Stück. Meistens kommen wir gar nicht hinterher und müssen entscheiden, auf welche Anliegen wir am ehesten reagieren. Manchmal melden sich auch Bedienstete bei uns. Das sind dann oft eher die dringenden Fälle. Zum Beispiel, wenn ein Familienangehöriger eines Häftlings gestorben ist. Dann lassen wir alles stehen und liegen und sprechen mit dem Betroffenen. In der JVA gibt es aber auch einen eigenen Bereich, in dem Gefangene bei uns anklopfen können und uns um Hilfe bitten.
Welche Bitten und Anliegen sind das?
Am häufigsten geht es darum, an Tabak zu kommen (schmunzelt). Viele Insassen rauchen. Wenn sie den ganzen Tag eingesperrt sind, dann gibt es wenig Ablenkung. Andere wollen Freunde oder Familie sehen. In der JVA Heidering dürfen zweimal im Monat Angehörige von draußen zu Besuch kommen. Wir können zusätzliche Besuchstermine organisieren. Die sind bei vielen beliebter. Bei den regulären Terminen treffen sich alle im selben Besucherraum. Dort ist es laut, hektisch. Bei uns: leise und deutlich entspannter. Dazu sind wir, anders als etwa die Psychologen, zur Verschwiegenheit verpflichtet. Bei uns ist deshalb so etwas wie ein geschützter Bereich.
Haben die Häftlinge manchmal Schwierigkeiten mit ihrer Tat umzugehen?
Das passiert eher selten. Wenn es gut läuft, dann erlebe ich die Einstellung: Ich habe Mist gebaut und sitze jetzt meine Strafe ab – damit ist es dann aber auch gut. Mit dem Ende der Gefangenschaft ist das Thema für die meisten erledigt. Unter den Häftlingen ist es ohnehin tabu über das zu sprechen, was sie begangen haben. Wenn es doch rauskommt, dann hat das oft Konsequenzen…
Was für Konsequenzen?
Wer etwas besonders Schlimmes gemacht hat, Frauen zum Beispiel angegriffen hat, der rutscht runter in der Hierarchie. Da kann es auch mal dazu kommen, dass sie dem eine runter hauen. Als Seelsorger muss ich mir dann normalerweise keine Sorgen machen. Wenn Gefangene anfangen sich zu prügeln, dann wird man von ihnen meistens in Sicherheit gebracht und geschützt.
Das klingt fast schon freundschaftlich.
Die Arbeit ist eine schwierige Balance aus Nähe und Distanz. Mich interessiert deshalb erst einmal nicht, was die Gefangenen vorher gemacht haben. Manche erzählen mir trotzdem von ihrer Vergangenheit. Dann denkt man sich: Wie kommt er dazu, seinem Schwiegervater mit dem Revolver ins Knie zu schießen? Es sind meist ganz normale Menschen.
Mit eigenen Problemen...
Was an ihnen am meisten nagt, das ist die Haft. Plötzlich können sie keine Entscheidungen mehr treffen. Wann gibt es Freistunde? Was gibt es zu Mittagessen? Das Leben ist fremdbestimmt. Viele kommen zu mir auch mit Beziehungsproblemen. Da geht es um Familie, Kinder, Partnerschaft. Besonders Weihnachten ist für die Häftlinge schlimm. An den Feiertagen dürfen keine Besucher in die JVA Heidering. Dann essen die Gefangenen zwar auch mal sowas wie Gänsekeulen. Ihre Familien aber leben draußen, oft in schwierigen Verhältnissen. Der Partner muss sich in vielen Fällen alleine um Erziehung und ums Geldverdienen kümmern. Die Hilfe der kriminellen Kumpels will man dann auch nicht. Viele machen dann lieber ganz Schluss mit der Beziehung.
Geht Ihnen das manchmal nahe?
Ich versuche das normalerweise nicht zu sehr an mich zu sehr ranzulassen. Wenn ich an einem Tag aber schon drei schwierige Gespräche hatte und mir ein Häftling zum vierten Mal von einer schweren Kindheit erzählt, dann wird auch mir das mal zu viel. Dann breche ich lieber ab und verschiebe das Gespräch. Für viele Seelsorger ist dies einfach extrem anstrengend. Deshalb lautet für viele die Regel: zehn Jahre Gefängnis, dann ist‘s auch mal wieder gut. Aber: Auch da gibt es Ausnahmen. Mein katholischer Kollege in Heidering macht diesen Beruf schon seit mehr als 30 Jahren.
Welche Rolle spielt der christliche Glaube bei Ihrer Arbeit?
Es kommt in den Gesprächen durchaus vor, dass manche plötzlich Interesse an religiösen Fragen entwickeln. Was passierte am Karfreitag? Was ist der Unterschied zwischen Gott im Christentum und im Islam? In erster Linie aber geht es um etwas anderes: Der Täter ist ein Mensch mit Bedürfnissen. Und wir unterstützen Menschen, die Hilfe benötigen. Ende der Ansage. Das an sich ist schon eine christliche Grundhaltung - die Liebe Gottes zu vermitteln. Dazu müssen wir nicht die missionarische Keule vor uns tragen.
Was braucht man stattdessen, um den Beruf auszuüben? Welche Tipps würden Sie Interessierten geben?
Man braucht Lebenserfahrung, kommunikative und psychologische Fähigkeiten. Das wichtigste aber ist: sich selbst zu kennen. Der Seelsorger in einer JVA muss professionell reagieren können, damit er nicht selbst vom Komplex Gefängnis verschluckt wird. Außerdem braucht er ein klares Standing, er muss reflektiert sein. Manche Gefangenen wollen einen auch mal über den Tisch ziehen. Manchmal kommt es auch zu Auseinandersetzungen, Beleidigungen. Dann muss man klar seinen Standpunkt zeigen können.