''Woran du dein Herz hängst, und worauf du dich verlässest, das ist in Wahrheit dein Gott''

Martin Filitz, Halle predigt Jesaja 40, 12-25

 Von Neuem richtet sich die prophetische Stimme an Menschen, die ohne Respekt vor der Schöpfung handeln: Flüsse begradigen, aus Profitgier an Sicherheitssytemen sparen, mit (Götzen)Bildern Krieg treiben. Bleibt die Frage: Wo hängt mein Herz?

Abendmahlsgottesdienst am Sonntag, dem 6. Februar um 10.00 Uhr im Ev.-ref. Domgemeindehaus in Halle (Saale) – 5. Sonntag nach Epiphanias
Predigttext: Jesaja 40, 12-17
Predigtlied: EG 326 Sei Lob und Ehr
Schriftlesung: Matthäus 13, 24-30
Wochenspruch: 1.Korinther 4, 5b
Wochenpsalm: Psalm 92
Wochenlied: EG 303, 1-4 Lobe den Herren
Heidelberger Katechismus: Frage 59

Jesaja 40,12-245
12 Wer hat mit der hohlen Hand das Wasser gemessen
und mit der Spanne seiner Hand den Himmel abgemessen?
Und wer erfasst mit dem Drittelmass den Staub der Erde
und wiegt mit der Waage die Berge
und mit Waagschalen die Hügel?
13 Wer hätte den Geist des HERRN geprüft,
und welcher Mensch wäre sein Ratgeber, würde ihn unterweisen?
14 Mit wem könnte er sich beraten, der ihm Einsicht verschafft
und ihn belehrt hätte über den Pfad des Rechts
und ihn Erkenntnis gelehrt hätte
und ihm nun den Weg der Einsicht wiese?
15 Sieh, wie ein Tropfen in einem Eimer sind die Nationen,
und wie Staub auf Waagschalen werden sie geachtet.
Sieh, Inseln hebt er empor, als wären sie ohne Gewicht.
16 Und der Libanon reicht nicht aus für den Brand,
und sein Wild reicht nicht aus für das Brandopfer.
17 Vor ihm sind alle Nationen, als gäbe es sie nicht,
wie das Nichts, wie das, was nicht ist, werden sie von ihm geachtet.
18 Und mit wem wollt ihr Gott vergleichen
und was als Ebenbild ihm gegenüberstellen?
19 Das Standbild giesst der Handwerker, und der Schmied überzieht es mit Gold und schmiedet daran silberne Ketten. 
20 Wer nicht so viel geben kann, wählt ein Holz, das nicht fault, er sucht sich einen geschickten Handwerker, um das Standbild zu befestigen, es soll ja nicht wackeln.
21 Wisst ihr es nicht, hört ihr es nicht?
Ist es euch nicht von Anfang an verkündet worden?
Habt ihr es, seit die Erde gegründet wurde, nicht begriffen?
22 Er thront über dem Kreis der Erde,
und wie Heuschreckenschwärme sind ihre Bewohner,
wie einen Schleier breitet er den Himmel aus,
und wie ein Zelt hat er ihn ausgespannt, um darin zu wohnen.
23 Fürsten macht er zunichte,
Richter der Erde macht er zu dem, was wie das Nichts ist.
24 Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät,
kaum hat ihr Baumstumpf Wurzeln geschlagen in der Erde,
da hat er sie auch schon angehaucht, und sie sind verdorrt,
und wie Stoppeln trägt der Sturm sie davon.
25 Und mit wem wollt ihr mich vergleichen, dass ich ihm gleich wäre?,
spricht der Heilige.

Liebe Gemeinde,

Fragen über Fragen. Man darf sich diesen Text des Propheten, den man den 2. Jesaja nennt, nicht geschrieben vorstellen. Man muß ihn hören. Es ist keine Schreibe, sondern es ist eine Rede. Voller Engagement, voller Leidenschaft. Wahrscheinlich antwortet der Prophet auf eine Rede, die ein anderer gehalten hat, ein Mensch aus dem Volk Israel – wie der Prophet auch, ein Mensch, der schon sein ganzes Leben lang in Babylon im Exil zugebracht hatte. So könnte der Mann geredet haben:

Warum hängt ihr eigentlich immer noch an euren alten Gewohnheiten?
Warum haltet ihr immer noch an dem Glauben an den unsichtbaren Gott fest?
Jetzt sitz ihr hier in Babylon – schon mehr als eine Generation lang.
Kein unsichtbarer Gott weit und breit.
Ob er wirklich die Welt geschaffen  hat?
Oder ob nicht ganz andere Kräfte dafür verantwortlich sind?
Und warum überhaupt ein Gott für alles?
Machen die Babylonier das nicht geschickter, wenn sie ihre Götter für jeden Bereich haben? Für die Dinge des Staates die einen – und die anderen für die Belange der Familie und des Kleinen Glücks.
Ihr habt beides nicht: weder das staatliche, noch das kleine Glück. Ihr sitzt an euren Kanälen zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Ihr singt eure alten Lieder und hängt eure Harfen in die Weiden, weil ihr für die Herren des Landes nicht singen wollt.
Verweigerungshaltung nennt man das.

So bringt man sich selbst in die andauernde Depression, in die Traurigkeit, aus der es dann keinen Ausweg gibt.

Und Gott, euer Gott? Wo ist er?
Meint  ihr, er sieht euch?
Meint ihr, er interessiert sich überhaupt noch für euch?
Vielleicht hat er sich davon gemacht.
Vielleicht ist er auf Urlaub – wer weiß?

Man muss doch mit der Zeit gehen.
Man muss sich einstellen auf die neuen Gegebenheiten.
Ihr kommt nicht mehr nach Hause!
Warum hängt ihr dann immer noch an den Alten Traditionen.

Macht euch frei! Fangt neu an!
Dann liegt die Zukunft vor euch!

So oder so ähnlich könnte der Mann gesprochen haben: Jude, wie die anderen Verschleppten aus Israel auch, aber auf dem besten Wege, sein Judentum und seinen Glauben hinter sich zu lassen.

Der Prophet widerspricht.
Auf die Kunst der Rede versteht er sich ebenso wie sein Gegenspieler.
Auch er fragt – aber genau in die umgekehrte Richtung.
Wer kann sich mit Gott vergleichen?
Welcher babylonische Gott?
Wer mißt das Wasser mit seiner hohlen Hand?
Eine ungeheure Vorstellung, die alle Anschaulichkeit sprengt.
Oder: wer wiegt die Berge mit der Waage?
Berge sind Zeichen der Hoheit, der Erhabenheit.
Auf den Bergen stehen die Heiligtümer der Götter.
Und er – Israels Gott – wiegt sie mit der Waage wie ein Brot.

Wer über die Schöpfung redet und kommt dabei nicht zur Ehrfurch,
der betreibt eitle Spekulation
Wer über den Schöpfer redet
Und setzt sich nicht selbst in Beziehung zu ihm,
der hat sie ein bestimmtes Bild von ihm gemacht
und ihn in seine eigene Welt eingeordnet.
Denn der Schöpfer ist in seiner Schöpfung gegenwärtig
Wo nicht, da hat er sich zur Ruhe gesetzt,
ein Gott im Ruhestand,
der die Dinge sich selbst überläßt
und der sich einfach nicht mehr kümmert.
Dann sind die Menschen an seine Stelle getreten:
Dann setzen sie die Schöpfung fort.
So, wie sie es wollen.
Dann begradigen sie die Flüsse.
Dann sparen sie an der Sicherheit,
Damit  das Geschäft profitabler wird.
Niemanden trifft Schuld an dem Unglück von Hordorf
- liest man in der Zeitung.
Der Lokführer des Güterzuges hat vermutlich zwei Signale überfahren.
Immerhin herrschte dichter Nebel.
Es hätte ein Sicherheitssystem geben können.
Aber dafür war bislang noch kein Geld da.
Es wurde gebraucht, um die Bahn an die Börse zu bringen.

Wir schaffen uns unsere Welt.
Dabei haben wir die Ehrfurcht verloren
Den Respekt vor dem Schöpfer,
der nach jedem seiner Tagewerke sagte:
„Und siehe, es war sehr gut!“

Als Gottes Ratgeber wären wir schlecht gewesen
Nur auf das Eigene bedacht
Das, was uns Vorteil bringt.
Solange der Diktator unangefochten herrscht
Hat er den Segen der demokratischen Staaten
Und niemand kümmert sich um seine Opfer.
Erst, wenn es ihm an den Kragen geht,
wenn das Volk aufsteht und das Recht einfordert
und die Krise nicht mehr zu übersehen ist,
dann erst rückt man vorsichtig von ihm ab.

Und diese mächtigen Völker
Die anderen ihren Willen aufzwingen
Die vor Waffen starren
Vor Gott sind sie wie ein Tropfen am Eimer,
kaum der Rede wert
heute sind sie oben
und morgen schon können sie in der Versenkung verschwinden.
Wie viele Reiche und Dynastien sind gekommen und gegangen.
Und an viele erinnert man sich nur, weil man im Wüstensand
Zeugnisse ihres vergangenen Lebens gefunden hat.
Das mächtige Babylon wird ebenso vergehen.
Das Ischtar Tor wird man ins Berliner Museum stellen.
Mühsam werden die Gelehrten versuchen,
die Keilschrifttafeln zu entziffern.
Man wird die untergegangene Größe bestaunen,
aber eben die untergegangene Größe.

Wie ein Tropfen am Eimer.
Was wir für unumstößlich halten,
das ist oft nur einen Atemzug lang
vom Untergang entfernt.

Wer sich nicht auf den lebendigen Gott verläßt, der macht sich andere Götter.
Kunstfertig, unter Einsatz aller Fähigkeiten und Kosten
Bronzebilder, die mit Gold überzogen werden
Und mit silbernen Beschlägen
Und wer sich Metall nicht leisten kann,
der nimmt beständiges Holz
und der Meister achtet darauf, dass der Götze nicht wackelt.

Und man hört den spöttischen Unterton
Der Prophet macht sich lustig
Denn diese Metall- oder Holzfiguren
Sind wirklich keine ernsthafte Konkurrenz
Was ist ein Götze, der wackelt?

Die Götzen haben Augen und sehen nicht,
sie haben Ohren und hören nicht
sie haben Hände und greifen nicht
sie haben Füße und gehen nicht.
So singt es die Psalmen 115 und 135
Und schon gar nicht können sie die Angst nehmen
Sie haben Macht über das Portemonnaie,
aber sie haben keine Macht
wenn es darum geht, Menschenherzen zum Guten zu kehren
und die Angst zu nehmen
Sie haben keine macht über den letzten Feind, den Tod.

Wer sich auf die Götzen verlässt, der ist verlassen.
Ihre Schönheit kann über die Ohnmacht nicht hinwegtäuschen,
die Kunstfertigkeit nicht über die Lüge,
die sie allein durch ihre Existenz verbreiten.
Sie tun so als wüssten sie und als könnten sie
Aber sie können und wissen nichts!

Sie sind keine Konkurrenz für den lebendigen Gott,
der seine Geschichte immer noch vor sich hat,
der sein Volk nicht im Babylonischen Exil untergehen lassen wird.
Babylon ist im Wüstensand versunken
Israel lebt noch immer
Nach 2000 Jahren Exil

Und es traut noch immer dem Gott,
der kein Bild hat,
der seine Gebote gibt
und der seine Zukunft verspricht.

Eine gewaltige Rede des unbekannten Propheten aus den Jahren um 539 vor Christus in Babylon.
Seither hat sich viel verändert:
Israels Gott ist der Vater Jesu Christi
Und auch die Moslems berufen sich auf ihn.
Schon lange haben wir keine Götzenbilder mehr

Oder doch:?
Es gab Denkmale, die sahen aus wie Götzenbilder
Und wer sie missachtete, der wurde bestraft wie ein Gotteslästerer.
Aber das ist vorbei:
Wir sind aufgeklärt. Wir lassen uns nicht mehr von Bildern beherrschen.

Oder doch:?
Man zeigt uns Bilder, und wir glauben, was wir glauben sollen.
Mit Bildern bereitet man Kriege vor
Und es gibt dann auch die nötige Unterstützung für den Waffengang.

Manche Bilder zeigt man uns auch nicht,
um uns nicht zu beunruhigen,
dass wir uns keine Gedanken machen
über den wahren Zustand der Welt
und der Menschen, die es nicht nach oben geschafft haben.

Unsere Götzenbilder
Sind die Bilder auf den Geldscheinen
Für die man sich fast alles kaufen kann.

Unsere Götzenbilder
Sind die Anzeigetafeln der großen Börsen in New York und in Tokyo,
In London und in Singapur.
Wie gebannt starren Politiker und Finanzmagnaten
Auf die steigenden und fallenden Kurven
Hin und hergerissen zwischen Furcht und Hoffnung,
wohl wissend, dass das Steigen und Fallen der Kurse Auswirkungen hat
bis in das letzte Dorf im Inneren Afrikas.

Unser Götzenbild
Ist der Spiegel, der mir sagt, was ich mit meinem Aussehen noch wert bin,
ob ich noch tauge für den Jahrmarkt der Eitelkeiten
ob meine Haut den Ansprüchen an Zartheit noch genügt,
mein Haar noch dien frische Farbe der Jugend zeigt.

Wer sich über die Götzenbilder der Antike erhebt,
der mag sich erst einmal bei sich selber umsehen.
"Woran du dein Herz hängst, und worauf du dich verlässest,
das ist in Wahrheit dein Gott“ – sagt Martin Luther
unübertroffen im Großen Katechismus.

Wo hängt mein Herz?
Worauf verlasse ich mich?
Was ist mein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Das ist die Frage.
Sie bleibt von dem Propheten her über die Zeiten hinweg aktuell.
Und niemand anderer kann sie beantworten als ich selbst.

Amen


Domprediger Pfr. Martin Filitz, Halle
5. Sonntag nach Epiphanias

Lehre uns zu unterscheiden, wann wir selber aktiv werden müssen und wann wir uns tragen lassen dürfen von dir.