Wollte Calvin das Weihnachtsfest abschaffen?

»Ich sehe, es sind heute mehr als gewöhnlich zur Predigt gekommen. Warum? Heute ist Weihnachten.«


Cornelis Koning: Porträt von Johannes Calvin (Ausschnitt) © Wikicommons

In verschiedenen Meldungen zum Calvin-Jahr wurde häufiger behauptet, Johannes Calvin habe das Weihnachtsfest in Genf abgeschafft – welch ein Frevel in einer Zeit, die um geschäftsoffene Adventssonntage streitet und in der die Hoffnungen für den Binnenkonsum ans Weihnachtsgeschäft gekoppelt sind. Dr. Achim Detmers erzählt die wahren Hintergründe in Genf und berichtet von einer deftigen Weihnachtspredigt Calvins, die sich gegen ein konsumorientiertes und inhaltsleeres Weihnachtsfest richtete.

Der Genfer Streit um die Feiertage

Die Genfer Reformatoren Guillaume Farel und Pierre Viret hatten 1535 die Reformation in Genf durchgesetzt. Im Zuge dieser Reformation waren alle Feiertage, die nicht auf einen Sonntag fielen, abgeschafft worden. 1538 erlitt die Reformation in Genf jedoch einen schweren Rückschlag. Farel und Calvin, der 1536 nach Genf gekommen war, wurden nach Meinungsverschiedenheiten mit dem  Stadtrat aus Genf ausgewiesen. Die Genfer orientierten sich nun in liturgischen Fragen an den (lutherisch gesinnten) Bernern. Daraufhin wurden folgende Feiertage wiedereingeführt: Empfängnis Mariä, Weihnachten, Beschneidung Christi und Himmelfahrt.

Vermittelnde Lösung

Nach seiner Rückberufung 1541 verzichtete Calvin darauf, die getroffene Feiertagsregelung grundsätzlich in Frage zu stellen. Gleichwohl machte er keinen Hehl daraus, dass er es für wenig sinnvoll hielt, den Tag der Beschneidung Christi zu feiern, Christi Todestag (Karfreitag) aber nicht. Und er kritisierte auch, dass der Tag der Empfängnis Christi vielfach – wenig reformatorisch – als ein Marienfest begangen wurde. Zwar gab es in Genf Gruppen, die eine Abschaffung der wiedereingeführten Feiertage forderten, und immer wieder gab es Streit an diesen Feiertagen. Calvin zögerte aber, die in Genf strittige Feiertagsfrage erneut anzugehen. Stattdessen setzte er sich 1542 für eine vermittelnde Lösung ein: Morgens sollte bei geschlossenen Werkstätten gefeiert werden, nach dem Mittagessen sollte aber jeder an seine gewöhnliche Arbeit gehen.

Sogar Handgreiflichkeiten am Weihnachtsfest

Doch die Genfer hielten sich nicht an diese Regelung. Einige Geschäfte waren an den Feiertagen geschlossen, andere hatten geöffnet. Stellenweise gab es sogar Handgreiflichkeiten. Schließlich drängte Calvin beim Genfer Rat darauf, nach einer Lösung für die strittige Feiertagsfrage zu suchen.

Zu seinem Erstaunen beschloss der Stadtrat am 16. November 1550, die auf einen Wochentag fallenden Feiertage abzuschaffen. Das kommende Weihnachtsfest sollte am Sonntag nach Weihnachten gefeiert werden, also am 28. Dezember. Eine so kurzfristige (und auch für Calvin überraschende) Änderung des Kalenders musste die Genfer natürlich heftig erregen. Die Polemik ging so weit, dass in Zürich sogar lange das Gerücht umlief, in Genf seien auch gleich die Sonntage als Feiertage abgeschafft worden.

Calvin macht es spannend

In dieser Situation war es für Calvin keine leichte Aufgabe am Donnerstag, dem 25. Dezember 1550, vor einer zerstrittenen Gemeinde auf die Kanzel zu steigen. Die Genfer waren an diesem Tag ungewöhnlich zahlreich in der Genfer Kathedrale St. Pierre erschienen und waren natürlich gespannt, wie Calvin die Streitfrage in seiner Predigt aufnehmen würde. Und Calvin machte es spannend:

Wenn Gott uns die Güter dieser Erde in Überfluss gibt, sind wir davon gleich berauscht

Am Vortag hatte er über Micha 5,5 gepredigt und er setzte in aller Ruhe seine Auslegung fort mit den Versen 6ff. Das dauerte eine halbe Stunde, ohne dass Calvin die strittige Frage auch nur angeschnitten hatte. Lediglich zu Micha 5,9 (»Ich werde die Rosse aus deiner Mitte ausrotten und deine Streitwagen vertilgen.«) merkte er an: »Der Prophet erklärt, dass Gott alle Hindernisse beiseiteschaffen will, die uns davon abhalten können, zu ihm zu kommen.« Ein Hindernis sah Calvin hier im Reichtum: »Gott muss uns die Güter dieser Welt mit Maß geben; denn wenn er sie uns im Überfluss gibt, so sind wir gleich außer uns. Zum Beispiel: Wenn man einen Mann sieht, der dem Trunk ergeben ist, wird man ihm Wein nur nach Maß geben; denn wenn man ihm den Becher in der Hand lässt, wird er sich betrinken.

Ebenso steht es mit uns; denn wenn Gott uns die Güter dieser Erde in Überfluss gibt, sind wir davon gleich berauscht.« Dies konnten die Genfer als eine deutliche Kritik verstehen an denjenigen, die darauf beharrt hatten, die Geschäfte am Weihnachtstag geöffnet zu halten. Denn Calvin wusste, dass es natürlich die wohlhabenden Genfer Geschäftsleute waren, die im Stadtrat den Ausschlag gegeben hatten für die Abschaffung der zusätzlichen Feiertage.

Aber das entscheidende Wort Calvins in der Feiertagsfrage ließ auf sich warten. Doch wer beim Predigttext genau zugehört hatte, der konnte ahnen, dass Calvin seine Predigt nicht schließen würde, ohne auch den eifernden Feiertagsbefürwortern, die an diesem Tag so ungewöhnlich zahlreich in die Kirche gekommen waren, eine Lektion zu erteilen. In Micha 5,12f heißt es: »Ich will deine Götzenbilder und Steinmale aus deiner Mitte ausrotten, dass du nicht mehr anbeten sollst deiner Hände Werk, und ich will deine Ascherabilder ausreißen aus deiner Mitte«. Dies war geradezu eine Steilvorlage, um auf die abergläubischen Vorstellungen einzugehen, die viele mit dem Weihnachtsfest verbanden. Zudem war es vielen gar nicht um die Erinnerung der Geburt Jesu gegangen, sondern schlicht um einen arbeitsfreien Tag.

Ich sehe, es sind heute mehr als gewöhnlich zur Predigt gekommen

Als sich die Genfer bereits mit einer für Calvin ungewöhnlich zurückhaltenden Predigt abgefunden hatten, hob Calvin noch einmal seinen Kopf und schaute in die Menge. »Ich sehe, es sind heute mehr als gewöhnlich zur Predigt gekommen. Warum? Heute ist Weihnachten.« Den Genfern, die in der kühlen Kathedrale auf das ›Amen‹ der Predigt warteten, stockte der gefrorene Atem. Rhetorisch geschickt hatte Calvin den Schlussteil seiner Predigt eingeleitet, um das Genfer Weihnachtsfest mit ein wenig Verstandeswärme zu würzen.

»Heute ist Weihnachten. Wer hat euch das gesagt?“, fragte Calvin seine Gemeinde und fuhr fort: »Es ist wirklich eine gute Sache, dass wir einen Tag im Jahr besitzen, an dem man uns den Nutzen zeigt, den wir von der Geburt Jesu in dieser Welt haben, und dass die Geschichte seiner Geburt vorgelesen wird, wie es am (kommenden) Sonntag geschehen wird. Aber wenn ihr denkt, Jesus sei heute geboren, so seid ihr geistlose, ja geradezu kopflose Geschöpfe. Wenn ihr Gott mit einem (besonderen) Tag dienen wollt, so kommt das einem selbst gemachten Götzenbild gleich.

Ihr sagt, dass es zur Ehre Gottes geschieht, und es geschieht zur Ehre der gottfeindlichen Mächte. Ein Tag ist nicht mehr als der andere. Wir könnten der Geburt unseres Herrn ebenso gut am Mittwoch, am Donnerstag oder irgendeinem anderen Tag gedenken. Aber wenn wir so unglückselig sind, einen Gottesdienst nach unserer Fantasie einrichten zu wollen, dann lästern wir Gott und machen einen Götzen aus ihm, so sehr wir auch alles im Namen Gottes tun.« (Supplementa Calviniana V, 172).

Wie die Hirten nach Bethlehem eilen

Wollte Calvin also das Weihnachtsfest abschaffen? Nein, in Genf wurden 1550 arbeitsfreie Feiertage auf Druck der Genfer Geschäftsleute abgeschafft und das Weihnachtsfest auf den kommenden Sonntag verlegt. Calvin ging es in dem Genfer Streit darum, in der vordergründigen Debatte um die Abschaffung eines arbeitsfreien Feiertages auf den eigentlichen Sinn des Christfestes hinzuweisen: »Daß wir wie die Hirten nach Bethlehem eilen müssen, um zu sehen. So soll jeder von uns nach dem Maß seines Glaubens und seiner Erkenntnis bereit sein, dorthin zu folgen, wohin Gott uns ruft.« (Auslegung zu Lk 2,15)

 

Weitere Texte zum Thema:


Dr. Achim Detmers, November 2010
»Du wirst Dich wundern, dass unsere Obrigkeit, ohne die Pfarrer zurate zu ziehen, so plötzlich die angenommene Kirchenordnung geändert hat.«

Von Calvin wird immer wieder behauptet, er habe in Genf einen ›Gottesstaat‹ errichtet, in dem sich die Pfarrer über die weltlichen Behörden gesetzt und ihre religiösen Vorstellungen rücksichtslos durchgesetzt hätten. Dieser Vorwurf ist absurd. Die wahren Machtverhältnisse in Genf waren andere.
von Pfr. Dr. Jochen Denker, Ronsdorf

Was es heißt, Calvin zu Weihnachten zu hören? fragt Jochen Denker und antwortet: "Calvin will in Gottes Namen Mut machen."