Wieder zurück

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 59. Kapitel


von Tobias Kriener

 

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Inhalt Tagebuch

Tobias Kriener erzählt:

24.8.2017

Nach einem wunderbaren Urlaub im kühlen Deutschland (erst 9 Tage Intensiv-Zocken in Hoechst - wovon ich leider keine Fotos habe, weil ich mein Handy bei der Abfahrt in Naharija im Auto liegen gelassen hatte; ich muss sagen: ich habe es nicht wirklich vermisst ...) , dann 14 Tage Ebenso-Intensiv-Chillen am Müggelsee mit Töchtern und Schwiegersöhnen und Nichten und Freunden) bin ich seit gestern zurück in Israel. Ich versuche, mich langsam wieder zu akklimatisieren: Gestern habe ich bei unseren Tel Aviver Freunden Dafna und Josefi übernachtet, wie vor beinahe einem Jahr, als ich ankam; diesmal war es aber geplant, denn heute früh bin ich bei der Botschaft gewesen, um die Verlängerung meines Visums in die Wege zu leiten. Danach hatte ich noch reichlich Zeit bis zu meinem Treffen mit Moshe Zuckermann in der Uni von Tel Aviv, den ich für unsere Gedenkveranstaltung zum 9. November gewinnen konnte. Meine Idee für das Thema unserer Gedenkfeier dieses Jahr ist der in den letzten Jahren erstarkende Nationalismus. Dazu hatte ich Moshe Zuckermann geschrieben:

"In diesem Jahr stelle ich mir aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre als das übergreifende Thema vor: Die Popularität autoritärer Führungsfiguren (Erdogan, Orban, Putin, Trump, Sisi, um nur ein paar Beispiele zu nennen) und nationalistischer Politik (Brexit, ...), die damit einhergehende Neuerzählung von Geschichte und was das für das Verhältnis zu den Juden bedeutet (Ungarn, Polen, Trump) - und was zu einer erfolgreichen Gegenbewegung beitragen kann (ich denke an die diesjährigen Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Landtags- und hoffentlich auch die Bundestagswahl in Deutschland - wo der befürchtete Durchmarsch der Rechtsnationalisten erst einmal abgewehrt werden konnte ...). Natürlich ist hier im Land von besonderem Interesse, in welchem Zusammenhang Entwicklungen in der israelischen und palästinensischen Politik mit diesen internationalen Trends stehen. Vielleicht kann man das in den (Arbeits-)Titel fassen: "Die Bedrohung der Demokratie durch autoritär-nationalistische Politik und wie die Demokratie verteidigt werden kann."

Zuckermann antwortete darauf: "Was den Inhalt anbelangt, möchte ich allerdings fragen: Ist es Zufall, daß Sie unter den Kategorien der Popularität autoritärer Führungsfiguren und der nationalistischen Politik Israel und seine autoritären und nationalistischen Muster völlig ausgeblendet haben? Anders gefragt: Verbietet es sich für Ihre Organisation kritisch über Israel zu reden? Ich würde gern im November kommen, möchte aber zunächst diese Frage geklärt wissen."

Ich habe dann klargestellt: " ... nein, es verbietet sich für uns keineswegs, kritisch über Israel zu reden - ganz im Gegenteil. Wie ich - vielleicht etwas verklausuliert - geschrieben habe, ist für uns 'Natürlich ... von besonderem Interesse, in welchem Zusammenhang Entwicklungen in der israelischen und palästinensischen Politik mit diesen internationalen Trends stehen.'

Genau deswegen habe ich ja die Anfrage an Sie gerichtet, weil ich mir erhoffe, dass Sie diese Zusammenhänge herstellen. Mein Eindruck als Leser von Ha'aretz ist, dass die israelische Politik versucht, sich diese Trends zu Nutze zu machen und dabei - nach meinem Verständnis - ein gehöriges Maß an Zynismus an den Tag legt (wenn man nicht Geschichtsvergessenheit unterstellen will ...).

Aber die europäischen Trends - die in US-amerikanischen Entwicklungen ihre Entsprechungen haben -, haben ja für die jüdischen Bürger dieser Länder etwas durchaus Bedrohliches, so dass die israelischen Versuche, sich das zu Nutze zu machen, etwas von einem Ritt auf dem Tiger haben: Man (konkret natürlich: die Regierung Netanjahu) geht das Risiko ein, dem antisemitischen Affen Zucker zu geben um vermeintlicher außenpolitischer Vorteile willen. Als Außenstehender stehe ich da einigermaßen fassungslos vor. Von Ihnen als intimer Kenner der Situation im Lande erhoffe ich mir Durchblicke auf die politischen Kalküle und ideologischen Motive, die für die Politik der derzeitigen israelischen Regierung da leitend sind. Es geht mir also gerade um Kritik im Sinne eines aufdeckenden Verstehens." Daraufhin war er beruhigt und hat sein Kommen zugesagt. Heute haben wir ein bisschen im Detail besprochen, wie sein Beitrag aussehen könnte.

Vor unserm Gespräch konnte ich ein bisschen unter ein paar Palmen auf dem Campus dösen ... Die Hitze ist heute gar nicht mal so schlimm gewesen, und heute abend ist es draußen sogar richtig angenehm. Aber am Wochenende soll das Thermometer wieder in Richtung 40 Grad klettern ...

Eine weitere Parallele zu meiner Ankunft vor einem Jahr war, dass es wiederum eine Störung des Zugverkehrs nach Naharija gab - diesmal aber auch das lang geplant: Wegen Bauarbeiten gingen von Tel Aviv Universita keine Züge gen Norden. So kam ich erstmals (!) seit meiner Ankunft vor einem Jahr in den Genuss einer Überlandfahrt mit Egged, der (nicht mehr ganz so exklusiven) nationalen Busgesellschaft. Und das Schöne war: In unserem Bus war der Apparat, der die Tickets ausdruckt, kaputt, so dass wir alle völlig umsonst von Tel Aviv bis Haifa Chof HaKarmel gefahren wurden!

Also - ich habe das starke Gefühl: Israel legt sich so richtig in's Zeug, dass ich mich hier willkommen fühle und gar nicht erst dazu komme, wehmütig an die schöne Zeit in Deutschland zurück zu denken ...


Tobias Kriener