In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. (4) Ich sage das, damit euch niemand betrüge mit verführerischen Reden. (5) Denn obwohl ich leiblich abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch und freue mich, wenn ich eure Ordnung und euren festen Glauben an Christus sehe. (6) Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, (7) wie ihr gelehrt worden seid, und seid reichlich dankbar. (8) Seht zu, daß euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus. (9) Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, (10) und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist. (Kolosser 2,3-10)
Liebe Gemeinde,
verwurzelt, gefestigt , dankbar – wer möchte so nicht das Weihnachtsfest begehen? Weihnachten möchten wir verwurzelt sein in unseren Familien oder Freundeskreisen, in unseren Traditionen, in unserem Glauben. Ja heute, soll sich festigen, was wir von dem Geheimnis dieses Fest bereits begriffen und bestaunt haben. Dass es tatsächlich wahr ist: Gott mitten uns, Immanuel, als Kind in der Krippe, dem es gelingt, Menschen zusammen zu führen zu einer Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern überall auf der Welt. Dem es gelingt, uns immer wieder die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit ins Herz zu pflanzen. Der unseren Blick lenkt auf diejenigen unter uns, die leiden unter Mangel, Ungerechtigkeit, Armut.
Dankbar möchten wir sein, fröhlich- und weitergeben möchten wir unsre Dankbarkeit an andere Menschen, indem wir sie beschenken und bedenken, in der Ferne und in der Nähe. Verwurzelt möchten wir sein, verbunden mit allen, die wir lieb haben. Verbunden, auch mit denen, die wir jetzt schmerzlich vermissen, weil sie bereits verstorben, krank, dement oder einfach abwesend sind.
Weihnachten haben wir Sehnsucht nach Fülle – einem gefüllten Tisch mit Essen und Trinken, mit mindestens einem Menschen, der mit mir an diesem Tisch sitzt. Nach Fülle der Lichter, nach der Fülle des Glanzes, der mit diesem Kind in unsere Welt hereinbricht. Hereinbricht aber eben auch in unsere Dunkelheit.
Wie geht das: Sich verwurzelt fühlen, wenn das Leben vieler heute so aussieht: Geboren in Hannover, aufgewachsen in München, Nürnberg und Göttingen, ein Studium absolviert und/oder einen Beruf gelernt, einen anderen ausgeübt, dazwischen arbeitslos gewesen, Berufs- oder Familienbedingt mehrmals umgezogen, Montags gefahren- freitags wiedergekommen. Flexibel und vielfältig musst du heute sein. Und dann? Kann ich mir überhaupt Menschen im Kollegenkreis, in Kirche oder Nachbarschaft vertraut machen? Wie kann das dann gehen, einen festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Verwurzelt? Gegründet? –
Oder schauen wir über unseren persönlichen Horizont hinaus – etwa auf die Christen, die vor allem seit 2003 im Irak verfolgt werden, entwurzelt, getötet, vertrieben, auf der Flucht und in Angst um ihr Leben, auf der Suche nach dem Recht zu bleiben, zu sein. Im Handgepäck nichts anderes als vielleicht dieses: Inmitten der Erfahrung des Mangels, der Entwurzelung, der Suche nach immer wieder neuem Grund, ein Restvertrauen: In Christus habt ihr Anteil an der Fülle Gottes.
Und so hören wir alle heute Nacht auf diese Botschaft des Paulus an die Kolosser. Wir alle , die wir ein Kind in uns haben, das getröstet, gefestigt und gegründet sein möchte. Weihnachten ist das Fest, das uns mit den Wurzeln unserer Kindheit verbindet, mit unseren familiären Wurzeln. Es verbindet uns mit unseren Anfängen, Gewissheiten, Geborgenheiten, bangen und freudigen Erwartungen. Es ist das Fest, das geeignet ist, Wurzeln zu geben und Rituale zu entwickeln, die in die nächsten Generationen reichen, die nicht verändert werden sollen.
Das Fest verbindet und mit unseren religiösen Wurzeln. Die Worte des Predigtextes fordern uns ganz unsentimental auf, sich auf den Kern dessen zu besinnen, was unseren Glauben ausmacht. Gott begegnet uns durch einen Menschen, der ganz unbedeutend daher kam: Jesus von Nazareth, geboren in einer ebenso unbedeutenden Kleinstadt Bethlehem. Und nun heißt es: Seid fest verwurzelt und gründet euch in Christus, das ist es , was wir heute tun sollen. Und doch hat diese Bitte des Paulus etwas überraschendes. Schließlich waren die Hauptfiguren des Ereignisses selbst Entwurzelte. Maria und Josef, gezwungen durch kaiserliches Edikt, ihren Geburtsort aufzusuchen, ohne Behausung für die Nacht, das Kind zur Welt gekommen am Wegrand, dann gleich wieder auf der Flucht vor den Schergen des Herodes. Wo hat Jesus seine Wurzeln? In Bethlehem? In Nazareth? In Ägypten? Oder können wir von ihm nur sagen: Der Heiland der Welt teilt die Entwurzelung von Menschen? Sie ist ihm sozusagen auf den Leib geschrieben?
In ihm, der nicht sogleich alles erklären und nicht die perfekte Lehre über die Welt vorweisen konnte, liegt dennoch ein tiefer Schatz verborgen an Weisheit und Erkenntnis. Und so hören wir alle, was Paulus behauptet –nämlich, dass wir in Christus alles gefunden haben, was wir suchen, weil er uns zuerst gefunden hat.
Sie sind anfällig für alle möglichen religiösen und philosophischen Gedankenmodelle. Ihre Einstellung zur Welt wird in der Theologie als Gnosis bezeichnet. Ein bisschen Sterndeutung, Verehrung der Elemente und Kosmologie, ein bisschen weltliche Askese, Ablehnung des Leiblichen. Sie wollen sich absichern in ihrem Glauben. Paulus oder ein Schüler des Paulus, der den Brief schreibt, sieht die Gefahr, die von diesen Gruppen ausgeht. Vielleicht würde man heute sagen: Das sind Ideologien, verführerische Reden, leerer Trug. Anfällig sind bestimmte Menschen dafür, Junge allzumal, damals und heute.
Paulus argumentiert jedoch nicht so, dass er seinen Adressaten Irrtümer oder falschen Glauben vorwirft. Allen Grund hätte er dazu. Er könnte auch uns so einiges vorwerfen: Etwa: Wieso glaubt ihr den Gesetzen des Marktes, den Versprechungen in einer globalisierten Welt, die den einen nützt und den anderen ihre Wurzeln nimmt: Den Bauern in Lateinamerika, die von ihrem Land vertrieben werden, damit ein Großgrundbesitzer noch zu Weltmarktpreisen produzieren kann. Oder den Millionen Chinesen, die einem Staudammprojekt weichen müssen, das den Turmbau zu Babel millionenfach in den Schatten stellt. Oder wieso glaubt ihr den Glücksverheißungen der Werbung? - Wenn nur ein Fünkchen davon wahr wäre, was uns Karstadt, Plus oder Saturn verheißen, wir alle wären bereits im Himmel.
Der, der uns heute in diesem Weihnachtsbrief anspricht, hofft jedoch auf unsere Einsicht, auf unser Wissen, auf den Grund, der schon gelegt ist. Der Kolosserbrief will uns zeigen, dass Gottes Geheimnis nicht in ausschweifenden Gedanken, sondern in einem konkreten Menschen zu finden ist. Viele Religionen, Philosophien, auch esoterische Richtungen versuchen ja diesem Geheimnis näher zu kommen, durch einen spirituellen Gang in die Tiefe. Sie wollen über die Welt hinaus führen und so die Weisheit finden. Weihnachten verstehen wir: Gott geht geradezu den umgekehrten Weg: Er kommt auf uns zu. Nicht wir, aufgrund unserer Weisheit zu ihm. Nicht irgendwo in der Tiefe oder Höhe, nein, mitten im Leben, im Kind in der Krippe kommt Gott zu uns. Als Erwachsener nimmt er dann unser Verhängnis und unser Leiden auf sich. Das ist der Grund, den Gott gelegt hat. Und erst danach kann das andere gesagt werden: Dass wir seiner Spur folgend zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes kommen.
Einen Schatz wollt ihr heben? Besondere Erkenntnis und Weisheit wollt ihr erlangen?, so fragt er seine Gesprächspartner. Den Sinn des Lebens ergreifen? Endlich euch selbst und diese Welt verstehen? – Die Antwort ist: In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Verborgen – und doch offenbar. Das Geheimnis von Weihnachten.
Die göttliche Offenbarung ist das Aufgehen einer Tür, die nur von innen geöffnet werden kann. „Du schleußt uns wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“ - Wenn die Tür aufgeschlossen ist und wir eintreten, vor der Krippe oder vor dem Kreuz stehen, sind wir plötzlich einfach nur da als die, die wir geworden sind. Entwaffnet – müssen wir nichts mehr aus uns machen, können uns als geliebte Kinder Gottes satt sehen an dem, was da ist.
Die Fülle Gottes ist leibhaftig , in einem Kind. In diesem Kind sagt Gott: Berühre mich, wende dich mir zu, glaube, dass die Hoffnung , dass mit einem Kind alles neu und anders wird- in diesem Kind fest gegründet ist. Dieses Kind bringt dich einer Bestimmung näher, von der du vorher nichts geahnt hast. Die Fülle leibhaftig in diesem Kind – also auch mit seinem offensichtlichen Mangel: an Reichtum, Wohlstand, Selbständigkeit. Ziemlich nackt und unbedeutend kommt diese Fülle daher. In diesem Kind zeigt sich Gott bedürftig. Wenn wir uns ihm zuwenden, wenden wir uns zugleich dem Durst in uns selbst und allen Bedürftigen zu. Wer das nicht erkennt und sich davon nicht ansprechen lässt, meint, es gäbe eine heilige stille Nacht ganz für mich privat ohne mein Mitfühlen, Fürbitten und Handeln für die, die am Rande stehen, hat nicht viel von Weihnachten begriffen. Denn in diesem Kind kommen sie ja gerade zusammen: Die Hirten und Arbeiter, die Wandergesellen ohne Festtagskleidung und die Weisen und Klugen, reich und hochgeritten. Die einen haben Erfahrung im Überleben und im Umgang mit Tieren. Die anderen im Deuten von Sternen und Denksystemen.
Sie alle darin eint, dass sie die Knie beugen und beschenkt werden. Ja, die Reichen können alles da lassen, alle kostbaren Schätze, weil sie nun reicher sind als sie vorher mit ihrem Gold waren. Und sie, die Weisen und Reichen gehen zurück, auf einem anderen Weg. Ein eigenes Thema ist das- Johann Sebastian Bach hat das im 6.Teil des Weihnachtsoratoriums genau herausgearbeitet. Die Weisen, gerade noch instrumentalisiert von König Herodes als Spione, verstehen sofort: Dieses Kind entmachtet Tyrannen, es reizt zum Widerstand, zum Einsatz für das Leben ,weil es ihnen einen unverlierbaren Schatz beschert. „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken, was könnt ihr mir für Furcht erwecken? Mein Schatz, mein Hort ist hier bei mir!“ dichtet Bach. Und Paulus, weniger prosaisch in seinem Brief:„Er ist ja das Haupt aller Mächte und Gewalten.“ Und so finden die Weisen, geleitet vom Engel, ihren eigenen Weg, während es von den Hirten einfach heißt, dass sie „zurückkehren“. Materiell reicher sind sie nicht geworden, aber sie können ihr Leben auf neue Weise bejahen.
Gott gibt ihnen und uns in diesem Kind mehr als nur ein bisschen Frieden und ein bisschen Zuversicht. Er gibt uns dauerhaft Anteil an der Fülle Gottes. Sie verändert uns. Wie einfach das gehen kann, weiß ich seitdem eine Austauschschülerin aus Brasilien bei uns in der Familie lebt. Allein, weil sie immerzu liebevoll umarmt, wenn sie geht und kommt und sich über etwas freut, ist bei uns zuhause eine neue Freundlichkeit und Dankbarkeit eingezogen. Wir begrüßen uns neuerdings wieder mit einer Umarmung, sonst haben wir uns morgens immer nur an den Tisch gemuffelt. Seid dankbar- sagt einfach mal danke – und vergesst nie Gott zu danken in Liedern und Gebeten. Seid dankbar, weil Weihnachten die Frage beantwortet hat, die wir so selten stellen, weil wir immer auf das Gegenteil fixiert sind. Es ist die Frage: Woher kommt das Gute.
Amen.