Im Jahr 1975 erschien in der Edition Suhrkamp eine Studie über „Kunst als Medium sozialer Konflikte“, die „Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution“ behandelte. Ihr Autor war Horst Bredekamp, einer der bis heute renommiertesten Kunsthistoriker der Welt. Er setzte sich in seinem Buch mit dem Phänomen des Ikonoklasmus, also des Bildersturms auseinander. Man war und ist es ja gewohnt, beim Bildersturm immer gleich etwas Böses oder Verwerfliches zu unterstellen, für das man sich quasi zu schämen habe. Horst Bredekamps Verdienst war es nun, mit diesem – übrigens bis heute fortwirkenden – Vorurteil aufgeräumt zu haben.
Er schreibt: „Die bilderstürmerischen Theorien gehören zu den großen geistigen Hervorbringungen ihrer Zeit, und die Formen ihrer praktischen Übersetzung waren so vielfältig und originell wie die Impulse, die zur Herstellung der Bilder nötig waren: „Bildersturm konnte ebenso schöpferisch sein wie Bildproduktion“ (H. Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte, Frankfurt 1975, S. 113). Und er belegt dies nicht zuletzt mit Untersuchungen des byzantinischen Bilderstreits und der Hussitenrevolution.
Es gehört zu den Charakteristika der vorreformatorischen und der reformatorischen Bewegungen, die Irrwege der christlichen Religion im Blick auf die Bilder kritisch begleitet und die Geltung des 2. Gebots wieder in Kraft gesetzt zu haben. Ja, dabei haben sie auch Gewalt angewandt. Aber ganz anders, als dies in heutiger Perspektive oft erscheint. Zum einen verlief dieser Bildersturm oft „gesitteter“ als die Überlieferung es darstellt.
Für Zürich wissen wir, dass zunächst alle Stifter gebeten wurden, ihre Werke aus den Kirchen abzuholen. Dann wurden die Gemeindeältesten gebeten, über jene Bilder, die von der Gemeinde angeschafft wurden, einen Gemeindebeschluss herbeizuführen. Und erst in einem dritten Schritt wurden dann tatsächlich noch verbliebene Bilder zerstört.
Warum erfolgte diese Zerstörung? Sie erfolgte, weil die Bilder ein entscheidendes Argument auf einem theologischen Irrweg waren: nämlich, dass man sich durch Stiftung von Bildern eine Abkürzung zum Himmel erkaufen kann. Für diejenigen, die nicht einmal das Geld zum Leben hatten, eine ungeheure Provokation. Reiche konnten z.B. in ihrem täglichen Geschäft Wucherei betreiben und dann durch Stiftung eines Bildes einen Erlass ihrer Sündenstrafen erlangen. Wenn das kein religiöser Skandal ist, dann weiß ich es nicht. In sozialen Aufständen geht es aber selten gesittet zu. Dort sagt man nicht: Lass uns doch mal dieses Werk ins Depot hängen. Nein, sozialrevolutionäre Umbrüche setzten mit Gewalt neues Recht durch gegen einen als ebenso gewaltsam empfundenen Ungerechtigkeitszustand. Unsere religiöse Überlieferung ist da nicht weniger zimperlich, man lese einmal Amos 4,1ff.
In Exodus 20, 4 steht geschrieben: „Mache dir kein Gottesbild noch irgendein Idol von irgendetwas im Himmel oben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ Das ernst zu nehmen ist der Antrieb derer, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts Kultbilder aus den Kirchen entfernten. Und dafür braucht man sich nicht zu entschuldigen – auch nicht im Gespräch mit der Orthodoxie! Die Bilderfrage ist und bleibt zwischen Orthodoxie und Protestantismus – gleich welcher Ausprägung – ein kontroverstheologisches Thema.
Werfen wir einen Blick auf die oberen beiden Bilder. Beide haben dasselbe Sujet – den Heiligen Lukas, der die Madonna malt –, aber sie atmen nicht denselben Geist. Das linke zeigt ein Werk des Ikonenmalers Domínikos Theotokópoulos aus der Zeit zwischen 1560 und 1567, das rechte ein Werk des autonomen Künstlers El Greco aus dem Jahr 1605.
Hier nimmt einen Unterschied wahr zwischen einer Kunst, die sich der Orthodoxie unterwirft und einer Kunst, die sich von dieser Vorgabe ikonoklastisch befreit. Es hat einen guten Grund, warum der Ikonenmaler Domínikos Theotokópoulos Griechenland verließ und über Venedig nach Toledo auswanderte und so zu El Greco wurde. Dieser Grund lautet ganz einfach: In den Bildern geht es nicht um die Darstellung des Glaubens! Es geht um die Kunst und ihre Wahrhaftigkeit!
Wir sollten deshalb ein aufgeklärtes Verhältnis zu den historischen Bilderstürmen der Waldenser, der Hussiten, der Reformierten und vieler anderer religiöser Aufbruchsbewegungen entwickeln. „Bildersturm konnte ebenso schöpferisch sein wie Bildproduktion“ schrieb vor 40 Jahren Horst Bredekamp und er ergänzte: Einzig dem Kunstschaffen selbst den Glanz großer menschlicher Leistungen zusprechen heißt, die ungeheuren Anstrengungen, die zum theoretisch abgesicherten und (oder) sozialrevolutionären Bildersturm führten, unterschätzen.“
So ist es. Ich bedaure den Bildersturm der Reformation nicht. Es gibt keinen Grund dazu. Er erst ermöglichte die Emanzipation der Künste aus der Vorherrschaft der Religion. Er machte das möglich, was der Kunsthistoriker Werner Hofmann vor gut 30 Jahren „Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion“ nannte. Jene Bilder, die angeblich seit langem Ausdruck evangelischer Frömmigkeit sind, atmen nicht einmal ansatzweise den Geist der Moderne, wie er etwa in den Bildern eines reformierten Predigers wie Vincent van Gogh zum Ausdruck kommt.
Die aktuellen Bilder des Protestantismus sind ein Missverständnis. Christus, darauf hat der reformierte Theologe und Schriftsteller Kurt Marti hingewiesen, ist die Befreiung der Künste zur Profanität. Wenn etwas Ausdruck protestantischer Frömmigkeit ist, dann ist es die konsequente Hinwendung zur säkularen Kultur.
Bildnachweis:
El Greco, Der heilige Lukas malt eine Ikone der Jungfrau mit dem Kind, 41,6 × 33 cm, Tempera und Gold auf Holz, 1560–1567, Benaki-Museum in Athen.
El Greco, Hl. Lukas, 1605. Öl/Lwd, 98x72 cm, Kathedrale von Toledo, Spanien.