„Auf dich, Herr, habe ich gehofft, damit ich nicht auf ewig zuschanden werde; in deiner Gerechtigkeit rette mich.
Neige dein Ohr zu mir, eile mich zu befreien, sei mir ein starker Fels, eine feste Burg, mich zu retten.
Denn du bist meine Burg, und mein Schutzwehr bist du; um deines Namens willen wirst du mich leiten und führen.
Ziehe mich aus dem Netz, das sie mir heimlich legten, denn du bist meine Stärke.
In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.
Ich hasse die, die sich an trügerische Hoffnungen halten; ich aber hoffe auf den Herrn.
Ich will frohlocken und mich deiner Güte erfreuen; denn du hast mein Elend gesehen und auf die Nöte meines Geistes geachtet.
Du hast mich nicht der Hand des Feindes ausgeliefert, hast meine Füße auf weiten Raum gestellt.
Herr, erbarme dich meiner, denn mir ist bange; schwach geworden vor Erbitterung ist mein Auge, meine Kehle, mein Leib.
In Kummer schwindet dahin mein Leben, meine Jahre vergehen mit Seufzen. Meine Kraft zerfällt unter meinen Qualen und schwach geworden sind meine Gebeine.“ Psalm 31,2-10 nach Johannes Calvin
Dass ich mich als Mensch nur selbst verstehen kann, wenn ich mich von Gott verstanden weiß, dass Gott als Urheber von allem allein die Ehre zu geben ist und ich mit allem, was mich ausmacht, gerade so Raum bei Gott habe – das ist ein Pfeiler im Denken Johannes Calvins. Von Gott geht alles aus – zu ihm geht alles hin. Ich als Mensch habe genau dazwischen meinen Ort – und damit bei Gott meinen Ort.
In den Psalmen finde ich Sprache dafür. Oder wie Calvin es formuliert:
„Die Stimme Gottes muss also in unseren Herzen wie ein Echo in gewölbten Räumen Widerhall finden, so dass aus dem beiderseitigen Zusammenklang das Vertrauen zur Anrufung [Gottes] entsteht.“ (CStA 6, 125)
Ein Psalm, in dem so ein „Zusammenklang“ ganz deutlich zu spüren ist, ist der 31. Psalm. In ihm findet die Stimme Gottes in einem von Elend und größter Not bedrückten Herzen Widerhall. Als Psalm Davids legt ihn Johannes Calvin in seinem Psalmen-Kommentar aus – in der Gestalt Davids und dessen Auf und Ab im Lebenslauf erkennt er sich selbst wieder – und lädt in seiner Auslegung uns zu so einem Wiedererkennen ein.
Lasst uns Psalm 31 jetzt miteinander sprechen und beten:
„Auf dich, Herr, habe ich gehofft, damit ich nicht auf ewig zuschanden werde; in deiner Gerechtigkeit rette mich.
Neige dein Ohr zu mir, eile mich zu befreien, sei mir ein starker Fels, eine feste Burg, mich zu retten.
Denn du bist meine Burg, und mein Schutzwehr bist du; um deines Namens willen wirst du mich leiten und führen.
Ziehe mich aus dem Netz, das sie mir heimlich legten, denn du bist meine Stärke.
In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.
Ich hasse die, die sich an trügerische Hoffnungen halten; ich aber hoffe auf den Herrn.
Ich will frohlocken und mich deiner Güte erfreuen; denn du hast mein Elend gesehen und auf die Nöte meines Geistes geachtet.
Du hast mich nicht der Hand des Feindes ausgeliefert, hast meine Füße auf weiten Raum gestellt.
Herr, erbarme dich meiner, denn mir ist bange; schwach geworden vor Erbitterung ist mein Auge, meine Kehle, mein Leib.
In Kummer schwindet dahin mein Leben, meine Jahre vergehen mit Seufzen. Meine Kraft zerfällt unter meinen Qualen und schwach geworden sind meine Gebeine.“
Dieser Psalm ist ein Vertrauenspsalm; ein Gebet, das von der Klage weiß, aber mitten in der Klage das ganze Vertrauen auf Gott wirft. Von Kummer ist die Rede, von Seufzen, Not und Elend. Er gibt dem eine Stimme, was davon in mir ist:
„Mit gutem Grund nenne ich gewöhnlich das [Psalm]buch eine Aufgliederung aller Teile der Seele. Denn jede Regung, die jemand in sich empfindet, begegnet als Abbild in diesem Spiegel. Ja, hier hat uns der Heilige Geist alle Schmerzen, Traurigkeit, Befürchtungen, Zweifel, Hoffnungen, Sorgen, Ängste, Verwirrungen, kurzum all die Gefühle, durch die Menschen innerlich hin und her geworfen werden, lebensnah vergegenwärtigt.“ (CStA 6, 21)
Eine „Aufgliederung der Seele“ – im lateinischen Original: eine „Anatomie der Seele“ - ist der Psalter, ist dieser Psalm: Schaut darauf, wo es mir einfach nur elend geht, wo ich verstrickt bin. Schaut auch nicht geflissentlich hinweg über meine Aggressionen auf Menschen, die mir in ihrem Denken und Handeln zuwider sind. Schaut darauf, holt es aus der Grauzone des „es geht schon“, benennt alles mit seinem wahren Farbton. Stellt mich damit vor einen Spiegel.
„Die übrige Schrift enthält die Gebote, die Gott seinen Dienern mitgeteilt hat, um sie uns zu verkündigen. Hier aber reden die Propheten selber mit Gott, und weil sie ihre geheimen Gedanken ans Licht bringen, sprechen sie jeden von uns an und bringen uns zur Selbstprüfung.“ (Ebd.)
In seiner ganzen Not weiß der Mensch, der diesen Psalm betet: auf Gott kann ich trauen. Ihm kann ich Glanz und Elend meines Lebens in die Hand geben – „in deine Hände befehle ich meinen Geist“.
„Wiederum hält David Gott seinen Glauben vor und bezeugt, er tue Gottes Vorsehung so viel Ehre an, dass er alle seine Sorgen ihr überlasse. Wer sich nämlich in Gottes Hand und Obhut begibt, macht ihn nicht nur zu seinem Herrn über Leben und Tod, sondern ruht bei allen Gefahren friedlich unter seinem Schutz.“ (CStA 6, 141-143)
„Vorsehung“ – wir sind da angekommen, wo Calvin ganz ambivalent wahrgenommen wurde und wird - bei dem, was Gott mit uns vorhat und wie wir es erkennen – in der Sprache der Theologie: bei Calvins Lehre von der doppelten Prädestination – der Erwählung zum Heil oder zum Unheil. Dass es bei Gott beschlossene Sache ist, wie es mit mir ausgehen wird – das will Calvin den Glaubenden klar machen. Wie ich es erkennen kann, wie es um mich steht? Ganz einfach: indem ich glaube!
„Viele leben fröhlich und sicher in den Tag hinein, als ob sie in einem ruhigen Hort lebten, der von allen Unannehmlichkeiten unberührt wäre. Sobald sie aber eine Furcht befällt, geraten sie vor Angst fast außer sich. So kommt es, dass sie sich nie Gott zuwenden, weil sie sich entweder durch leere Verführungen täuschen [lassen] oder, überwältigt von Zittern und betäubt vor Schreck, keine Spur von Gottes väterlicher Fürsorge erfassen.“ (CStA 6, 143)
Gott kann Menschen fern bleiben – sie spüren nichts von ihm. Glauben heißt vertrauen. Vertrauen heißt: die Treue, in der Gott mir nah ist, erkennen. „Herr, du treuer Gott“, heißt es in Psalm 31. Für Calvin ist das ein Schlüsselwort. Denn nur aus der Erfahrung des von-Gott-getragen-Seins kann meine Hoffnung, dass Gott mich weiter trägt, wachsen.
„So verbindet David die Zuversicht des Betens und der Hoffnung auf zukünftige Hilfe mit den früheren Wohltaten, wie um zu sagen: Herr, der du dir immer gleich bleibst, und deinen Sinn nicht nach Menschenweise änderst, hast ja schon durch die Tat bezeugt, dass du der Beschützer meines Heils bist. Deshalb lege ich meine Seele, deren Erretter du gewesen bist, in deine Hand. (CStA 6, 145-147)
Das ist die Zusage und Stärkung Gottes, dass wir einen weiten Blick, einen langen Atem und sichere Schritte in die Zukunft gewinnen. Dass uns die Niederlagen nicht den Blick verengen. Dass sie uns nicht den Mut nehmen. Das gilt für den Blick auf die Welt rings um mich herum. Das gilt für den Blick auf mein eigenes Leben. So stellt Gott meine Füße auf weiten Raum. Diesen weiten Raum lehrte Johannes Calvin. Eine Weite, die sich aus Gottvertrauen speist. Eine Weite, die in der Freiheit ihre Wurzeln hat. Weil Gott meinem Leben Sinn gibt. Weil Gott mich sieht. Weil Gott mit mir etwas vorhat.
Amen.
Calvin-Zitate aus: Eberhard Busch u.a. (Hg.), Der Psalmenkommentar. Eine Auswahl, Calvin-Studienausgabe Bd. 6, Neukirchen-Vluyn 2008, abgekürzt CStA 6. Die Zitate werden von einem anderen Sprecher gelesen.