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Freundschaft mit Gott
Eine Predigt zu 2. Mose 33,11
„Der Herr aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet.“
Liebe Gemeinde,
wir brauchen Freunde. Die Einsamkeit der Coronazeit hat es uns schmerzlich vor Augen geführt, wie sehr wir auf Freundschaft angewiesen sind. Was war das für eine traurige Advents- und Weihnachtszeit, als wir Abstand halten mussten; und was war das für eine Erleichterung, als wir uns wieder unbeschwert mit Freunden treffen konnten. Die Distanzierungsmaßnahmen rissen Freundschaften regelrecht auseinander. Und es war schwer, den verlorenen Kontakt zu unseren Freunden wiederherzustellen. Es brauchte etwas Zeit, bis die alte Vertraut- und Entspanntheit sich wieder einstellen konnte.1 Auch daran wurde uns bewusst, wie sehr wir Menschen Freundschaft brauchen. „Ohne Freunde möchte niemand leben, auch wenn er die übrigen Güter alle zusammen besäße“2 – so schreibt der Philosoph Aristoteles und er hat Recht damit. Was wären wir Menschen ohne den anderen Menschen, zu dem wir Vertrauen haben dürfen, mit dem wir Freud und Leid teilen können. Freundschaft ist einfach eine ganz und gar wunderbare, einzigartige Beziehungsform zwischen uns Menschen.
Es gehört nun zu den Überraschungen, die die Bibel für uns bereithält, dass sie – wie unser Predigttext zeigt – nicht nur von der Freundschaft zwischen Menschen (etwa zwischen Jonathan und David, Ruth und Naomi oder Hiob und seinen Freunden) spricht, sondern auch von der Freundschaft zu Gott: „Gott redete zu Mose wie mit einem Freund.“ Das geschieht im Alten Testament freilich nur an wenigen Stellen; das Prädikat „Gottesfreund“ ist nur ganz außergewöhnlichen Persönlichkeiten vorbehalten. Mose (Ex 33,11) und Abraham (Jes 41,8; 2Chr 20,7; Jak 2,23) gehören zu diesen Einzelfällen; Abraham zum einen deshalb, weil er der „uranfängliche Träger der Verheißung ist, den Gott auserwählt hat und dem sich Gott zuwendet, aber wahrscheinlich auch deshalb, weil seine vorbildliche aemunah [Treue, Zuverlässigkeit; M.H.] (Gen 15,6) und vorbildliche Gottesfurcht (Gen 22,12) […] es […] erlaubt, von einer Freundschaftsbeziehung mit Gott zu sprechen, denn auch Gott erweist sich als treu (Dtn 7,9; 32,4; 1Chr 17,23f.; 2Chr 1,9; 6,17) und entsprechend ergeht auch an Israel der Aufruf zur Treue (2Chr 20,20).“3
In unserem Predigttext erscheint nun Mose, dem Gott sein Volk anvertraut hat (vgl. Num 12,7) und der der Größte aller Propheten genannt wird (Dtn 34,10–12), als Freund Gottes. Werfen wir einen kurzen Blick auf den Zusammenhang, in dem dies geschieht: Das Volk Israel lagert am Berg. Es hat die Gesetzestafeln empfangen und Gott vor dem Lager ein zeltartiges Heiligtum, die Stiftshütte, errichtet, in der er unter den Israeliten wohnen will (Ex 25,8). Und dann heißt es in Ex 33,8-11: „Wenn Mose hinausging zum Zelt, so stand alles Volk auf, und jeder trat in seines Zeltes Tür und sah ihm nach, bis er ins Zelt hineinging. Und wenn Mose ins Zelt hineinging, so kam die Wolkensäule hernieder und stand am Eingang des Zeltes, und der Herr redete mit Mose. Und alles Volk sah die Wolkensäule am Eingang des Zeltes stehen, und sie standen auf und neigten sich, ein jeder in seines Zeltes Tür. Der Herr aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. Dann kehrte er zum Lager zurück“.
Gott redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht – „face to face“. Hier wird ganz menschlich von Gott geredet. Gott lässt sich sehen. Er ist dem Menschen ganz zugewandt. Der hier verwendete hebräische Begriff panim für Angesicht bezeichnet „die ‚ganze menschliche Person‘, insofern sie sich dem anderen zuwendet und mit ihm kommuniziert.“4 Im Angesicht sind die „Kommunikationsorgane versammelt, unter denen Augen, Mund und Ohren die wichtigsten sind“.5 Die Begegnung ist denkbar intensiv. Gott ist persönlich anwesend und gegenwärtig. Der Gotteskontakt wird konkret-leibhaft.6 Das, worum wir im Segen bitten, widerfährt hier Mose: „Der Herr lässt leuchten sein Angesicht über mir und ist mir gnädig. Der Herr erhebt sein Angesicht auf mich und gibt mir Frieden“ (vgl. Num 6,25f.).
„Was für ein menschliches Bild von Gott: Ein offenes, mir zugewandtes, hell leuchtendes Gesicht. Ein Gesicht, das mich entfeindet, entspannt, mich in eine entkrampfte, gelöste, ja heitere Stimmung versetzen kann; ein Gesicht, das Zustimmung, ja Einverständnis, ein ‚Ja‘ zu mir ausdrückt. Ich halte einen Moment inne und denke an die Gesichter, die über meinem Leben schon geleuchtet haben, an die glänzenden Augen, in deren Licht ich mich spiegeln konnte: Lass mich der Glanz in seinen Augen sein! Da, wo mir ein solches Gesicht begegnet, erfahre ich Segen als ein ‚Ja‘ zu meinem Leben: Ich bin gewollt, ich bin geachtet und wertgeschätzt. Gott sieht mich ausgesprochen gerne an, kann sich nicht sattsehen an mir. Dieses Segenswort will mich genau da treffen, wo das für mich infrage steht, wo ich mich übersehen und missachtet, überflüssig, unnütz und ungeliebt fühle. ‚In deinen Augen kann ich schöner werden, als ich bin.‘ Das ist Gnade – dieses offene, leuchtende Angesicht Gottes, das mir in den freundlich zugewandten Gesichtern von Menschen begegnet.“7 Das ist die Gnade der Freundschaft Gottes.
Diese Gnade ist alles andere als selbstverständlich. Dass Gott sich mit uns befreundet und ein Mensch Gottes Freund genannt wird, überrascht. Gott und Mensch sind ja nicht gleichgestellt. Das Ungleichverhältnis steht ihrer Freundschaft im Weg. Dem Philosophen Aristoteles zufolge können nur Gleiche Freunde sein. Gleichheit sei das Merkmal der Freundschaft8: „Gleichheit und Übereinstimmung ist Freundschaft“9 – so Aristoteles. Wir kennen das Sprichwort, das Aristoteles zitiert: „Gleich und gleich gesellt sich gern.“10 Sobald sich Ungleichheit zwischen Freunden auftut, wird es schwierig mit der Freundschaft. Es muss ein Ausgleich gefunden werden. Eine Freundschaft zwischen Menschen und Göttern etwa erweist sich nach Aristoteles als geradezu ausgeschlossen.11 Die Ungleichheit ist schlicht zu groß.
Wie anders redet unser Predigttext von der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Es bedeutet geradezu eine Revolution des Gottesbildes, wenn in der Bibel von Gott als einem Freund von Menschen wie Abraham oder Mose gesprochen wird. Was Aristoteles ausschließt, schließt die Bibel ein. Halten wir fest: Wenn auch zurückhaltend, so kann die Bibel doch von dem schier Unmöglichen sprechen: von Gott als dem Freund von Menschen.
Liebe Gemeinde, ich möchte kurz von einem Mann erzählen, der diese Freundschaftserfahrung mit Gott auf eine drastische Weise gemacht hat. Ich rede von Johann Georg Hamann (1730–1788), einem der großen Denker des 18. Jahrhunderts, einem „radikalen Aufklärer“12. Ich bin dieser Tage über seinen Erweckungsbericht gestolpert.13 Hamann war beruflich und privat gescheitert. Hamanns Werbung um Catharina Berens, die Schwester seines Freundes Johann Christoph Berens, scheiterte. Beruflich hatte er als Kaufmann durch halb Europa reisend – von Königsberg nach Berlin, Lübeck, Hamburg, Amsterdam und schließlich London – keinen Erfolg. Unterwegs war er einsam, zutiefst einsam. Er sehnte sich nach einem anderen Menschen, einem Freund, der ihn versteht. In tiefer Krise durch sein privates Scheitern und seine finanziellen Schwierigkeiten studierte er in London eingehend die Bibel. Dabei kam es im Jahr 1758 am Abend des 31. März‘ zu einem Erweckungserlebnis.
In seinen „Gedanken über meinen Lebenslauf“ (1758) deutet Hamann seine Erweckung als eine Freundschaftserfahrung mit Gott: „Unter dem Getümmel aller meiner Leidenschaften, die mich überschütteten, dass ich öfters nicht Atem schöpfen konnte, bat ich immer Gott um einen Freund, um einen weisen redlichen Freund, dessen Bild ich nicht mehr kannte; ich hatte anstatt dessen die Galle der falschen Freundschaft und die Unhinlänglichkeit der Besserung gekostet, genug gekostet. Ein Freund, der mir einen Schlüssel zu meinem Herzen geben konnte, den Leitfaden von meinem Labyrinth – war öfters ein Wunsch, den ich tat, ohne den Inhalt desselben recht zu verstehen und einzusehen. Gott Lob! Ich fand einen Freund in meinem Herzen, der sich in selbiges schlich, da ich die Leere und das Dunkle und die Wüste desselben am meisten fühlte.“14
Gott als Freund, der ihn versteht – dieser begegnete Hamann in der Bibel. Hamann zitiert am Ende seines Erweckungsberichts aus Paul Gerhardts Lied „Ich weiß, mein Gott“ Strophe 5,15 wo es heißt: „Gib mir Verstand aus deiner Höh, / auf daß ich ja nicht ruh und steh / auf meinem eignen Willen; / sei du mein Freund und treuer Rat, / was recht ist, zu erfüllen.“16 Gott als Freund, das war es, was Hamann erfuhr. Und er merkte bald, dass er mit dieser Erfahrung nicht allein war, sondern dass viele Menschen vor ihm, nicht nur biblische Figuren wie Abraham und Mose, diese Erfahrung machen durften. Paul Gerhardt etwa dichtete angesichts der Feindschaftsexzesse des 30-jährigen Krieges, dem in Europa in einem schier endlosen Sterben mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung zum Opfer fiel, das Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“ (1653): „Wann oft mein Herz im Leibe weint / und keinen Trost kann finden, / rufst du mir zu: ‚Ich bin dein Freund, / ein Tilger deiner Sünden. / Was trauerst du, o Bruder mein? / Du sollst ja guter Dinge sein, / ich zahle deine Schulden.‘“17
Nicht wahr, liebe Gemeinde, Weihnachten hat mit Freundschaft zu tun, aber wohlgemerkt nicht nur damit, dass wir in den Heiligen Tagen die Familie wiedersehen und oft auch gute, alte Freunde. Nein, die Weihnachtsgeschichte berichtet davon, wie Gott unser Freund wird, wie er, der erhabene und hohe Gott, sich in diesem Kind in der Krippe uns gleich macht, einer von uns wird, um unser Freund sein zu können. Ja, Freundschaft ist nur unter Gleichen möglich, so sagte Aristoteles. Und deshalb, so etwa der Theologe Thomas von Aquin,18 der Aristoteles so gut gelesen und verstanden hat wie kaum ein Theologe vor und nach ihm, deshalb musste Gott Mensch werden. Gott wird Mensch, uns gleich, um unser Freund, der Menschenfreund, sein zu können. Gott sehnt sich regelrecht nach uns. Er möchte nicht ohne uns Gott sein. Gott ist leidenschaftlich an uns interessiert. Er sucht uns Menschen auf. Er kommt zu uns, um mit uns im Gespräch zu sein – auf Augenhöhe, von Angesicht zu Angesicht, so wie mit Mose. Und deshalb, liebe Gemeinde, lässt er es Weihnachten werden.
„Du unser Heil und höchstes Gut, / Vereinest dich mit Fleisch und Blut, / wirst unser Freund und Bruder hier, / und Gottes Kinder werden wir.“19 Gott möchte unser Freund sein. Ja, er ist es in Christus an Weihnachten geworden. Das ist Grund zur Freude: „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket, ihr Enden der Erden! / Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden. / Friede und Freud / wird uns verkündiget heut; / freut euch, Hirten und Herden.“20
Amen
1 Vgl. Martin Sulner, In aller Freundschaft, Sonntag-HAZ vom 24./25. Juli 2021, 1.
2 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1155a (Übersetzung: F. Dirlmeier).
3 Jan Dietrich, Von der Freundschaft im Alten Testament und Alten Orient, in: Welt des Orients 44 (2014), (37–56) 50f.
4 Bernd Janowski, Anthropologie des Alten Testaments. Grundfragen – Kontexte – Themenfelder, Tübingen 2019, 143.
5 Hans Walter Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, 5. Aufl., München 1990, 116.
6 Vgl. B. Janowski, Anthropologie des Alten Testaments, 289.
7 Magdalene L. Frettlöh, Ein Wort gibt das andere. Predigten und andere WortGaben aus dem Kirchlichen Fernunterricht, Erev-Rav Hefte / Biblische Erkundungen 12, 2. Aufl., Uelzen 2019, 161f.
8 So Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1159a.
9 A.a.O., 1159b (Übersetzung: O. Gigon).
10 A.a.O., 1155a (Übersetzung: F. Dirlmeier).
11 Vgl. a.a.O., 1159a.
12 So Oswald Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch. Johann Georg Hamann als radikaler Aufklärer, München 1988.
13 Vgl. diesem Erweckungsbericht: Oswald Bayer, Wer bin ich? Gott als Autor meiner Lebensgeschichte, in: ders., Gott als Autor. Zu einer poietologischen Theologie, Tübingen 1999, 21–40.
14 Johann Georg Hamann, Londoner Schriften. Historisch-kritische Neuedition von Oswald Bayer / Bernd Weissenborn, München 1993, 342,20–31.
15 Vgl. J.G. Hamann, Londoner Schriften, 347,48. Diesen Hinweis verdanke ich O. Bayer, Gott als Autor, 39.
16 EG (Rheinland, Westfalen, Lippe) 497,5.
17 EG (Rheinland, Westfalen, Lippe) 37,5.
18 Vgl. zu Thomas: Eckhard Schockenhoff, Bonum hominis. Die anthropologischen und theologischen Grundlagen der Tugendethik des Thomas von Aquin, Tübinger Theologische Studien 28, Mainz 1987, 514ff.
19 EG (Rheinland, Westfalen, Lippe) 42,6.
20 EG (Rheinland, Westfalen, Lippe) 41,2.
Marco Hofheinz