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Wenn Christentum zärtlich ist und Atheismus höflich
Mittwochs-Kolumne von Barbara Schenck
Alain de Botton hat eine Botschaft. Sie heißt "Atheismus 2.0" oder: "Religion für Atheisten".
Die Religionen seien "so raffiniert, so kompliziert, auf viele Arten so intelligent", dass man sie nicht einfach nur den Religiösen überlassen kann", meint der in London lebende Philosoph und Journalist.
Die Konsequenz für de Botton: Er will stehlen, was ihm nicht gehört - "sehr respektvoll" und dabei "total pietätlos". Auf die besondere Art der religiösen Bildung hat er es abgesehen. Wer auf der Suche nach Moral, Orientierung und Trost sei, fände auf dem höheren Bildungsweg der Universität nur Information. Nötig seien jedoch keine "Daten", sondern "Hilfe" zum guten Leben.
Religionen geben nicht nur Weisung, was zu tun oder zu lassen ist, sie wissen auch um die Tücke unseres Gedächtnisses: Es vergisst schnell, was es einst wusste. Genau deshalb pflegen Festkalender und Liturgie eine "Kultur der Wiederholungen". In ihren Ritualen seien Religionen so weise, mit allen unseren Emotionen umzugehen, auch mit den destruktiven. Das Hochzeitsritual zum Beispiel verschweige nicht den traurigen Moment, dass mit diesem Fest die sexuelle Freiheit beerdigt werde, so de Botton.
Höhepunkt des geschickten Umgangs mit den widersprüchlichen Gefühlen sei natürlich das "Fest der Narren". Im Mittelalter, so schildert de Botton, wurde es feucht-fröhlich in Kirchen gefeiert. Die Priester iaten wie Esel anstatt Amen zu sagen und hielten Predigten über Parodien auf das Neue Testament, namentlich das "Evangelium nach Lukas Fußnagel".
Sogar der Institution Kirche begegnet der Atheist mit Bewunderung. Sie trage einen "Markennamen" und agiere "multinational", aber nicht, um Schuhe und Autos zu verkaufen, sondern "Bewusstseinsdinge".
De Botton schreibt nicht für bekennende Christen, sondern für Atheisten. Ihnen gibt er einen Rat für das Gespräch mit Gläubigen: Übt die Tugend der Höflichkeit. Wenn ein Religiöser sage: "Weißt du was, ich hab gestern gebetet", dann solle der Atheist das einfach höflich ignorieren und das Gespräch fortführen.
Wie wäre es den Spieß umzudrehen? Sagt eine Atheistin mir ins Gesicht: "Es gibt keinen Gott", dann sollte ich so höflich sein, das zu akzeptieren und nicht gleich erwidern: "Du wirst schon noch zu Gott finden. Oder Gott zu dir".
Ich stehle dem Atheisten einen Gedanken und verzichte auf Mission. Das ist - zu meinem eigenen Bedauern - nicht originell, nur eine der "religiösen Wiederholungen". Die Theologie hat von Anfang an aus der Philosophie geschöpft - auch aus Nietzsches Diktum vom Tode Gottes.
Bei Alain de Botton gibt es mehr zu erheischen als Höflichkeit. Fürs Gespräch über das, was uns unbedingt angeht, verrate ich noch eine seiner Erkenntnisse: Die langweiligste und unproduktivste Frage, die man einer Religion zumuten kann, ist, ob sie wahr ist oder nicht.
Und jetzt noch ein Tipp von mir, für den Fall dass, Gott bewahre (!), ein Anfall von Glaubenszweifel sich nähert: de Botton lesen, seine zartfühlenden Worte über religiöse Tradition.
Quellen:
Interview mit Alain de Botton auf reformiert.info (dort das Zitat über die "zärtliche Religion"): http://www.reformiert.info/ich-bin-kein-missionar-11817.html
Alain de Botton, Religion for Atheists, Penguin Books London 2012.
Für April 2013 ist die deutsche Übersetzung "Religion für Atheisten" angekündigt.
"Atheism 2.0" - Vortrag mit dt. Untertitel auf www.ted.com/talks/alain_de_botton_atheism_2_0.html
Dt. Übersetzung von Vortrag und anschl. Gespräch dort unter "show transcript".
What happens at an atheist church?
By Brian Wheeler BBC News Magazine
http://www.bbc.co.uk/news/magazine-21319945
*IDEA-Newsletter, 6.2.2013
Barbara Schenck, 13. Februar 2013