In seiner kulinarischen Geschichte des Abendmahls geht es Anselm Schubert weniger um diese Streitigkeiten. Ein „Experiment“ hat der Kirchenhistoriker stattdessen gewagt, nämlich „die zwei denkbar weit entfernten Themengebiete Christentumsgeschichte und Kulinarik“ miteinander in Beziehung zu setzen.
Gelungen ist ihm ein kulinarisches Lesevergnügen. Schenken Sie sich dazu ein Glas Rotwein ein. Oder meinetwegen ein Glas Cola, wenn sie Alkohol meiden wollen. Sie werden erfahren, dass beides inzwischen auf den Tisch des Herrn kommen kann. Zwar verdanken die Bewohner der kargeren Regionen jenseits der Alpen die Expansion des Weinbaus der Notwendigkeit, den Abendmahlskelch der Tradition entsprechend zu füllen. Aber im postkolonialen Zeitalter wehren sich die Gemeinden anderer Kontinente gegen solch strikte Regelungen der Kirchenoberen aus Europa. So erfahren wir, dass inzwischen Softdrinks, Fruchtsaftschorlen oder sogar einheimische halluzinogene Substanzen verwendet werden, dazu Reis- oder Maniokfladen. „Die Speisen der europäischen Herrscher“ können die „Speisen der unterworfenen Völker“ längst nicht mehr verdrängen. Und das ist gut so. Denn „die Elemente machen nicht die Würde oder die Richtigkeit des Abendmahls aus.“ Entscheidend ist – so Schubert –, dass „die befreiende Gemeinschaft“ zum Ausdruck kommt.
Klar, so denken Sie als aufgeklärter Mensch und Christ schon längst, und greifen beim Lesen in den Brotkorb (Ciabatta aus der Toscana? Fränkisches Gewürzbrot?). Dass das jahrhundertelang so klar nicht war, meinen Sie überblättern zu können. Gehört es doch auf den Müllhaufen der Irrtümer. Aber, wenn Sie das Buch jetzt weglegen würden, entginge ihnen ein literarisches Mehr-Gänge-Menü, das Schubert aus Zutaten anrichtet, die durchaus als exotisch gelten können.
Ich verrate nur einige wenige. Gestritten wurde und wird um Weizen oder Gerste, um gemischten oder ungemischten Wein, um die richtige (weißglänzende und runde) Form der Hostie, um den Umgang mit den Resten – und neuerdings um Glutenfreiheit. Und die „Klerikalisierung der Materie“ machte im Mittelalter bereits die Herstellung zu einer streng überwachten heiligen Handlung. Entscheidend war es aber vor allem, ob man ungesäuertes oder gesäuertes Brot verwenden darf. An dieser Frage scheiterte unter anderem die Gemeinschaft mit der orthodoxen Kirche, die Sauerteigprodukte vorschreibt. Immer wieder vermag es Schubert, all diese Kuriositäten auf den ernsthaften Punkt zu bringen, der uns verstehen lehrt, dass nicht Eigensinn und Willkür zur gegenseitigen Verwerfung führten, sondern ein echtes Bemühen, der Überlieferung gerecht zu werden. Die Sauerteig-Kontroverse beispielsweise hängt mit der Frage zusammen, ob Jesu letztes Mahl ein Pessach war – wie es die Synoptiker darstellen – oder ob es einen Tag zuvor stattfand, wie man es im Johannesevangelium lesen kann.
Bei solchen Themen überschneidet sich die „food-history“ mit der Theologiegeschichte. Und Schubert bringt durchaus zur Sprache, was man leider noch nicht von allen Kanzeln hört. Im Einklang mit der neueren und neuesten Exegese macht er Ernst mit der Einsicht, dass die Erzählungen des NT über das Abendmahl keine sicheren Anhaltspunkte dafür bieten, dass das Ritual von Jesus selbst eingesetzt wurde und wie man es in der Frühzeit feierte. So muss auch der alte Streitpunkt, ob es eher auf jüdische oder griechische Konventionen zurückgehe, als unlösbar zurückgewiesen werden, da im gesamten Mittelmeerraum, also auch in der Levante, die hellenistische Kultur prägend war. Die weit verbreiteten Vorstellungen über ein korrektes Pessach-Mahl werden auf die Zeit Jesu (als Anlass und Form des Abendmahls) zurückprojiziert, obwohl es dafür keine zeitgenössischen Quellen gibt.
Die Sauerteigfrage könnte man also ad acta legen. Aber so leicht lassen sich konfessionelle Konventionen nicht ändern. Immerhin hatten die Reformierten die Echt-Brot-Variante zum „Erkennungszeichen“ werden lassen. Und diese „Abgrenzung“ war und ist – wie ich meine - nicht einfach ein Zeichen kämpferischen Mutwillens, sondern ein Bekenntnis gegen die Deutungshoheit, die katholische und lutherische Zelebranten beanspruchen, wenn sie die Hostie ausdrücklich als „Leib des Herrn“ reichen.
Aber woran die Leserinnen und Leser Geschmack finden, lässt Schubert ihrem Urteilsvermögen offen. Für viele mag dafür das historische Eintauchen in den „Mahlkult des frühen Christentums“ besonders wissensdurststillend sein. Eröffnet er doch den Blick auf eine Vielfalt von Varianten der Feier und ihrer Elemente und vor allem darauf, dass das gemeinsame Essen (mitgebrachter Speisen) Medium religiöser Erfahrungen war, und nicht die Kommuniongabe an Einzelne. „In den Elementen und ihren Formen spiegelt sich das Leben“ der Gäste am Tisch des Herrn. Sie sollten in ihrer Variabilität wahr- und ernstgenommen werden – so lese ich die Rezeptanweisung in Schuberts Buch. „Erst wenn das Abendmahl dieses Leben in all seiner Buntheit und Vielfalt nicht mehr darstellt, erst dann hat das Abendmahl seinen Sinn verloren.“
Lassen Sie sich die „kulinarische Geschichte des Abendmahls“ nicht entgehen! Guten Appetit und Prost und Gesegnete Mahlzeit.
Schubert, Anselm
Gott essen
Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls
C. H. Beck
ISBN 978-3-406-70055-2
Erschienen am 15. Februar 2018
271 S., mit 28 Abbildungen
Gebunden