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Barmer Theologische Erklärung (1934)
Sechs Thesen gegen den totalitären Staat
Als Beschluss der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) in Barmen (1934) betont die Barmer Theologische Erklärung gegenüber den Anschauungen u.a. der Deutschen Christen die Ausschließlichkeit der Christus-Offenbarung und der Christus-Herrschaft.
Angriff auf das herrschende Kirchenregiment
Die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche“ ist von Karl Barth, Hans Christian Asmussen und Th. Breit konzipiert worden. Ihr theologischer Vater ist Karl Barth. Auf der ersten Bekenntnissynode der DEK in der reformierten Kirche Barmen-Gemarke nahmen 139 Delegierte aus 25 Landes- und Provinzialkirchen die Erklärung am 31. Mai 1934 einmütig an. Die Erklärung stärkte den Mut der Synode, dem herrschenden Kirchenregiment seine Legitimität abzusprechen und sich als die einzige legale Vertretung der DEK und damit als Kirche zu verstehen. Die Bekennende Kirche, die sich auf dieser Synode formierte, erhielt so ihr geistiges Widerstandszentrum.
Die Barmer Theologische Erklärung richtete sich gegen die Bedrohung der theologischen Grundlage der DEK durch die Deutschen Christen, eine Glaubensbewegung unter dem unmittelbaren Einfluss der NSDAP. Die Deutschen Christen hatten seit 1933 – unterstützt von der Gleichschaltungspolitik des nationalsozialistischen Staates – erhebliche Macht in den Kirchen errungen und überschwemmten sie nun mit ihren Lehren von einem „artgemäßen Christusglauben und von den göttlichen „Lebensordnungen“ in „Rasse, Volkstum und Nation“. Diese Lehren waren den nationalsozialistischen Ideologien verpflichtet.
Nach der Barmer Theologischen Erklärung hört bei Geltung dieser Lehren die Kirche auf, Kirche zu sein. Mit dieser Abgrenzung wehrt sich die Erklärung zugleich gegen weit über die Deutsche Christen hinausreichende Kreise der Kirche, die mit diesen Lehren sympathisieren. So symbolisiert die Erklärung die Selbstreinigung einer im innersten angefochtenen oder unsicheren Kirche.
Die sechs Thesen
Die Barmer Theologische Erklärung enthält sechs Thesen, die jeweils aus Bibelwort, Bekenntnis- und Verwerfungssatz bestehen.
Nach These 1 schließt Jesus Christus als das „eine Wort Gottes“ andere „Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung“ aus, der die Kirche folgen darf. Die den Deutschen Christen als Norm geltenden „Lebensordnungen“ sind damit abgelehnt.
Nach These 2 hat dieses eine Wort zwei Aspekte: Es ist einerseits Gottes vergebender Zuspruch und andererseits sein Anspruch „auf unser ganzes Leben“. Das bedeutet, dass ein Christ in seiner öffentlichen Verantwortung nicht unter dem Gebot einer christusfremden Eigengesetzlichkeit stehen darf.
Die Thesen 3, 4 und 6 folgern daraus für die Kirche, dass sie nicht unter zwei, sondern unter ihrem einen Herrn steht. Deshalb muss sie ihre Botschaft und Ordnung allein von ihm und nicht von „herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen“ bestimmen lassen. Kirche ist „Gemeinschaft von Brüdern“, ihre Ämter sind Dienste, ihre Botschaft an das Volk ist Gottes freie Gnade, sagt die Erklärung.
Nach These 5 darf der Staat nicht die „totale Ordnung des Lebens“ sein, der man blind zu gehorchen hat. Der Staat ist begründet und begrenzt durch Gottes „Anordnung für Recht und Frieden zu sorgen.“ Die Kirche ist eindeutig nicht Organ des Staates, hat aber ihm gegenüber an Gottes Reich, Gebote und Gerechtigkeit zu erinnern und damit an „die Verantwortung der Regierenden und Regierten“ zu appellieren.
In der Barmer Theologischen Erklärung fehlt ein Wort zur Judenfrage, was aber für die damaligen Bekenner nicht akzeptabel gewesen wäre.
Drei Fragen resultieren aus der Erklärung
Die Barmer Theologische Erklärung warf in der Folge drei Fragen auf:
1. Begründet das gemeinsame Wort lutherischer, reformierter und unierter Kirchen eine Kirchen-Union?
Die Erklärung will weder durch das gemeinsame Bekennen die verschiedenen Konfessionen noch durch die verschiedenen Konfessionen das gemeinsame Bekennen ausschließen. Lutherische Vertreter betonen das erstere. Sie wünschen sich jedoch eine geeinte deutsche evangelische Kirche über das gemeinsame aktuelle Bekennen hinaus
2. Ist die Barmer Theologische Erklärung ein Bekenntnis?
Manche lutherische Vertreter und später auch lutherische Kirchen verneinten das zum Teil, weil die Erklärung sich ihrer Ansicht nach nicht gegen eine Irrlehre, sondern gegen eine politische Bedrohung der Kirche richtete. Obwohl sie nur Erklärung heißt, beansprucht aber die Barmer Theologische Erklärung dennoch faktisch, wie die altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse eine „auf Grund des Lehrganzen getroffene Entscheidung der Kirche“ zu sein, die gegenüber fundamentalem Irrtum die Norm ihrer Verkündigung für die Kirche verbindlich erkennt.
3.War sie ein politisches Wort?
Nicht direkt, da sie sich theologisch begründet gegen eine politische Theologie und sich gegen die Vermischung von nationalsozialistischer Ideologie und Glaube wandte. Indirekt war sie dennoch ein Politikum, was ihre Gegner klarer sahen, als die Bekenner selbst. Denn die Erklärung brach mit der Linie bisherigen Bekennens, auf der man die Abwehr staatlicher Eingriffe in die Kirche mit einem Ja zum faschistischen Staat verbinden konnte. Denn sie nannte ein Kriterium für den rechten Staat und wies zugleich auf die Aufgabe der Kirche hin, an dieses Kriterium zu erinnern
Widerspruch gegen die Erklärung
Widerspruch erhielt die Barmer Theologische Erklärung zum Beispiel im Ansbacher Ratschlag, der von Lutheranern um W. Elert am 11. Juni 1934 veröffentlicht wurde. Die Deutschen Christen meinten, sich dem anschließen zu können. Der Ansbacher Ratschlag stellt in acht Thesen dem einen Wort Gottes zwei gegenüber: Gesetz und Evangelium. Der Ratschlag verpflichtet Christen zu gehorsamer Einfügung in Stände und Ordnungen, d.h. in Volk und Rasse. Aufgrund dieser Argumentation bejaht der Ratschlag im Gegensatz zur Erklärung den nationalsozialistischen Staat theologisch, ohne sich der Ideologie der „Deutschen Christen“ zu nähern.
Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Krieg bejahten die Grundordnungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), des Reformierten Bundes und der Kirchen der DDR die Barmer Theologische Erklärung. Die Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands(VELKD) bezog sich nur auf die Verwerfungssätze. Die Evangelische Kirche der Union (EKU), die Landeskirchen in Hessen und Baden nahmen sie ins Ordinationsgelübde auf. Die Hervormde Kerk Hollands und die United Presbyterian Church zählen sie zu ihren Traditionen. Sie wirkte auch auf die Südindische Kirchenunion (Church of South India), den kirchlichen Kampf gegen den Rassismus (Antirassismusprogramm) in Afrika sowie auf die lateinamerikanische Befreiungstheologie ein.
Frauke Brauns