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Das Geschick des Judas
Passionspredigt zu Matthäus 26+27 (in Ausschnitten)
Ich möchte heute vor Beginn meiner Predigt mit Ihnen ein Gebet sprechen:
Gott,
wir können sie kaum noch ertragen,
die täglichen Bilder vom Flüchtlingselend,
von den verzweifelten Familien
und weinenden Kindern.
In dieser Woche kommen Sie uns aus Griechenland
und von der Grenzen zu Mazedonien vor Augen.
Die vielen Berichte von Einzelschicksalen
gehen uns nach – manchmal bis in die Träume.
Wir sehnen ein Ende des Schreckens herbei,
und möchten helfen.
Wir sind dankbar dafür,
dass viele in unserem Land helfen,
auch unsere Regierung und die Bundekanzlerin.
Aber in uns wächst auch Furcht,
weil es so viele sind,
die bei uns Schutz suchen,
weil so viel Hass aufbricht in unserer Gesellschaft
und so viel kaltschnäuzige Abwehr
und Verbrechen
selbst in unseren Kreisen.
Vor dir, Gott, können wir auch nicht verbergen,
dass auch uns Vorurteile umtreiben
und Sorgen um die eigene Zukunft,
wenn wir sie mit den Fremden teilen müssen.
Wir bitten dich:
Nimm dich der Verzweifelten an,
wehre aller Feindseligkeit,
und erfüll uns mit dem Geist
der Kraft, der Liebe, der Besonnenheit und der Selbstüberwindung*.
Und lass uns sehen, wo wir etwas tun und helfen können.
(Sylvia Bukowski)
Der Plan des Judas (Matthäus 26, 14 – 16)
14 Da ging einer von den Zwölfen, der Judas Iskariot hieß, zu den Hohen Priestern 15 und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich ihn an euch ausliefere? Und sie vereinbarten mit ihm dreißig Silberstücke. 16 Von da an suchte er eine günstige Gelegenheit, ihn auszuliefern.
Die Ankündigung der Auslieferung (Matthäus 26, 20 – 25)
20 Am Abend saß Jesus mit den Zwölfen bei Tisch. 21 Und während sie aßen, sprach er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Und sie wurden sehr traurig und begannen, einer nach dem andern, ihn zu fragen: Bin etwa ich es, Herr? 23 Er aber antwortete: Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich ausliefern. 24 Der Menschensohn geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht, doch wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird. Es wäre besser, er wäre nicht geboren, dieser Mensch! 25 Da entgegnete Judas, der ihn ausliefern sollte: Bin etwa ich es, Rabbi? Da antwortet er ihm: Du sagst es!
Die Gefangennahme (Matthäus 26, 47 – 50)
47 Und während Jesus (in der Nacht im Garten Gethsemane noch redete mit seinen Jüngern, da kam Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Knüppeln im Auftrag der Hohen Priester und der Ältesten des Volkes. 48 Der ihn aber auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen verabredet: Den ich küssen werde, der ist es. Den nehmt fest! 49 Und sogleich ging er auf Jesus zu und sagte: Sei gegrüßt, Rabbi, und küsste ihn. 50 Jesus sagte zu ihm: Freund, dazu bist du gekommen! Da kamen sie auf ihn zu, ergriffen ihn und nahmen ihn fest.
Das Ende des Judas (Matthäus 27, 3 – 10)
3 Als nun Judas, der ihn ausgeliefert hatte, sah, dass er verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberstücke den Hohen Priestern und Ältesten zurück 4 und sagte: Ich habe gesündigt, unschuldiges Blut habe ich ausgeliefert. Sie aber sagten: Was geht das uns an? Sieh du zu! 5 Da warf er die Silberstücke in den Tempel, machte sich davon, ging und erhängte sich. 6 Die Hohen Priester aber nahmen die Silberstücke und sagten: Es ist nicht erlaubt, sie zum Tempelschatz zu legen, weil es Blutgeld ist. 7 Sie beschlossen, davon den Töpferacker zu kaufen als Begräbnisstätte für die Fremden. 8 Darum heißt jener Acker bis heute Blutacker. 9 Da ging in Erfüllung, was durch den Propheten Jeremia gesagt ist: Und sie nahmen die dreißig Silberstücke, den Preis des Geschätzten, den sie geschätzt hatten, von den Söhnen Israels, 10 und sie gaben sie für den Töpferacker, wie der Herr mir befohlen hatte
„Verraten und verkauft“ – eine gängige Redensart ist das. Seit wann sie im Deutschen vorkommt, ist unsicher. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622 – 1676 ) schreibt nach dem Dreißigjährigen Krieg in seinem Schelmenroman „Simplizissimus“: „Ein gebohrner ehrlicher Teutscher weiß im Kriege nicht, ob er verrathen oder verkaufft, ob er unter Narren oder Klugen sitze.“ Das kann man wohl sagen angesichts der vielen Kriege unserer Zeit, an denen nun auch mancher „gebohrner ehrlicher Teutscher sich fragen muss, ob er verrathen oder verkaufft sei, ob er unter Narren oder Klugen sitze.“
Wo immer allerdings die Wörter „verraten und verkauft“ im Neuen Testament und in der Kirchengeschichte vorkommen, sind sie geprägt vom Verrat des Judas. Dieser Verrat übertrifft nach Meinung Unzähliger alles. Was ist sein „Verrat“? Es ist der Bruch des Vertrauensverhältnisses zu einem Freund, Zerstörung, ja Vernichtung des Vertrauens durch eine Handlung, die allem widerspricht, was Judas an Gutem mit seinem Herrn erfahren hatte. Dieser Verrat vollzieht sich durch Judas‘ Zusage an die Mitglieder des Hohen Rates, er werde gegen „Judaslohn“ Jesus denunzieren und seinen Häschern zeigen, wo sie ihn würden verhaften können.
Die Untat des Judas gipfelt in einem Kuss. Es ist der berühmteste Kuss der Weltgeschichte: Der Kuss mit dem Judas im Garten Gethsemane Jesus identifiziert und ihn damit an die Häscher verrät. Dieser verräterische Kuss gilt bis heute als äußerster Akt der Abscheulichkeit, obwohl es in der Geschichte der Kirche auch andere Verratstaten gegeben hat, die an den Judas-Kuss heranreichen. Auch in der Geschichte meiner eigenen Konfession gibt es die Tat eines ungeheuerlichen Verrats - nämlich im reformierten Genf bei dem von mir so sehr hoch geschätzten Reformator Johannes Calvin:
Am 6. Oktober 1553 wird dort der Arzt und „Ketzer“ Michael Servet verbrannt, weil Johannes Calvin ihn – Servet vertritt unangepasste Überzeugungen in der Trinitätslehre - an den Rat Genfs überführt und verrät. Calvin bekommt kein Geld dafür und er setzt sich für eine „milde Art“ der Todesstrafe ein. Aber das ist auch schon das „Beste“, was man über seine Rolle bei dieser Schande sagen kann. Und das Ganze lässt sich – bei all meiner hohen Verehrung für den großen Theologen - nicht schönreden.
Der Jünger Judas aber verrät und verkauft Jesus an den Hohen Rat für dreißig Silberstücke. So sorgt er dafür, dass Jesus im ursprünglichen Sinne „verraten und verkauft“ wird. Aus dem Apostel Judas wird der Verräter, der Verruchte. Sein „Judaskuss “markiert in der Folge auch den Beginn des christlichen Judenhasses, des Antijudaismus. Judas wird zur Ausgeburt des Bösen, zum Sinnbild von Habgier und Verrat. Aber was kommt dabei heraus? Weil er seine Tat rückgängig machen will, erhängt er sich in äußerster Verzweiflung - der Legende nach - am „Judasbaum“.
Und was folgt nun? Künstler haben ihm durch Jahrhunderte hindurch sein Haar feuerrot gefärbt, wie bei einem, der in der Hölle glüht. Und sie haben ihm einen gelben Mantel umgehängt, gelb wie der Judenstern, der später an den Mänteln derer prangen sollte, die in die Hölle von Auschwitz deportiert wurden. Judas wurde zum Sündenbock erklärt, auf den man alles laden konnte, was unerlöst geblieben war. Der Brauch, Judas in Gestalt einer Strohpuppe im Osterfeuer zu verbrennen, hat sich an manchen Orten (auch in Westfalen) bis zum heutigen Tage erhalten.
Bei all diesem wohlfeilen Abscheu gegenüber dem Verräter ist nun allerdings im Blick auf Judas Entscheidendes übersehen worden. Zunächst dies, Judas nimmt am Abendmahl und er empfängt wie die anderen elf Jünger, dass er beim Abendmahl wie alle Jünger Brot und Wein zur Vergebung der Sünden von Jesus erhalten hat. Bleibt das folgenlos?
Und es wird oft übersehen, was zwischen dem Verrat und der Selbsttötung des Judas eigentlich geschieht, nämlich ein Akt ungeheuchelter Reue: „Judas packte die Reue“. Er bringt die dreißig Silberstücke zu den führenden Priestern und Ratsältesten zurück und sagt: „Ich habe große Schuld auf mich geladen. Ein Unschuldiger wird getötet, und ich habe ihn verraten und verkauft“ (Matthäus, 26, 3 + 4).
In der Enttäuschung über die Tat des Judas, in seiner Verfemung als größter Verbrecher wird oft dieses Ende seiner Schande nicht mehr wahrgenommen. Man muss nämlich dem Verräter Judas zumindest zu Gute halten:
Er ist der Einzige, der als Beteiligter in der Passion Jesu und am Justizmord erkennt, dass Jesus gänzlich verraten und verkauft wird und dass ihm darin schwerstes Unrecht geschieht. Und er ist der Einzige, der diese Schuld einsieht und öffentlich bekennt. Ja, Judas allein kehrt um von dem Irrtum und der Untat, in die er sich verstrickt hat. Er bereut. Von keinem sonst, die mitverantwortlich waren am Leiden und Sterben Jesu, wird das gesagt. Die Jünger fliehen. Petrus ist feige – „und weint dann heftig“. Pilatus waltet seines Amtes genauso wie die Hohen Priester. Das Volk gafft und schreit. Nur von Judas heißt es: „Es packte ihn die Reue.“
Und die Reue des Judas über seinen Verrat bleibt nicht folgenlos. Er steht ein für das, was er getan hat. Er spricht aus, was uns allen auszusprechen schwer fällt: „Ich habe Schuld auf mich geladen.“ Keine Einschränkung! Keine abmildernde Entschuldigung! Nein, er benennt das Verbrechen, wie es kein Richter schärfer benennen könnte: „Ich habe ihn verraten und verkauft.“ Judas stirbt wie Jesus den Tod eines Verbrechers.
Wirkliche Reue hat Konsequenzen. Wer aufrichtig bereut, muss sich selbst deshalb nicht so grausam richten, wie Judas es getan hat. Aber echte Reue ist mehr als ein dahin gemurmeltes »Tschuldigung«. Sie lässt spüren, dass es denjenigen etwas kostet, der ausspricht, was er getan hat.
Und damit spricht Judas als einziger die Wahrheit im Prozess aus: „Ein Unschuldiger wird getötet.“. Und dann vollzieht Judas an sich selbst das Urteil, das nach jüdischem Recht über den zu verhängen ist, der eine falsche Anklage erhoben hat. Er erhängt sich selbst. Denn falsche Ankläger sollen mit derselben Strafe bestraft werden, die sie über den bringen wollten, den sie angeschuldigt haben. Diese Strafe exekutiert Judas recht eigentlich an sich selbst
Dieser „Selbstmörder“ weiß nicht, dass an diesem Tag ein anderer für ihn und seine Schuld sterben wird. Er kann das Leiden, den Tod Jesu nicht umkehren, nicht aufhalten. Er kann es nicht verhindern, dass Jesus auch für ihn stirbt. So ist auch Judas nicht verloren in Ewigkeit. Und wenn er in Ewigkeit vor Gott nicht verloren ist, wen dürften wir dann heute verloren geben, verraten und verkaufen? Nicht einmal uns selbst. -
An einem Kapitell der romanischen Wallfahrtskirche Saint-Marie-Madeleine im französischen Vezelay ist Judas zu sehen, am Strick, erhängt. Gleich daneben lädt Jesus - der Auferstandene Jesus - ihn sich auf die Schulter und trägt als der Gute Hirte den Erhängten nach Hause. Ja, das Schicksal des Judas ist immer auch das Schicksal der christlichen Gemeinde. Es gibt immer wieder auch das Geschehen intra muros ecclesiae (innerhalb der eigenen Mauern der Kirche). Es gibt welche, die gehen oder der Herausforderung nicht standhalten. Aber die Tür bleibt weit geöffnet. Der Auferstandene selbst geht hinaus und geht ihnen nach. Solange die Judasgeschichte im Evangelium steht, ist auch sie eine Ostergeschichte.
Gehalten am Sonntag Lätare 6. März 2016 im Weigle-Haus zu Essen
Rolf Wischnath