Lukas 15,1-3
1 Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn hörten. 2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen. 3 Er aber sagte zu ihnen dieses Gleichnis und sprach: (...).
Matth. 18, 11. „Denn des Menschen Sohn ist gekommen ...“ Nun ermahnt Christus noch an seinem eigenen Beispiel, auch die schwachen und verachteten Brüder in Ehren zu halten. Denn er kam ja als Erlöser vom Himmel, um nicht nur diese Schwachen zu retten, sondern sogar die Toten, die bereits verloren waren. Darum ist es mehr als ungehörig, wenn wir in unserem Hochmut auf Leute herabsehen, die Gottes Sohn so hoch geachtet hat. Auch dann, wenn die Schwachen an Fehlern leiden, die uns zur Verachtung führen könnten, ist unser Hochmut nicht zu entschuldigen. Denn wir sollen sie nicht nach dem Wert ihrer Tugenden beurteilen, sondern nach der Gnade Christi. Wer sich nicht nach seinem Beispiel richtet, beweist damit nur, wie furchtbar eigensinnig und hochfahrend er ist.
Matth. 18, 12. „Was meint ihr?“ Lukas nennt den Anlaß zu diesem Gleichnis genauer: Die Schriftgelehrten und Pharisäer murrten gegen den Herrn, weil sie ihn täglich mit Sündern verkehren sahen. Christus wollte darum zeigen, daß sich ein guter Lehrer genauso bemühen muß, Verlorenes wiederzugewinnen, wie das zu bewahren, das sich schon in seiner Hand befindet. Matthäus zieht das Gleichnis noch weiter aus: Die Jünger Christi sind nicht nur freundlich zu hegen, sondern auch in ihren Fehlern zu ertragen; wir sollen uns bemühen, Irregehende auf den rechten Weg zurückzubringen. Denn auch die Schafe, denen Gott seinen Sohn zum Hirten gegeben hat, verlaufen sich manchmal. Sic müssen aus der Zerstreuung wieder gesammelt werden, und es ist einfach unmöglich, sie lieblos zu verjagen, Christus will mit seinen Worten davor warnen, zu verderben, was Gott gerettet wissen will. Der Bericht des Lukas verfolgt ein etwas anderes Ziel. Da alle Menschen Gottes Eigentum sind, müssen alle, die sich entfremdet haben, wieder gesammelt werden; und wenn die Verlorenen auf gute Wege zurückkehren, ist genauso Anlaß zur Freude, wie wenn einer wider Erwarten etwas zurückgewinnt, dessen Verlust er schon betrauerte.
Luk. 15, 10. „Also wird Freude sein vor den Engeln Gottes.“ Wenn sich die Engel im Himmel beglückwünschen, wenn sie sehen, daß Verlorenes wieder zur Herde zurückgebracht ist, so sollten wir an ihrer Freude teilnehmen, da wir ebensoviel Grund dazu haben wie sie. Doch wieso freuen sich die Engel über die Buße eines gottlosen Menschen mehr als über die Beständigkeit vieler Gerechten, wo sie doch an nichts mehr ihre Freude haben als an einem ununterbrochenen, gleichmäßigen Wandel in der Gerechtigkeit? Natürlich würde es dem Willen der Engel mehr entsprechen und wäre auch mehr zu wünschen, daß die Menschen immer in völliger Reinheit leben; da Gottes Erbarmen jedoch bei der Errettung eines Sünders, der schon auf seinen Untergang zuging und bereits wie ein totes Glied vom Leib abgeschnitten war, besonders klar wird, schreibt Christus den Engeln eine ähnliche Freude zu, wie sie ein Mensch bei unverhofftem Glück hat. Übrigens bezieht sich hier das Wort Buße ganz speziell auf die Bekehrung derer, die sich völlig von Gott abgewandt hatten und nun vom Tod zum Leben auferstehen. Denn sonst soll sich ja das Üben der Buße durch unser ganzes Leben hinziehen, und niemand ist von dieser Notwendigkeit befreit; denn jeden treiben seine Fehler zu einem täglichen Wachsen in der Buße. Doch bedeutet es etwas anderes, wenn man unter Ärgernissen, Fehltritten oder Verirrungen zum Ziel strebt und dabei schon auf dem richtigen Weg ist oder wenn man erst von einem völlig verkehrten Irrweg umkehren oder den rechten Weg aus dem Gefängnis heraus anfangen muß. Wer schon damit begonnen hat, sein Leben nach der Regel des göttlichen Gebotes zu richten, so daß er bereits den Anfang eines heiligen frommen Lebens hat, braucht eine solche Buße nicht, obwohl auch er noch unter den Schwachheiten seines Fleisches seufzen und sich bemühen muß, sie loszuwerden.
Lukas 15,11-22
11 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12 Und der Jüngere unter ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört. Und er teilte ihnen das Gut. 13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog ferne über Land; Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen. 14 Als er nun all das Seine verzehrt hatte, wurde eine große Teuerung durch dasselbe das ganze Land, und er fing an zu darben 15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger desselben Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit Trebern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm. 17 Da schlug er in sich und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe vor Hunger! 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin hin nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! 20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn, lief und viel ihm seinen Hals und küßte ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße. 22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Kleid hervor und tut es ihm an und gebt ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße...
Dieses Gleichnis ist nur die Bestätigung der vorangegangenen Lehren. Und zwar wird uns im ersten Teil gezeigt, wie Gott willig und bereit ist, unseren Sünden Vergebung zu gewähren; im zweiten Teil dagegen, den wir noch später besprechen werden, kommt heraus, wie böse und töricht die handeln, die sich seiner Barmherzigkeit in den Weg stellen. Unter der Gestalt eines leichtsinnigen jungen Mannes, der durch Luxus und hemmungslose Verschwendung in tiefstes Elend gerät, dann aber, um Hilfe flehend, zu seinem Vater zurückkehrt, gegen den er sich zuvor nur ungerecht und widerspenstig benommen hatte, beschreibt Christus alle Sünder, die ihre Torheit einsehen und sich zu Gottes Gnade flüchten. Mit dem gütigen Vater, der nidn nur die Fehler seines Sohnes verzeiht, sondern aus freien Stücken dem Heimkommenden entgegenläuft, vergleicht er Gott, dem es nicht genug ist, den um Verzeihung Bittenden zu vergeben, sondern der ihnen in seiner väterlichen Nachsicht noch zuvorkommt. Nun wollen wir das Gleichnis im einzelnen auslegen.
Luk. 15, 12. „Und der Jüngere unter ihnen sprach.“ Zur Kennzeichnung der Gottlosigkeit und Eigenwilligkeit des jungen Mannes wird uns zunächst beschrieben, wie er sich von seinem Vater zu trennen wünscht und sein Glück nur darin sieht, wenn er der Herrschaft seines Vaters davonläuft, um ungestraft seinen Gelüsten nachzugehen. Dazu kommt seine Undankbarkeit, daß er seinen alten Vater im Stich läßt und ihm damit nicht nur die gebührenden Dienstleistungen entzieht, sondern noch das elterliche Vermögen schädigt und verringert. Darauf folgt dann seine maßlose Verschwendung und sein unverantwortlicher Leichtsinn, womit er sein gesamtes Vermögen durchbringt. Mit so vielen Vergehen hätte er verdient, daß der Vater sich ihm unversöhnlich erwiesen hätte. Aber ohne Zweifel wird uns in diesem Bild die unermeßliche Güte Gottes und seine unvergleichliche Nachsicht vor Augen gemalt, damit uns auch die schlimmsten Verbrechen nicht die Hoffnung nehmen, daß wir bei ihm Vergebung erlangen. Man könnte das Gleichnis auch dahin deuten, daß der Mensch einem törichten, leichtsinnigen jungen Mann gleicht, der bei Gott die Fülle der Güter genießen kann und der doch von einer blinden, wahnsinnigen Begierde getrieben wird, mit Gott teilen zu wollen, damit er von ihm unabhängig ist. Als überträfe es nicht den Wert aller Königreiche, wenn man unter der väterlichen Fürsorge und Leitung Gottes leben darf! Aber ich fürchte, daß diese Ausdeutung zu weit geht; ich will mich darum mit dem buchstäblichen Sinn begnügen. Nicht weil es mir mißfiele, daß unter einer solchen Sinngebung der Wahnsinn derer angegangen würde, die meinen, sie machten ihr Glück, wenn sie erst einmal etwas für stell allein haben, so daß die Güter ohne den himmlischen Vater genossen werden, sondern weil ich mich nun in den Grenzen eines Auslegers halten will. Christus schildert hier also, wie es jungen Menschen zu gehen pflegt, wenn sie sich von ihrem eigenen Verstand leiten lassen. Denn da sie ohne Einsicht und voll heißer Triebe in keiner Weise geeignet sind, sich selbst zu führen, müssen sie notwendig dahin geraten, wohin sie ihre Begierde treibt, und mit Schimpf und Schande in Not geraten, falls nicht Furcht und Scham sie noch von diesem Weg zurückhalten. Dann beschreibt Christus die Strafe, die in der Hegel solche treulosen Verschwender trifft: Nachdem sie ihre Güter auf üble Weise verpraßt haben, leiden sie schlimmen Hunger und nehmen mit Eicheln und Schoten vorlieb, da sie den Überfluß des besten Brotes nicht wirtschaftlich nutzen konnten. Sic gesellen sich schließlich den Schweinen zu und fühlen sich menschlicher Nahrung unwürdig. Denn solche Gefräßigkeit haben nur Schweine an sich, daß sie so schlecht einteilen, was ihnen zum Unterhalt ihres Lebens zur Verfügung steht. Wenn einige das Gleichnis scharfsinniger ausdeuten, nämlich dies sei die gerechte Strafe für gottlosen Hochmut, daß die, die das ehrbare Brot in der Familie ihres himmlischen Vaters verachtet haben, als Hungerleider zu Schoten ihre Zuflucht nehmen müssen, so ist das zwar richtig und nützlich zu sagen, und keinerlei Bedenken steht im Wege, das Gleichnis so auszulegen. Trotzdem müssen wir immer bedenken, daß sich eine solche Ausziehung der Einzelzüge vom ursprünglichen Sinn entfernt.
Luk. 15, 16. „Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen ...“ Das zeigt uns, daß der junge Mann vor lauter Hunger nicht mehr an die früheren Leckerbissen gedacht hat, sondern gierig die Schalen von Früchten verschlang. Denn diese Art Nahrung hatte er zur Verfügung, da er sie selbst den Schweinen füttern mußte. Wir kennen den Anspruch des Kyros, der, hungrig von langer Flucht, sich an gewöhnlichem schwarzem Brot ein wenig erquickte und dann meinte, er habe noch nie so schmackhaftes Brot gegessen. So zwang die Not diesen jungen Mann hier, seinen Appetit auf Fruchtschoten zu richten. Es wird angegeben: Niemand gab ihm. Meiner Ansicht nach soll damit ein Grund bezeichnet werden. Doch wird damit nicht von den Schoten gesprochen, die er ja zur Verfügung hatte, sondern es soll gesagt werden: niemand hat sich seiner Notlage erbarmt. Denn solchen Verschwendern, die wahllos ihre Habe verschleudern, fühlt sich niemand schuldig. Ja, da sie ja gewohnt waren, alles durchzubringen, scheint es nicht notwendig, ihnen noch etwas zu spenden.
Luk. 15, 17. „Da schlug er in sich.“ Hier wird uns die Weise beschrieben, mit der Gott die Menschen zur Buße einlädt. Wenn sie freiwillig zur Einsicht kämen und sich williger zeigten, würde er sie freundlicher zu sich ziehen. Da sie sich jedoch nur zum Gehorsam herablassen, wenn sie mit Ruten gezähmt werden, züchtigt er sie härter. Darum war für den jungen Mann, den sein Überfluß unbändig und zuchtlos gemacht hatte, der Hunger der beste Lehrmeister. Wir sollen also nicht meinen, Gott verfahre grausam mit uns, wenn er uns ein schwereres Geschick auflädt; denn er will auf diese Weise die Widerspenstigen und vor Ausgelassenheit Trunkenen zum Gehorsam erziehen. So ist schließlich alles, was wir an Unglück durchmachen, eine heilsame Aufforderung zur Umkehr. Da wir jedoch träge sind, nehmen wir meistens erst dann Verstand an, wenn uns die äußerste Not dazu zwingt. Denn solange uns nicht von allen Seiten Engpässe bedrohen und uns die Verzweiflung lähmt, triumphiert immer das Fleisch, oder es will sich wenigstens nicht fügen. Es ist also kein Wunder, wenn Gott sich bemüht, mit heftigen, oft wiederholten Schlägen unseren Trotz zu brechen, und auf einen harten Klotz einen groben Keil setzt, wie es im Sprichwort heißt. Zu bemerken ist auch, daß die Hoffnung auf ein besseres Los, wenn er erst zum Vater zurückgekehrt wäre, dem jungen Mann Mut macht umzukehren. Denn keine noch so harte Strafe wird unseren Trotz erweichen oder bewirken, daß wir unsere Sünden einsehen, wenn sich uns nicht irgendein rettender Ausweg zeigt. Wie also dieser junge Mann durch das Vertrauen auf die väterliche Milde ermutigt wird, um Versöhnung zu bitten, so muß uns die Kenntnis von der göttlichen Barmherzigkeit, die uns zu guter Hoffnung erweckt, der Anfang zur Umkehr sein.
Luk. 15, 20. „Da er aber noch ferne von dannen war ...“ Hier liegt der Kern unseres Gleichnisses: Wenn schon Menschen, die von Natur rachsüchtig sind und nur zu gern auf ihrem Recht bestehen, durch die Vaterliebe so beeinflußt werden, daß sie ihren Kindern gütig verzeihen und die erbärmlich Gestrandeten aus freien Stücken wieder aufnehmen, so wird Gott, dessen unermeßliche Güte jede Vaterliebe übersteigt, auf keinen Fall härter mit uns verfahren. Nichts, was hier über den irdischen Vater berichtet wird, verheißt Gott nicht auch von sich selbst: „Ehe sie rufen, werde ich hören" (Jes. 65, 24). Bekannt ist auch die Psalmstelle (32, 5): „Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen. Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde." Wie der Vater hier sich nicht nur von den Bitten seines Sohnes erweichen läßt, sondern dem Heimkommenden noch entgegenläuft und, bevor er überhaupt nur ein Wort vernommen, sein schmutziges, entstelltes Kind in die Arme nimmt, so erwartet Gott keine langen Entschuldigungen, sondern kommt uns von sich aus entgegen, sobald sich der Sünder vorgenommen hat, seine Schuld zu gestehen. Eine faule Ausflucht, wenn man hier herausliest, die Gnade Gottes sei den Sündern nicht eher zugänglich, als bis sie selbst ihr mit ihrer Buße zuvorkommen. Der Vater hier sei wohl willig zu verzeihen, aber erst nachdem der Sohn angefangen habe, zu ihm zurückzukehren. Gott schaue also nur die an und würdige nur die seiner Gnade, die damit begonnen haben, sie zu suchen. Es ist zwar richtig, daß der Sünder Schmerz in seinem Gewissen empfinden und sich selbst mißfallen muß, damit er Vergebung erlangen kann. Aber es ist falsch, daraus zu schließen, daß die Buße, die Gottes Geschenk ist, von den Menschen aus eigenem Antrieb ihres Herzens dargeboten werden muß. In dieser Hinsicht kann man einen sterblichen Menschen nicht mit Gott vergleichen. Denn es liegt nicht in der Macht des irdischen Vaters, durch die geheimnisvolle Bewegung des Geistes das verkehrte Herz seines Sohnes zu erneuern, so wie Gott aus steinernen Herzen lebendige macht. Schließlich handelt es sich hier auch gar nicht darum, ob ein Mensch sich von sich aus bekehren und zu Gott zurückfinden kann, sondern es soll hier nur unter der Gestalt eines Menschen die väterliche Geduld Gottes und seine Bereitschaft zu vergeben gepriesen werden.
Luk. 15, 21. „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel ...“ Hier wird der andere Teil der Buße gezeigt, nämlich das Gefühl für die Sünde, das mit Traurigkeit und Scham verbunden ist. Denn wen seine Sünde nicht schmerzt, so daß er sich seine Schuld nicht vor Augen stellt, wird an alles andere lieber als daran denken, sich zu bessern. Der Buße muß also notwendig die Unzufriedenheit mit sich selbst vorausgehen. Es heißt nachdrücklich, daß der junge Mann „in sich schlug", so also, daß er wieder zu sich kam, nachdem er sich auf den krummen Wegen seiner Leidenschaften selbst vergessen hatte. So führen diese Aufwallungen des Fleisches in die Irre, so daß der, der sich ihnen überläßt, sich selbst verliert und vergeht. Darum werden die Übertreter angewiesen, in ihr Herz zu gehen (vgl. Jes. 46, 8). Dann folgt das Bekenntnis, nicht so, wie es sich der Papst ausgedacht hat, sondern so, daß der Sohn darin den verletzten Vater mit sich versöhnt. Denn eine solche Demütigung ist nötig, um die Beleidigung völlig aus dem Weg zu räumen. Der Ausdruck: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ bedeutet, daß in der Person des irdischen Vaters Gott verletzt wurde. Schon das natürliche Empfinden sagt uns ja, daß der, der sich gegen seinen Vater auflehnt, sich auch frevelhaft gegen Gott erhebt, der die Kinder ihren Eltern untergeordnet hat.
Luk. 15, 22. „Bringt schnell das beste Kleid hervor.“ Obwohl es, wie schon oft gesagt, albern ist, die Einzelzüge eines Gleichnisses zu pressen, ist es hier doch keine Buchstabenklauberei, wenn wir sagen: der himmlische Vater verzeiht unsere Sünden nicht nur so, daß er die Erinnerung an sie begräbt, sondern er schenkt uns auch die verlorengegangenen Güter wieder zurück, wie er andererseits unsere Undankbarkeit bestraft, indem er sie uns wegnimmt, um uns durch die Schande und Schmach zur Scham zu zwingen.
Lukas 15, 25-32
25 Aber der ältere Sohn war auf dem Felde. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er das Singen und den Reigen 26 und rief zu sich der Knechte einen und fragte, was das wäre. 27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder hat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er aber antwortete und sprach zum Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30 Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Gut mit Dirnen verpraßt hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden.
Dieser zweite Teil des Gleichnisses klagt die der Unbarmherzigkeit an, die Gottes Gnade böswillig einschränken wollen, gerade als ob sie die armen Sünder um ihr Heil beneideten. Der Hochmut der Schriftgelehrten wird hier angegangen, die meinten, der ihren Verdiensten entsprechende Lohn käme nicht voll zur Geltung, wenn Christus die Zöllner und das gewöhnliche Volk an der Hoffnung auf das unvergängliche Erbe mit teilnehmen ließe. Das Ganze soll bedeuten: Wenn wir wünschen, als Kinder Gottes angesehen zu werden, so müssen wir die Fehler der Brüder, die er selbst väterlich vergibt, auch brüderlich verzeihen. Die Annahme, mit dem ältesten Sohn sei das jüdische Volk beschrieben, hat zwar einiges Recht für sich, scheint mir jedoch nicht genügend auf den ganzen Zusammenhang zu achten. Denn die Ansprache Christi war durch das Murren der Schriftgelehrten veranlaßt worden, denen die Freundlichkeit Christi gegen die Elenden und nicht ganz Einwandfreien ein Dorn im Auge war. Er vergleicht also die von ihrem Hochmut aufgeblasenen Schriftgelehrten mit den biederen, rechtschaffenen Leuten, die durch ein immer ehrbares, sparsames Leben ihren Haushalt gut zusammengehalten haben, oder sogar mit gehorsamen Söhnen, die ihr ganzes Leben lang geduldig die Herrschaft ihres Vaters ertragen haben. Obgleich sie dieses Lob ganz und gar nicht verdienten, geht Christus doch auf ihre Gedanken ein und macht ihnen das Zugeständnis, ihre eingebildete Heiligkeit sei eine wirkliche Tugend. Er hatte auch sagen können: Auch wenn ich euch zugestehen wollte, wessen ihr euch fälschlich rühmt, daß ihr nämlich immer Gottes gehorsame Söhne gewesen wärt, so dürft ihr doch die Brüder, die sich von einem verkommenen Leben auf ein Besseres besonnen haben, nicht so stolz und grausam zurückstoßen.
Luk. 15, 28. „Da ging sein Vater heraus.“ Mit diesen Worten wird der unerträgliche Hochmut der Heuchler gerichtet, die sich erst vom Vater bitten lassen müssen, ihren Brüdern das Erbarmen nicht zu mißgönnen. Allerdings bittet Gott nicht, sondern er ermahnt uns durch sein Beispiel, die Fehler der Brüder zu ertragen. Um dieser übertriebenen Härte jegliche Entschuldigung abzuschneiden, führt Christus nicht nur die Heuchler als Redende ein, deren falsches Prahlen leicht aufgedeckt werden konnte, sondern er will uns klarmachen, daß auch der, der alle Pflichten der Frömmigkeit gegenüber dem Vater in vollkommener Weise erledigt hat, sich nicht beklagen darf, wenn dem Bruder verziehen wird. Die wahren Anbeter Gottes werden ohnehin immer rein und frei von solch einer bösen Gesinnung sein; aber Christi Absicht ist, daß der, der seinem Bruder die empfangene Gnade mißgönnt, ungerecht ist, mag er auch sonst an Heiligkeit den Engeln nicht nachstehen.
Luk. 15, 31. „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir.“ Diese Antwort will zwei Dinge hervorheben: Zunächst, daß es für den Erstgeborenen keinen Grund zum Zorn gibt, weil er ja keinen Schaden davon hat, wenn sein Bruder wieder freundlich aufgenommen wird, und dann, daß er, ohne auch nur an das Glück seines Bruders zu denken, wegen der Freude über dessen Rückkehr traurig wird. Alles, was mein ist, das ist dein, sagt der Vater. Das bedeutet: Du hast zwar aus meinem Hause bisher nichts fortgetragen; aber es ist dir auch nichts daraus verlorengegangen, weil dir alles unversehrt verbleibt. Was kränkt dich also unsere Freude, an der du teilnehmen solltest? Es wäre doch nur recht, dem Bruder, den wir für verloren gehalten haben, zu gratulieren, daß er gesund wieder zurückgekommen ist. Diese beiden Gesichtspunkte sind also wichtig für uns: Erstens, daß uns nichts abgeht, wenn Gott Menschen, die sich durch ihre Sünden von ihm losgesagt hatten, gütig in Gnaden annimmt, und zweitens, daß es gottlose Härte ist, wenn wir uns nicht freuen beim Anblick der vom Tode wieder zum Leben gekommenen Brüder.