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Segen und Fluch - Gut und Böse
Predigt über Micha 6,1-8
Liebe Gemeinde,
es gibt uralte Texte, die werden auf einmal heiß. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte lang weiß man kaum, wie man sich an ihnen erwärmen soll, alles, was dort angesprochen wird, scheint einer längst vergangenen Zeit anzugehören, die Texte sind wie Lava, einst glühend, nun aber erkaltet und erstarrt. Und plötzlich geschieht etwas, und die Texte werden warm, fangen an zu brennen und man muss achtgeben, dass man sich nicht die Zunge an ihnen verbrennt.
Ein solcher Text ist heute dran. Ich darf mir nicht die Zunge verbrennen. Diejenigen, die ihn vor einigen Jahren für heute bestimmt haben, ahnten damals nicht, wie heikel, ja heiß er in unseren Tagen werden würde.
Daher also zunächst eine Warnung. Erschreckt nicht! Israel wird angeklagt. Ein heißer Text aus dem Buch des Propheten Micha:
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Hört doch, was der Herr sagt: »Mach dich auf, führe einen Rechtsstreit mit den Bergen, auf dass die Hügel deine Stimme hören!«
Hört, ihr Berge, den Rechtsstreit des Herrn, ihr starken Grundfesten der Erde; denn der Herr will mit seinem Volk rechten und mit Israel ins Gericht gehen! »Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich ermüdet? Das sage mir! Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst und vor dir her gesandt Mose, Aaron und Mirjam. Mein Volk, denke doch daran, was Balak, der König von Moab, vorhatte und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete; wie du hinüberzogst von Schittim bis nach Gilgal, damit du erkennst, wie der Herr dir alles Gute getan hat.«
»Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem Gott in der Höhe? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen, mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?«
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: - Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen. (Micha 6,1-8)
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Wir sind mitten im Geschehen, liebe Gemeinde. Israel steht vor Gericht. Vorm internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag schon vor fast einem Jahr angeklagt von Südafrika, wegen Völkermords. Viele Länder haben sich der Klage angeschlossen. Aber nicht nur in den Haag seht Israel vor Gericht. Eigentlich steht es auch nahezu vor der gesamten Weltöffentlichkeit vor Gericht. Fast täglich gibt es Berichte über Bomben- und Raketenangriffe auf Ziele im Gazastreifen und nun auch im Libanon mit vielen Toten, schuldigen und unschuldigen.
Wenn ich mich nicht täusche, stehen die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober 2023 weit weniger vor dem Gericht der Weltöffentlichkeit als Israel. Der 7. Oktober scheint schon vergessen. Man hört nichts mehr von den israelischen Opfern der Hamas und den Geiseln. Man hört nur noch von palästinensischen und libanesischen Opfern. Nicht nur in der arabischen Welt – in der ganzen Welt entlädt sich Wut über Israel. Das geht so weit, dass Israel – ausgerechnet Israel - mit den Nazis verglichen wird und Netanjahu mit Hitler. Es scheint auch deutlich mehr Solidaritätskundgebungen mit Palästina als mit Israel zu geben.
Israel steht vor Gericht – vor dem Gericht der Vereinten Nationen und vor dem Gericht der Weltöffentlichkeit.
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Es stand auch vor zweieinhalb Jahrtausenden vor Gericht. Damals war Gott der Ankläger. Die Anklage ist mehr die Anzeige einer Beziehungsstörung zwischen Gott und seinem Volk. Israel ist müde geworden in dieser Beziehung, stellt Gott fest. Was habe ich dir angetan, fragt Gott, womit habe ich dich ermüdet? Womit habe ich dich lustlos gemacht? Du machst mir nur noch billige Geschenke und davon sehr viele, opferst mir Tiere und davon sehr viele, oder du machst mir sehr teure Geschenke, opferst mir deine Erstgeburt, aber du hörst mir nicht mehr zu. Wir reden nicht mehr miteinander.
Die Liebe muss sich ausdrücken. Wenn aber statt liebender Worte nur noch Geschenke gewechselt werden, wenn sich die Liebesbekundungen materialisieren … ‚Früher hat er mir drei Rosen geschenkt und einen innigen Kuss und gesagt: „Ich liebe dich“. Heute schenkt er mir 30 Rosen und eine Glückwunschkarte und sagt, wie viel der Strauß gekostet hat.‘ Wenn sich die Liebe verdünnisiert, werden die Geschenke fetter. Fette Tiere schlachtet Israel seinem Gott, aber die Begeisterung hat sich in Rauch aufgelöst.
Von der Art etwa war die Beziehungsstörung zwischen Gott und Israel. Das, was man sonst Religion nennt, haben die Propheten und Autoren des Alten Testaments als einen Bund zwischen Gott und seinem erwählten Volk Israel beschrieben, als eine Beziehung, eine Partnerschaft, ja mehr noch, als eine große Liebe – die dann allerdings auch ihr Enttäuschungen erleben musste.
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Ach ginge es doch auch heute bei den Anklagen Israels nur um einen Ehekrach statt um Krieg, nur um enttäuschte Liebe statt um tödlichen Hass!
Nein, heute sitzt Israel nicht wegen enttäuschter Liebe auf der Anklagebank, sondern wegen alter Erbstreitereien. Und Erbstreitigkeiten sind meist unerbittlich, denn an ihnen kochen immer alte Geschichten hoch. Wem gehört das Land, Israel oder den Palästinensern?
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Wir gehen nochmal zurück in die Anklageschrift. „Was habe ich dir getan, mein Volk“, fragt dort Gott, „womit habe ich dich ermüdet? Das sage mir! Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst?“ Und dann kommt ein interessanter Hinweis, dem wir nachgehen sollten: „Denke doch daran, was Balak, der König von Moab, vorhatte und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete!“
Diese Sache mit Balak und Bileam - eine uralte Geschichte (4. Mose 22-24). Und auch die ist mit einem Mal ganz heiß geworden als sei es eine Geschichte aus unseren Tagen. Es war einmal ein König, der hieß Balak und war König von Moab, einem Volk, das östlich des Toten Meeres wohnte. Die Moabiter fürchteten sich vor Israel, das gerade erst, also sagen wir vor wenigen Jahrzehnten, ins Westjordanland eingedrungen war.
Balak traute sich offenbar nicht, einen offenen Krieg gegen Israel zu führen, weil es ihm schon zu stark erschien. Stattdessen wollte er Israel verfluchen lassen und zwar durch einen Menschen Namens Bileam. Der war ein Götterseher. Dem ließ Balak ausrichten: So komm nun und verfluche mir das Volk, denn es ist mir zu mächtig; vielleicht kann ich’s dann schlagen und aus dem Lande vertreiben; denn ich weiß: Wen du segnest, der ist gesegnet, und wen du verfluchst, der ist verflucht. (4. Mose 22,6)
Da befragte Bileam, der kein Israelit war, den Gott Israels und erhielt zur Antwort, das er Israel nicht verfluchen solle, denn es sei gesegnet. Daraufhin ließ Bileam den Balak erst abblitzen, ging dann aber doch mit, weil Balak nicht lockerließ. In mehreren Anläufen, sowohl mit Bestechungsversuchen Bileams wie auch des Gottes Israels versuchte es Balak immer wieder. Mit großem Aufwand wurde an drei verschiedenen Orten viel geopfert und geschlachtet, um den Gott Israels auf seine Seite zu ziehen, doch vergeblich. Immer wieder erhielt Bileam die Bestätigung: Gott hat Israel gesegnet, dabei bleibt es.
Es gelang Balak nicht, Israel zu verfluchen. Gott hat es gesegnet und dabei bleibt es.
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Dabei bleibt es. Bis heute. Israel ist gesegnet. Israel ist Gottes Volk. Er lässt es nicht im Stich. Da können die Völker drum herum machen, was sie wollen, der Segen lässt sich nicht in Fluch verwandeln.
Allerdings ist der Segen kein Freibrief. Auch Israel muss sich verantworten. Weniger vor den versammelten Völkern und den vereinten Nationen als vielmehr vor Gott, vor dem Gott, der es für ewig erwählt und gesegnet hat.
Der Segen ist kein Freibrief. Teil des Segens ist das, was Israel von Gott gesagt wurde. Es ist ihm gesagt worden, was gut ist und was der Herr von dir fordert: - Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen. Auch wenn Israel sich verteidigt, auch wenn Israel um sein Überleben kämpft, hat es im Ohr, was ihm gesagt ist: Recht zu üben und Güte zu lieben.
Aber eben nicht nur Israel ist das gesagt, sondern allen anderen ebenso. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: - Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.
Es ist gesagt. Es ist nicht nur Israel gesagt, es ist dir gesagt, Mensch. Es ist allen Menschen gesagt. Adam, hier steht Adam, dir ist es gesagt. Es ist also auch uns gesagt und es ist den Völkern gesagt, auch den Völkern um Israel herum. Es ist auch denen gesagt, die Israel vertreiben wollen aus seinem Land, denen, die es vernichten wollen. Auch der Hamas, der Hisbolla, den Huthis, dem Regime im Iran, auch ihnen allen ist es gesagt, was gut ist und was der Herr von dir fordert: - Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.
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Es gibt Menschen in Israel, die noch im Ohr haben, was ihnen gesagt worden ist, die noch ein Gewissen haben. Und die gibt es ebenso auch unter den Palästinensern und den Iranern. Recht üben, Güte lieben und in Einsicht mit seinem Gott gehen. Und dann wird die alte Liebesgeschichte wieder heiß. Denn alle Götter wollen am Ende doch nur eines: Liebe, sie wollen lieben und geliebt werden. Da sind sich alle Götter eins. Und alle Menschen ebenso.
Amen.
Jürgen Kaiser