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Maria Magdalena
Filmkritik von Jürgen Kaiser
Selten finden Bibelfilme in den Augen der Theologen Gnade. Nicht, weil Theologen beanspruchten, besser zu wissen, „wie es in Wirklichkeit gewesen ist“, sondern weil sie wissen, dass man gar nicht wissen kann, wie es in Wirklichkeit gewesen ist. Denn die Evangelien wollen nicht das Leben des Jesus von Nazareth für die Nachwelt möglichst unvoreingenommen festhalten, sondern sie verbinden damit eine Botschaft, die allzu oft mehr vom Glauben der Autoren über Jesus verrät, als dass sie wiedergäbe, was Jesus selbst glaubte. Wenn dann aber ein Film so tut, als wäre er im Jahr 33 n.Chr. gedreht und die Filmrolle gerade bei einer Ausgrabung im Kidrontal zutage gefördert worden, fürchten Theologen, es könnte doch einer sagen, nachdem er den Film gesehen hat: All die Jahre gehe ich in die Kirche und immer ist mir Jesus ein Rätsel geblieben, aber jetzt endlich weiß ich, wer er war!
Geübtere Kirch- und Kinogänger freilich fallen nicht darauf rein. Sie erkennen auch in diesem Bibelfilm Hollywood dort, wo es am stärksten ist: in beeindruckenden Schauspielern mit blauen Augen, in grandiosen Szenen und intensiven Landschaften, in fantastischen Kameraperspektiven und subtiler Ausleuchtung, in perfekt choreografierten Massenszenen und gut recherchierten Kostümen. Sie erkennen es aber auch in den eher unangenehmen Aufdringlichkeiten wieder, von denen Hollywood nicht ablassen kann. Die Filmmusik legt sich über den Film wie ein Eimer Ketchup über den Burger. Spielt der Film in Galiläa, streicht ein Orchester dissonante Ostinati à la Arvo Pärt in die dürre Landschaft, spielt er Jerusalem, treibt eine Musik à la Steve Reich den Puls hoch.
Aber welche Geschichte erzählt nun der Film? Er gibt vor, die der Maria Magdalena zu erzählen. Dass man aus den Evangelien nicht viel über sie weiß, ist eher ein Vorteil, denn so ist die Figur offen für Themen unserer Zeit, ohne sich an biblischen Vorgaben reiben zu müssen. Maria aus Magdala ist anders als ihre Geschwister, sie will sich nicht in die tradierten Rollenmuster fügen, sich nicht verheiraten lassen, Kinder kriegen und fischen gehn. Stattdessen geht sie in die Synagoge, um Gott zu suchen. Sinn- und Gottessuche wird nur Männern zugestanden. Dann kommt Jesus, man sieht ihren Blick in seine blau-grünen Augen und weiß: Sie wird ihm nachfolgen und aus ihrer Rolle ausbrechen.
Die folgenden eineinhalb Stunden des zweistündigen Oeuvres drehen eine Auswahl bekannter Szenen aus den Evangelien ab. Heilungen, Dämonenaustreibungen, Totenauferweckungen funktionieren auch in diesem wie in allen Bibelfilmen tadellos. Dann der Einzug in Jerusalem ohne Esel und der Wutausbruch im Tempel. Ab da wird es blutig, aber es geht alles sehr schnell.
Die kurzen eingestreuten Dialoge und Jesus-Predigten hören sich an wie von einem schlechten Prediger nach einer missglückten Seelsorgeausbildung. All die großen und handelsüblichen Predigtworte werden zwar bedeutungsschwanger ausgesprochen, aber sinnfrei aneinander gehängt: Glauben und Vertrauen, Sehnsucht und Liebe, Angst und Hoffen, Frieden, Freiheit und Reich Gottes. Es geht diesen großen Worten im Film nicht anders als in der Predigt: Sie werden umso nichtssagender, je öfter sie gesagt werden. Die subtilen Gleichnisse, das Charakteristikum der Verkündigung Jesu, wurden leider gestrichen. Sie hätten wahrscheinlich den Bildern die Show gestohlen.
Am meisten habe ich mich über den Jesus dieses Films geärgert. Er hebt den Kopf, blickt und spricht wie bekifft, jedenfalls in der Synchronstimme. Der Versuch, Jesus eine besondere Aura abseits allen kitschigen Heiligenscheingehabes zu geben, ist lobenswert, aber misslungen. Es muss misslingen, denn das Geheimnis des Jesus Christus lässt sich weder mit schauspielerischen noch mit filmischen Mitteln einfangen. Die Evangelisten widmen ihre ganze Erzählkunst der Frage: Wer war dieser Jesus? Dabei setzen sie sorgfältig die sog. Hoheitstitel ein. Im Film wird Jesus wahllos damit belegt. Ob er Heiland, Messias, Meister, Herr, Prophet oder Sohn Gottes genannt wird, scheint unerheblich.
Petrus bleibt wie die anderen Jünger blass, obwohl er von einem schwarzen Schauspieler verkörpert wird. Einzig Judas erhält eine klare Kontur und ein nachvollziehbares Motiv. Er ist der freundlichste der Jünger und gleich bereit, Maria in den Kreis aufzunehmen. Er folgt Jesus, weil die Römer seine Familie getötet haben und Jesus bald das Reich Gottes aufrichtet, in dem die Toten auferstehen werden. Weil er es nicht mehr erwarten kann, verrät er Jesus, denn er meint, der habe zu seiner Verteidigung nun keine andere Möglichkeit mehr als das Reich Gottes anbrechen zu lassen. Nach Jesu Tod erhängt er sich. Es ist die einzig gebliebene Möglichkeit, zu seiner Familie zu kommen.
Man hätte in einem Film über Maria Magdalena die Geschichte der wichtigsten Jüngerin Jesu besser erzählen können, wenn man der Versuchung widerstanden hätte, Jesus auf die Leinwand zu bringen. So bleibt Maria in dessen Schatten. Am Schluss darf sie eine kleine Predigt vom Reich Gottes halten, das in uns drin ist, und das war's. Wir müssen weiter darauf warten, dass aus dieser Jüngerin endlich eine Geschichte aus Fleisch und Blut wird, und können hier nur das Fazit wiederholen, das fast alle Literaturverfilmungen trifft: Das Buch ist besser.
Jürgen Kaiser