Das Belhar Bekenntnis: Kontext, Hermeneutik und Folgen?

Belhar im Kontext südafrikanischer Bekenntnisbildung


Allan Boesak © Archief / Wikicommons

Das Belhar Bekenntnis entstand im Umfeld der Apartheid, deren umfassende politische Ideologie das rechtliche, soziale, öffentliche, kulturelle und alltägliche Leben prägte.

Historischer Kontext

Der Kontext des Belhar Bekenntnisses ist im unmittelbaren Kontext der Apartheid war die theologische und biblische Rechtfertigung dieser Ideologie, welche die reformierten Kirchen über viele Jahrzehnte hinweg vertraten. Sein Kontext war die konkrete Verkörperung dieser Ideologie in den Strukturen, Kirchenordnungen und im alltäglichen Leben dieser reformierten Kirchen und Gemeinden über mehr als ein Jahrhundert hinweg. Sein Kontext war der reformierte Gottesdienst, der reformierte Glaube und die reformierte Spiritualität, die diese Ideologie als Gottes Willen verstanden.

Belhar ist ein Township in der Nähe von Kapstadt. Der „Groups Areas Act“ war eines von hunderten Apartheidsgesetzen auf der Grundlage des berüchtigten „Population Registration Act“ von 1950, die das Leben der Südafrikaner von der Geburt bis zum Tod in rassische Trennung, Ausgrenzung, Marginalisierung und Unterdrückung zwangen. Dem „Groups Areas Act“ zufolge war Belhar ein sogenannter „farbiger“ Stadtteil, in dem nur Menschen sogenannter „gemischter Herkunft“, d.h. ohne feststellbare rassische oder ethnische Identität, wohnen dürfen.

Als die Synode der Niederländischen Reformierten Missionskirche (Dutch Reformed Mission Church) das Bekenntnis 1982 in Belhar ausarbeitete und gemäß ihrer Kirchenordnung vier Jahre später, also 1986, offiziell verabschiedeten, geschah dies in diesem unmittelbaren Kontext – dem Kontext der Ideologie der Apartheid, ihrer Rechtfertigung in der reformierten Theologie, ihrer Verkörperung in der reformierten Ekklesiologie und ihrer weitverbreiteten Akzeptanz in reformiertem Gottesdienst und Spiritualität. Es ist unmöglich, das Belhar Bekenntnis ohne seinen historischen Kontext zu verstehen. Belhar war eine direkte Antwort auf diesen Kontext und wäre ohne diesen Kontext undenkbar gewesen.

Tatsächlich könnte man sogar sagen, dass die historische Entwicklung in der umgekehrten Reihenfolge stattgefunden hat. Man könnte begründen, dass die Geschichte der Apartheid in gewisser Hinsicht in Spiritualität und örtlichen Gottesdiensten ihren Anfang nahm, als 1857 ländliche Gemeinden reformierten Glaubens getrennte Abendmahlsfeiern einführen wollten. Ihre getrennten reformierten Gottesdienste entwickelten sich zu getrennten reformierten Kirchen, die durch reformierte Ekklesiologie und biblische Theologie begründet wurden. Schließlich boten diese die ideologische Grundlage des Systems politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Apartheid.

Belhar richtete sich als Bekenntnis gegen diese Geschichte, gegen diesen Gottesdienst und diese Spiritualität, gegen diese Ekklesiologie und Theologie, gegen diese politische Ideologie und alltägliche Realität. Es bekannte die Kirche als Kirche des dreieinen Gottes (in der Einleitung), welche Jesus als Herrn Gehorsam schuldig ist (im Schlussteil). Es bekannte (in drei Artikeln mit Verwerfungen), dass dieser Gott als Gott der gelebte Einheit, der echten Versöhnung und der mitleidenden Gerechtigkeit offenbar ist. Dieser Gott ruft die Kirche auf, solche Einheit, Versöhnung und Gerechtigkeit zu leben, auch und gerade im Gegenüber zu unterschiedlichen Lehren und entgegengesetzten Forderungen.

Natürlich entstanden dieser Widerstand und diese Verwerfung nicht plötzlich aus dem Nichts. Die Entscheidung der Synode ein Bekenntnis abzulegen, war Teil einer viel längeren Tradition und einer viel breiteren Geschichte von Kampf und Widerstand. Der Kontext von Belhar umfasst viele andere weitere Kontexte. Seine vollständige Geschichte kann nicht erzählt werden ohne eine lange Reihe von wichtigen Entwicklungen und entscheidenden Faktoren zu berücksichtigen. Seine Geschichte sollte den Einfluss vieler bedeutender Ereignisse, Treffen, Studien und Personen anerkennen. Seine Geschichte muss daher viele unterschiedliche Traditionen, Ideen und Überzeugungen berücksichtigen, die auf das Bekenntnis einwirkten und daran Anteil haben. Tatsächlich kann daher seine vollständige Geschichte vermutlich nie erzählt werden – eben weil so viele unterschiedliche Hintergründe und Einflüsse darin präsent sind. Wie bei allen bedeutsamen historischen Momenten ist es im Nachhinein meist unmöglich, nur eine Begründung zu konstruieren, was genau in diesem partikularen historischen Kontext zusammen wirkte.

Deutlich ist das Bewusstsein, Teil eines viel breiteren sozialen und politischen Kampfes gegen die Apartheid zu sein. Schließlich lag 1982 bereits Jahrzehnte nach dem Sieg der Apartheid 1948 und nach wichtigen Momenten im Kampf gegen Apartheid, wie Sharpeville und seinen Folgen 1960 (als die Polizei viele Demonstranten erschoss) und Soweto und dessen Folgen 1976 (als sich die Studentenrevolte über das ganze Land ausbreitete). Wenn man weiter zurückschaut, bestand auch ein Bewusstsein für den langen Widerstand gegen Jahrhunderte von Kolonialismus, Sklaverei, Ungleichheit, Unterdrückung und Rassismus. Die machtvolle Spiritualität des „Schwarzen Bewusstseins“ und der „Schwarzen Theologie“ war mit Sicherheit überall auf den Straßen zu spüren. Einige, jedoch nicht alle Schwarzen Theologen sehen ihre Wurzeln in der Befreiungstheologie.

Es bestand ein starkes Selbstverständnis als Teil des breiten ökumenischen Protestes und des Widerstands gegen die Apartheid zu handeln – sowohl innerhalb Südafrikas in den Kreisen des Südafrikanischen Kirchenrats als auch international in verschiedenen konfessionellen Zusammenschlüssen und der Ökumenischen Bewegung. Der Lutherische Weltbund hatte angesichts der südafrikanischen Situation bereits 1977 den status confessionis erklärt und der Reformierte Weltbund tat einige Wochen vor der Synode 1982 dasselbe. Drei Jahre später sollte das bekannte Kairos Dokument von Theologen und Vertrerer verschiedener Konfessionen in Südafrika veröffentlicht werden und Vertreter von Pfingstkirchen und Evangelikalen veröffentlichten ähnliche Dokumente. Deutlich war die Notwendigkeit, in irgendeiner Form öffentlich in den Kirchen und aus dem Glauben heraus zu den Realitäten der Apartheid Stellung zu beziehen.

In der Tat ist die Entscheidung der Niederländisch Reformierten Missionskirche zur Abfassung des Bekenntnisses ein direktes Ergebnis des Synodenberichts der Delegierten von der Vollversammlung des Weltbundes in Ottawa (1982). Als die Synode ebenfalls den status confessionis erklärte, kam der Vorschlag auf, diesen mit einem neuen bekennenden Statement zu verbinden. Dieses sollte erklären, warum die Niederländisch Reformierte Missionskirche jetzt, nach Jahrzehnten theologischer Kontroverse, einen Moment der Wahrheit für gekommen hielt und warum die Glaubwürdigkeit des Evangeliums auf dem Spiel stünde.

In diesem spezifischen Moment wurde deutlich, wie stark das Selbstverständnis als reformierte Kirche war. Als Teil der weltweiten reformierten Gemeinschaft, in der reformierten Tradition stehend, taten sie etwas charakteristisch Reformiertes: sie legten erneut Bekenntnis ab.

Man könnte zum Beispiel auf die Tatsache hinweisen, dass die Entscheidung des Weltbundes bereits durch Studien, Plädoyers und Stellungnahmen beeinflusst waren – zum einen von den Kreisen des sogenannten Bekennenden Kreises (Belydende Kring) reformierter Gläubiger in Südafrika und zum anderen durch ABRESCA, die Allianz der Reformierten Christen in Südafrika. In diesen Kreisen wiederum war der Einfluss Allan Boesaks nicht zu leugnen – wiederum eine theologische Tradition, die sich ihres reformierten Selbstverständnisses sehr bewusst war. In seinen bekannten Aufsätzen mit dem Titel “Black and Reformed” (Schwarz und reformiert) legte er zum Beispiel dar, wie sehr ihn der – in seinen Worten – „radikale Calvinismus” Johannes Calvins und die reformierte Bekenntnistradition, einschließlich der Confessio Belgica, prägte und inspirierte. Diese Einflüsse treten in vielen der theologischen und ekklesiologischen Konflikte um die Apartheid in südafrikanischen reformierten Kreisen deutlich zu Tage.

Der direkte Einfluss der Confessio Belgica in der Synode sowohl in der Verabschiedung von Belhar als auch in ihrem Inhalt ist augenfällig und bekannt. Ähnlich explizit war der Einfluss von Karl Barths Verständnis der reformierten Bekenntnisse in der Synodendebatte um die Entscheidung, ob ein Bekenntnis abgelegt werden sollte. Im Inhalt des sogenannten Begleitbriefes, in dem die Synode ihre eigene Motivation, ihr Anliegen und ihre Hoffnung schildert, sind ähnliche Gedanken zu finden. In der Struktur von Belhar selbst ist das Vorbild der Barmer Theologischen Erklärung klar erkennbar. In den Kreisen um Beyers Naudé`s „Christliches Institut“ bestand ein deutliches Bewusstsein, auf dem Weg zum Aufbau einer bekennenden Kirche zu sein.

Kurzum, in den weiter gefassten Kreisen des Widerstands, die den historischen Kontext des Prozesses zur Entstehung von Belhar bildeten, herrschte ein klares Selbstverständnis, Teil eines viel älteren, weiteren, umfassenderen und ökumenischen Kampfes zu sein. Zugleich verstand man sich jedoch als Teil dieses Kampfes als genuin reformiert – gespeist aus reformierten Quellen, inspiriert von reformierten Figuren und Denklinien und eingebunden in charakteristisch reformiertes Handeln.

Dies ist natürlich umso bedeutender, als der Kampf in seiner Ausrichtung gerade gegen eine spezifische Art des Reformiertentums gerichtet war, gegen reformierte Theologie und Ekklesiologie und gegen das, was als reformierte Weltsicht und Lebensart verstanden wurde. Es handelt sich daher in der Tat um einen Kampf innerhalb der reformierten Tradition, einen Kampf um die Natur und Zukunft des reformierten Glaubens.

Konfessionelle Hermeneutik

Vor diesem Hintergrund können mindestens drei Anmerkungen zum damals herrschenden hermeneutischen Selbstverständnis hinsichtlich der Natur und Rolle der reformierten Bekenntnisse gemacht werden.

Erstens sind reformierte Bekenntnisse zutiefst historisch und kontextuell und nehmen zugleich in Anspruch, eine vom historischen Kontext unabhängige Wahrheit auszudrücken.

Die Synode beschloss sehr bewusst, den Begriff „Apartheid” im Bekenntnis nicht zu verwenden. Vielleicht kann man sagen, dass das Belhar Bekenntnis ohne die Apartheid nicht entstanden wäre, jedoch ging es Belhar um mehr als Apartheid. Daher kann man vielleicht sagen, dass seine Botschaft und Implikationen nicht von der Apartheid abhängen und dass seine andauernden Wahrheitsansprüche und seine mögliche Relevanz daher nicht auf die Vergangenheit der Apartheid oder die südafrikanischen Erfahrungen begrenzt sind.

Dies gilt natürlich ebenfalls für ältere reformierte Bekenntnisse und ihre jeweilige Rezeptionsgeschichte, einschließlich der Barmer Theologischen Erklärung.

Dies ist der Grund, warum bekennende Kirchen und Gläubige auf die Reaktionen Anderer angewiesen sind – Schwestern und Brüder, vielleicht andere Kirchen, vielleicht die ökumenische Kirche – in Übereinstimmung und Widerspruch, in Annahme oder Ablehnung des Bekenntnisses. In der reformierten Tradition kann diese Rezeption sehr unterschiedliche Formen annehmen. Und viele der schwierigsten Herausforderungen reformierter Kirchen haben möglicherweise mit diesem breiten Spektrum von Formen der Annahme anderer und ihrer Überzeugungen zu tun. Der Mangel an offizieller und struktureller Rezeption und damit verbunden der scheinbare Mangel an irgendeiner verbindlichen Art der Übereinstimmung und des Zusammenhalts – der Verbindlichkeit – ist charakteristisch für das Reformiertentum und möglicherweise der Grund für viele typische Herausforderungen unseres Glaubens.

Dieses erste Charakteristikum – mehr zu sein als bloß historisch und kontextuell – ist offensichtlich der Grund für die breite und sehr unterschiedliche gegenwärtige Rezeption von Belhar in verschiedenen Kirchen und historischen Kontexten. Die breite Rezeption ist aus jeweils erkennbar unterschiedlichen Gründen gewachsen. Manchmal lag der Fokus auf multikulturellen Erfahrungen und Kämpfen um die Einheit der Kirche, sowie auf neuen Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung. Zu anderen Zeiten standen Vorurteile und Rassismus im Vordergrund, einschließlich solcher Erfahrungen wie Entfremdung, Misstrauen und Bitterkeit, sowie Kämpfen um Versöhnung. Manchmal richtete sich der Blick auf ökonomische Ungleichheiten und strukturelle Ungerechtigkeit, verbunden mit Erfahrungen von Privilegierung, Macht und Marginalisierung, sowie Kämpfen um mitleidende Gerechtigkeit.

Die Relevanz und neu inspirierende Kraft reformierter Bekenntnisse hängt mit Sicherheit nicht davon ab, ob der neue Kontext, in den sie auf neue Weise sprechen, derselbe sein muss wie der ursprüngliche historische Kontext ihrer Entstehung. Deutschland 1934 und Südafrika 1982 müssen nicht wiederholt werden. Tatsächlich kann Belhar heute in Südafrika genauso relevant und herausfordernd wirken wie in den Zeiten der Apartheid, auch wenn es heute neuen Realitäten und Herausforderungen gegenüber steht.

Zweitens sind reformierte Bekenntnisse zutiefst menschliche Produkte und nehmen doch Autorität in Anspruch – in den Worten Karl Barths, der in seinem Paper für die reformierte ökumenische Bewegung 1925 reformierte Bekenntnisse beschreibt als „vorläufig geschenkte Einsicht bis auf weiteres“.

Die Autorität der Bekenntnisse ist immer relativ. Sie untersteht dem Evangelium und damit den Einsichten und den Stimmen der Schwestern und Brüder, die auch auf das Evangelium hören. Diese Autorität besteht nie in der Richtigkeit der gebrauchten Formulierungen oder der Akkuratesse des bestmöglichen Ausdrucks, sondern vielmehr in der Stoßrichtung, den Anliegen, dem Skopus dessen, was im Namen des Evangeliums gegenüber den Herausforderungen der Zeit in Anspruch genommen wird. Aus diesem Grund haben viele reformierte Bekenntnistexte ihren eigenen Kontext überlebt und wurden Teil einer andauernden Tradition solch relativer Autorität – womit sie Anderen an unterschiedlichen Orten und Zeiten halfen, ebenfalls Orientierung und Leitung zu finden.

Aus diesem Grund wurde Belhar bereits in einigen Bekenntnisbildungsprozessen der ökumenischen reformierten Tradition zu Rate gezogen. Man muss nur an den sogenannten processus confessionis angesichts globaler wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung erinnern – von Kitwe über Debrecen, Accra, Grand Rapids und seither in der Weltgemeinschaft der reformierten Kirchen. Zwischen der Evangelisch-Reformierten Kirche in Deutschland und der Uniting Reformed Church in Southern Africa führte dies zu der gemeinsamen Studie und dem Bericht, der unter dem Titel Gemeinsam für eine andere Welt bekannt ist.

Dies ist selbstverständlich zugleich der Grund für die bis in die Gegenwart anhaltende und ernsthafte Debatte über die weiteren möglichen Implikationen von Belhar in einigen reformierten Kirchen, zum Beispiel in Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Leben der Kirche. Eben weil reformierte Bekenntnisse keine endgültigen Worte in zeitlosen Formulierungen sprechen, sondern zu anhaltender Reflexion und weiterer Auseinandersetzung aufrufen, lösen sie niemals alle Fragen, sondern suchen vielmehr nach neuen Formen konkreter Verantwortung.

Daher können reformierte Bekenntnisse drittens in der Tat als Bereitstellung grammatischer Regeln verstanden werden, jedoch als grammatische Regeln für Glauben und Leben, für Dogma und Ethik. Auch wenn dieser Aspekt bereits in den Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts implizit zu finden ist, zum Beispiel in der Confessio Belgica und dem Heidelberger Katechismus, trat er doch im 20. Jahrhundert, insbesondere in Barmen und Belhar, in den Vordergrund.

Dies war vermutlich eine der entscheidendsten und manchmal kontroversen hermeneutischen Fragen zu Belhar seinerzeit: Die Frage, ob politische Ideologien Anlass für einen status confessionis sein können; ob Bekenntnisse durch ethische Anliegen notwendig werden können; ob es möglicherweise sinnvoll ist, von ethischen Häresien zu sprechen.

Im Fall der Apartheid war es natürlich unmöglich zwischen der Ideologie und ihrer Rechtfertigung zu unterscheiden. Zu dieser Zeit wurde jedoch oft gefragt, ob Belhar (auch) gegen Apartheid oder (nur) gegen die theologische Begründung der Apartheid gerichtet sei. Diese Frage impliziert die Folgefrage, ob es erneut möglich oder notwendig werden könnte, unseren Glauben im Gegenüber zum politischen oder wirtschaftlichen Systems und/oder zum ideologischen Zeitgeist zu bekennen – oder ob ein Moment des Bekennens nur entstehen kann, wenn das Evangelium zur Rechtfertigung unmoralischen Handelns oder eines unethischen Lebensstils benutzt wird.

Dies ist vielleicht eine der größten hermeneutischen Herausforderungen, die während unserer Erfahrungen in Südafrika deutlich wurde. Unsere Leben, unsere Überzeugungen und unser Engagement, unsere Gottesdienste und unsere Spiritualität können problematischer sein als uns bewusst ist. Der bekannte südafrikanische reformierte Theologe, John De Gruchy, sagte einmal, dass sogar unsere Liturgie und Frömmigkeit zur Verhinderung der Durchsetzung des Evangeliums benutzt werden können. Dasselbe kann für die Ordnung und das tägliche Leben der Kirche gelten – wie uns Barmen gelehrt hat. Wolfgang Huber, der ehemalige Ratspräsident der EKD, schrieb einmal, dass Barmen und Belhar gemeinsam „den inneren Zusammenhang zwischen Glauben und Gehorsam, Zeugnis und Dienst, Verkündigung und Existenz der Kirche verdeutlichen“.

Nach der Generalversammlung der Reformierten Weltbundes in Accra wurde ein bewegender Hirtenbrief an alle Mitgliedskirchen versandt. Die Verfasser erzählten, wie Delegierte die berüchtigten Sklavenburgen in Elmira besuchten. Sie sahen die Gefängnisse, in denen die Sklaven gehalten wurden, viele von ihnen sterbend, in Erwartung der Schiffe, die sie zu weit entfernten Zielen brachten, für immer getrennt von ihren Lieben, um vielleicht noch nicht einmal die Reise zu überleben. Direkt über den Gefängnissen besuchten sie die Räume, wo die Sklavenbesitzer und Schiffskapitäne sich trafen – auch zum Gottesdienst. Noch immer waren die Worte der biblischen Psalmen an den Wänden lesbar. Wie war das möglich?, seufzten die Besucher gemeinsam, wie konnten unsere Vorfahren nicht sehen, was sie taten? Wie konnten sie den Widerspruch zwischen ihrem Gottesdienst und ihrem Handeln nicht erkennen? Dann begannen einige der Besucher zu bemerken, dass wir möglicherweise noch immer dasselbe tun: wir sehen die Konsequenzen unseres eigenen Lebensstils nicht und feiern daher Gottesdienst, beten und singen Psalmen, ohne uns unserer eigenen Widersprüche im Mindesten bewusst zu sein.

Konsequenzen für die Tradition

Was sind vor diesem Hintergrund die Konsequenzen der Aneignung von Belhar? Einige dieser Konsequenzen wurden bereits angesprochen.

Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte ist Belhar bereits auf viele Arten und an verschiedenen Orten integraler Teil der breiteren reformierten Gemeinschaft und Tradition geworden. Das Belhar Bekenntnis war selbst ein wesentlicher Teil dieser weltweiten Gemeinschaft und seiner langen Tradition, als es in der Apartheid Südafrikas entstand. Die vielen Wege, auf denen es bereits verbreitet wurde, trugen weiter zu dieser Gemeinschaft und Tradition bei. Es wurde zum Beispiel in verschiedenen Kirchen unterschiedlicher Länder auf unterschiedliche Weise aufgenommen – diskutiert, studiert, gebraucht, oft offiziell angenommen. Es wurde in viele Sprachen übersetzt – unmittelbar ins Englische und einige der anderen elf offiziellen Sprachen in Südafrika, sehr schnell ins Deutsche und Französische, später sogar von Korea über China bis nach Palästina verbreitet. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent wurde es auf verschiedene Arten rezipiert – von Namibia über Sambia nach Nigeria, durch Gemeinden und Kirchen, durch Studien und Studierende, durch ökumenische Treffen und Versammlungen. So führte beispielsweise die Reaktion auf die wirtschaftliche Globalisierung und ökologische Zerstörung zum Dokument Gemeinsam für eine andere Welt.

In Südafrika selbst ist es noch zu früh, die Folgen zu benennen. Einerseits spielt Belhar mit Sicherheit bereits jetzt eine bedeutende Rolle. Es half, die Anliegen aufzudecken und zu benennen, die seinerzeit auf dem Spiel standen – oft verborgen unter der Oberfläche und nicht öffentlich benannt. Es half, viele miteinander zu verbinden, die vorher zutiefst entzweit waren, überwand Misstrauen und Entfremdung zwischen Gläubigen, Gemeinden, Kirchen und Menschen. Es trug zweifellos zum breiten Prozess auf dem Weg zu wirklicher Versöhnung und dauerhaftem Frieden in Kirche und Gesellschaft bei. Mit Sicherheit ermutigte das Dokument zu Diskussionen über Mitleid und Gerechtigkeit in einem Land, das bis heute noch immer zutiefst durch das Erbe des Kolonialismus, der Apartheid und des Rassismus gespalten ist. Es hilft auch heute immer noch Menschen, der Korruption und dem Machtmissbrauch der alten und neuen Machthaber zu wiederstehen. Es fordert und inspiriert noch immer viele Menschen – leitende Figuren, aber auch gewöhnliche Menschen – zu der Frage, was es heute in unserer Welt bedeutet, Jesus nachzufolgen.

Andererseits ist die Rezeption bis heute zutiefst mehrdeutig und kontrovers. Noch immer finden fast täglich wütende Debatten in der Kirche und den öffentlichen Medien statt – in Tageszeitungen, Sonntagszeitungen, im öffentlichen nationalen Radio, in Talkshows, in Kirchenzeitschriften, in Büchern zur öffentlichen Meinungsbildung. Der unmittelbare Grund dieser gespaltenen und spaltenden Debatten liegt in dem Versuch der Niederländisch Reformierten Kirche (Dutch Reformed Church) festzustellen, ob eine ausreichende Zahl von Gemeinden und Regionalsynoden der Empfehlung der Generalsynode folgen wird, Belhar in die Bekenntnisgrundlagen der Kirche aufzunehmen. Eine ausreichende Zahl von Synoden hat bereits ihren Widerspruch angekündigt, sodass bereits jetzt deutlich ist, dass die Kirchenordnung nicht in der angedachten Art und Weise verändert werden wird. Es ist jedoch eine schwierige Frage, wie dieser Widerstand, beziehungsweise der gesamte Prozess und die gegenwärtigen Kontroversen, zu interpretieren und zu bewerten sind. Während die starke Unterstützung für Belhar von Seiten der Leitung der Niederländisch Reformierten Kirche und auch von Seiten einiger Regionalsynoden deutlich ist, sind der harsche Widerstand und die weit verbreitete Ablehnung ebenso offensichtlich.

Zumindest besagt eine Meinung – zusätzlich zu vielen anderen –, dass es vermutlich zu optimistisch und unrealistisch gewesen wäre, irgendetwas anderes zu erwarten. In der Geschichte reformierter Bekenntnisse sind drei Jahrzehnte keine lange Zeit. Die über Jahre gewachsenen und tief in der kollektiven Psyche verankerten Überzeugungen derjenigen, die aufrichtig an die Apartheid geglaubt haben, wurden in einem Moment der Wahrheit aufgedeckt und radikal herausgefordert. Vielleicht hätte man voraussehen können, dass der von vielen erwartete Abschied von der Apartheid schlicht und einfach zu direkt, zu radikal und zu dramatisch und emotional zu viel verlangt war. Vielleicht sind die gegenwärtigen Verwirrungen, Enttäuschungen, Verhärtungen der Positionen und die Wiederholung längst überwunden geglaubter Argumente Symptome eines notwendigen, aber verspäteten emotionalen und spirituellen Prozesses, der bisher in der Kirche und Gesellschaft Südafrikas nicht genügend Raum hatte. Vielleicht ist es noch immer zu früh um zu wissen, wohin der Weg möglicherweise führt. Vielleicht wird Belhar für viele wieder – oder zum ersten Mal – zu einem Symbol all dessen, was seinerzeit tatsächlich auf dem Spiel stand.


Dirk J. Smit
Ein Dokument der Generalsynode der farbigen südafrikanischen Nederduitse Gereformeerde Sendingskerk (NGSK)

Mit dem Bekenntnis von Belhar wurden Ablehnung und Überwindung der Apartheit zur Bekenntnisfrage - acht Jahre vor der formellen staatlichen Überwindung der Apartheit 1994.