Auf den Geist kommt es an. Vier Blitzlichter

Impulsreferat auf dem Pfarrkonvent der Klasse Süd der Lippischen Landeskirche am 8. Mai 2024 in Schlangen

© Wikicommons / Buchhändler

Von Michael Weinrich

1. Das gilt immer

Das wissen wir alle, wie sehr das Meiste, was wir miteinander zu tun haben, von dem Geist abhängt, in dem es jeweils geschieht. Es gibt einen Geist, der auf unseren Versammlungen und Aktionen liegt und sehr weitreichend darüber entscheidet, was von ihnen ausgeht. Das gilt keineswegs nur für unsere kirchlichen Veranstaltungen. Auch sonst sind die meisten Unternehmungen davon abhängig, welchem Geist sie sich anvertrauen. Es gibt so etwas wie eine unsere individuellen Befindlichkeiten transzendierende Dimension, die auf das sich tatsächlich vollziehende Geschehen mindestens einen ebenso großen Einfluss hat wie die Inszenierungen, die von seinen einzelnen Akteuren eingebracht werden. Man könnte von einer psychologischen Dispositiven sprechen, die einer Unternehmung ihr spezifisches Gefälle gibt. Ich ziehe es vor, vom Geist zu sprechen, weil es mir bedeutungsvoll zu sein scheint, dass sich diese Dimension nicht vollständig mit den Faktoren verrechnen lässt, die sich von uns ausmachen lassen.

Es sind ja keineswegs immer gute Geister, die da bestimmen. Heute haben wir ja nicht selten den Eindruck, als seien wir von allen guten Geistern verlassen. Überwunden geglaubte Geister zelebrieren ein bedrohliches Comeback und bedrängen zunehmend die immer spärlich werdenden Hoffnungsgeister, auf die sich der notwendige Lebensmut beziehen kann. Wir sprechen von der Unterscheidung der Geister. Wir rechnen nicht nur mir verschiedenen Geistern, sondern halten sie auch für unterscheidbar. Und da kann es in einer christlichen Gemeinde nicht überraschend sein, wenn sie auch mit dem Geist Gottes rechnet. Ja, eigentlich nicht nur mit ihm rechnet, sondern eben auf ihn setzt und deshalb auch stets um ihn bittet. Sie bittet um ihn, weil er offenkundig nicht einfach zur Verfügung steht, und es hat den Anschein, als habe er sich heute doch schmerzlich rargemacht hat. Es hat einen guten Grund, weshalb wir auch auf der Kanzel vor der Predigt darum bitten, dass der Geist Gottes unser Reden und Hören beflügeln möge, damit sich etwas von der Wirklichkeit Gottes zeigt, von der dann da hoffentlich die Rede ist.

Weil es also immer irgendwie um einen Geist geht, dessen Sache betrieben wird, kommt es für die Kirche entscheidend darauf an, dass sie sich darum sorgt, dass in ihr dem Heiligen Geist Raum gelassen wird. Und so wie der Heilige Geist zu Pfingsten für die Konstitution der Kirche und der Ökumene steht, so bleibt eben auch die Bitte um seine lebendige Gegenwart der charakteristische Grundakt all ihres Tuns und Strebens. Gegenüber dem charismatischen Konsum des Heiligen Geistes bleiben wir zu Recht ein wenig skeptisch, aber bedrohlicher wäre doch wohl eine Geistvergessenheit der Kirche. Wenn der Eindruck entsteht, dass es die Kirche sei, die dem ermüdenden Geist auf die Sprünge helfen müsse, geraten unversehens Ursache und Wirkung durcheinander. Es wäre doch wohl eine merkwürdige Verdrehung, wenn sich die Kirche als der Raum darstellen würde, in dem Gott lebendig gehalten wird. Eine solche Kirche mag zwar sich selbst noch nicht aufgegeben haben, aber von der Präsenz des auferstandenen Christus scheint sie nichts mehr zu erwarten. Sie mag sich bemühen, an seine Stelle zu treten, aber da bestimmt dann eben ein anderer Geist als der Geist des lebendigen Gottes. – Ist das nicht ein Teil der Trostlosigkeit, die auch unsere Kirche immer wieder befällt?

2. Der Geist tritt für uns ein

Natürlich geht es in der Kirche um uns, aber es geht nur deshalb um uns, weil es eben auch Gott um uns geht. So muss es ihr entscheidend eben um Gott gehen, wenn sie maßgeblich darüber Auskunft geben will, warum es um uns geht. Das ist die auf ihr liegende Verheißung ebenso wie ihre Verlegenheit. Und weder die Verheißung noch die Verlegenheit sollte sie jemals aus den Augen verlieren, wenn sie nicht Gefahr laufen will, sich selbst verlustig zu gehen. Sie sollte sich einerseits bewusst bleiben, dass sie sich das, was sie zu sagen hat, auch immer wieder sich selbst sagen lassen muss, weil sie es von sich aus nicht sagen kann, und andererseits, dass sie stets darauf angewiesen bleibt, dass sich das, was sie zu sagen hat, schließlich nur aus sich selbst heraus bewahrheiten kann. Sie hat es nicht in der Hand, es so zu sagen, dass es tatsächlich zu hören ist – es so zu bezeugen, dass es überzeugt – die Barmher­zigkeit Gottes so adressieren, dass sie auch ankommt, uns verändert und dann trägt.

Deshalb muss die Kirche um den Heiligen Geist bitten, damit das geschehen kann, denn ohne dies Geschehen kann sie niemals recht Kirche werden. Sie bittet um den lebendigen Geist, weil sie der Verheißung glaubt, die auf ihrer Berufung und Sendung liegt und aus der sie auch ihre Zuversicht im Blick auf sich selbst bezieht. Wir können uns nicht selbst aus unserer Bedrängnis befreien. Wer auf seine Frömmigkeit oder die religiösen Bemühungen der Kirche setzt, hofft darauf, sich an den eigenen Haaren aus den Gefahren herausziehen zu können. Wer sich auf das eigene Gottesbild verlässt, erhebt sich leichtfertig über seine Endlichkeit, um sich dann aber unversehens wieder mit den Geistern dieser Endlichkeit und ihren kleinen Versprechen konfrontiert zu sehen. Es geht nicht um die Geister, die wir aktivieren können. Früher oder später landen wir in der Bedrängnis des Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, aus der Kontrolle verliert. Das ist eine Situation, die für uns leider nicht nur eine abstrakte Bedrohung beschreibt.

Es kommt vielmehr auf den Geist an, der für uns eintritt (Röm 8,26) und uns mit einer tragfähigen Hoffnung versieht, die uns nicht nur über den Tag rettet, sondern uns unseren Platz im Willen Gottes finden lässt. Der Geist tritt für uns ein, denn es geht nicht nur um die ständig wechselnden und fragilen Verheißungen, die wir noch unserer Endlichkeit und den von ihr ermöglichten Hochrechnungen abringen können. In diesem Horizont werden wir nicht umhinkönnen, uns eingestehen zu müssen, dass die Zeit uns schließlich unausweichlich in die unerbittlichen Arme des Todes treiben wird. Tritt aber der Geist Gottes für uns ein, dann begegnen wir der Grenze der depressiven Alleinherrschaft der Zeit. Er stellt ihr eine Lebensperspektive entgegen, die sich nicht aus der indolenten Permanenz ihres Verrinnens ablesen lässt. Es ist die Ewigkeit Gottes, die der stets ablaufenden Zeit ihre Oberherrschaft bestreitet und ihr eine Bestimmung gibt, die vor allem besagt, dass wir uns auch in unserer Endlichkeit nicht vom Tod herumschubsen lassen müssen, weil die Zeit im besten Sinne in der Ewigkeit Gottes aufgehoben und von ihr umfasst wird, so dass auch wir uns von ihr aufrichten lassen können, weil sie auch uns umfasst. Unsere Zeit steht in Gottes Hand (Ps. 31,16).

Das mag sich jetzt möglicherweise ein wenig großspurig anhören, und gemessen an unseren Möglichkeiten und Verlässlichkeiten ist es zweifellos auch sehr großspurig. Unser Geist ist damit grundsätzlich überfordert. Und auch die Kirche bleibt damit grundsätzlich überfordert, solange sie nur auf sich und ihre Möglichkeiten setzt. Niemand kann von sich aus von Gott reden. Es könnte sich grundsätzlich nicht um mehr handeln als um ein Produkt unserer diesseitsverhafteten Phantasie bzw. Spekulation. Nur von Gott aus kann von Gott geredet werden, und dafür vergegenwärtigt er sich in seinem Geist.

3. Gott ist Geist (Joh 4,24)

Wenn Gott uns begegnet, geschieht dies in der Kraft des Heiliges Geistes, in dem Gott sich zu uns in Beziehung setzt. Gott ist insofern Geist als er sich eben niemals anders zu uns in Beziehung setzt als im Heiligen Geist. Indem er aber zugleich der Ursprung und die Quelle des an uns handelnden Geistes ist, steht der Heilige Geist für sein Inerscheinungtreten, hinter dem er immer zugleich auch sein Geheimnis wahrt. Wenn Gott sich offenbart, geht es stets um die Offenbarung eines Geheimnisses, das als solches gewahrt bleiben will. Wir können uns keine Vorstellung vom Wesen Gottes machen, aber er lässt sich in seiner Zuwendung zu uns erkennen. Auch der Geist, der einen Dornbusch in Flammen stehen lässt, ohne ihn zu verbrennen, bleibt ein Handeln Gottes, das für uns wesentlich bleibt, hinter dem Gott das Geheimnis seines Wesens verbirgt, dem wir ausdrücklich nicht zu nahe treten sollen und vor dem Mose sein Angesicht verhüllt, weil er angesichts der Herrlichkeit Gottes nicht im Nichts verschwinden möchte (Ex 3,5f). Niemand kann Gott sehen (Ex 33,20; Joh 1,18; 1Joh 4,12; 1Tim 6,16). Die Strenge, die in dieser Betonung liegt, resultiert aus der Konsequenz, in der die Nichtgegenständlichkeit Gottes von uns zu denken ist. Es sind die unablässigen Vergegenständlichungen, durch die der Mensch alles (und eben auch sich selbst) in seine Verfügung zu bringen versucht. Aber die Nichtgegenständlichkeit Gottes bringt diesen gegenstandsfixierten Menschen zum Verschwinden, weshalb es unter irdischen Bedingungen nicht geraten sein kann, Gott sehen zu wollen.

Weil wir um Gott selbst niemals umfassend wissen können, werden wir an dieser Stelle auf die negative Theologie verwiesen, die immer auch ein essenzielles Element unserer Theologie bleiben sollte.1 Positiv gewendet ist Gott eben Geist, der nicht gesehen werden kann und dennoch zu unserer Wirklichkeit gehört. Ein bildloses Bild, in dem die Beziehung Gottes zu uns angezeigt wird und sich eindrücklich macht. Es geht nicht um eine Information, die uns zur Kenntnis gebracht wird, damit wir dann überlegen, was wir mit ihr anfangen sollen, sondern um eine Botschaft, durch die sich eine grundlegend veränderte Wirklichkeit anzeigt. Es ist eine Botschaft, mit der wir ganz und gar in eine neue Situation versetzt werden. Es ist die Botschaft an die von den haushoch überlegenen Philistern bedrängten Israeliten, dass Goliat von David besiegt wurde (1Sam 17). Natürlich ist das auch eine Information, aber sie ist von so großer Tragweite, dass sie sofort alles ändert. Es ist die Botschaft, dass die Bedrohung entmachtet ist, auch wenn das Heer der Philister noch nicht abgezogen ist. Hoffnungslosigkeit kehrt sich in Verheißung, Bedrängnis in Ermutigung, Resignation in Motivation, Angst in Hoffnung. Die Information, dass Christus auferweckt ist, kann nur verstanden werden, wenn sie als die Botschaft gehört wird, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, auch wenn er uns immer noch bedrohen mag. Und seine Entmachtung ändert alles. Das können wir uns nicht selbst sagen. Es ist der Heilige Geist, der uns dies immer wieder neu sagen muss, weil es selbst unter den Jüngerinnen und Jüngern schon damals bis heute immer welche gibt, die es nicht glauben können und zweifeln. Diese Botschaft ist so unglaublich, dass sie nur zu glauben ist. Wir bedürfen des Geistes, der unsrer Schwachheit aufhilft. Er ist die Kraft, durch die bei uns etwas grundlegend anders wird. Er ist Gott.

4. Vater, Sohn und Heiliger Geist

Dem Verdacht, dass Gott nichts weiter als eine Wunschprojektion des Menschen ist, kann nur dann entgegengetreten werden, wenn sein Inerscheinungtreten nicht als eine dem Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeit ist. Gegen die Gnosis aller Zeiten hat schon die Alte Kirche pointiert hervorgehoben: Gott wird nur durch Gott erkannt. Das klingt sehr schroff und bleibt auch die zentrale Verlegenheit sowohl der Kirche als auch der Theologie, die sie immer wieder gern mit möglichst evidenten Überzeugungs­stra­tegien zu umgehen versuchen. Aber hier steht der Vorrang des Gottvertrauens vor dem Selbstvertrauen auf dem Spiel, ohne den wir uns eingestehen müssten, dass nicht über das hinauszukommen ist, was wir uns selbst sagen können. Die Offenbarung Gottes kann allein dann Bedeutung beanspruchen, wenn sie tatsächlich eine Offenbarung Gottes ist. Es war kein Geringerer als Karl Barth, der die Bitte um den Heiligen Geist zu dem entscheidenden Nerv seiner Theologie gemacht. Er spricht von dem Seufzer „Veni creator spiritus“ – „Komm Schöpfer Geist“, und dann heißt es: „Sie sind in ‚meine Theologie‘ eingeführt, wenn Sie diesen Seufzer gehört haben.“2

Ist erst einmal die Alleinzuständigkeit Gottes für seine Offenbarung erkannt, dann wird damit statuiert, dass Gott stets selbst der Ursprung seiner Offenbarung ist, ebenso wie er der Inhalt ihres Geschehens ist und schließlich auch drittens ihr Offenbarsein. In der Bibel steht für die Offenbarung besonders das Wort Gottes. Das Wort Gottes „ergeht“, es „geschieht“, wie es im Alten Testament immer wieder heißt. Es offeriert keine Information, sondern bringt eine Botschaft, mit der sich die jeweilige Situation unversehens grundlegend verändert. Gott ergreift die Initiative, gibt unserer Wirklichkeit die sie ausmachende Bestimmung und sorgt auch dafür, dass wir verstehen und uns davon ergreifen lassen. Gott ist es, der da spricht; er stellt uns mit seiner Botschaft auf eine neue Lebensgrundlage und vergewissert uns schließlich diesen Ermutigungshorizont im Glauben. Gott ist Subjekt und Prädikat seiner Selbsterschließung, sowie auch deren Aktualität. Indem er der Ursprung des Geschehens ist, ist Gott der Vater; indem die Selbsterschließung uns etwas zu sehen gibt – Paulus etwa spricht von der Kenosis, der Entäußerung Gottes –, ist er der Sohn; und indem uns schließlich dies Geschehen zu einer unser Leben verändernden Gewissheit wird, aus der wir leben können, ist er der Heilige Geist. Und daran ändert sich auch nichts, wenn wir in Gott auch unsere Mutter bekennen. In der Sprache des Kirchenjahres kann auch gesagt werden: Es geht um Ostern, Karfreitag und Pfingsten – um die Auferweckung, den Weg ans Kreuz und den Geist, der uns zum Glauben auferweckt.

Es zeigt sich, dass das trinitarische Gottesverständnis vor allem als eine Vergewisserung dafür verstanden werden kann, dass die Selbsterschließung Gottes konsequent als die freie Aktion Gottes zu verstehen ist. Sie begibt sich nicht in eine Abhängigkeit von der Kirche, auch wenn die Kirche gewiss als ihr besonderer – wenn auch nicht ausschließlicher – Ereignishorizont anzusehen ist. Und auch das sollte deutlich geworden sein: Wenn in der Kirche der Heilige Geist zu kurz kommt, verliert sie ihre Berufung und ihre Sendung, weil alle Rede von Gott nur dann bedeutsam werden kann, wenn ihr der verheißene Geist zur Seite steht. Wir mögen die Bedeutsamkeit Gottes redlich bezeugen und eindrucksvoll von ihm reden können, aber es ist wie gesagt nicht an uns, jemanden von Gott überzeugen zu können. Das müssen und können wir aber auch in all unserem Bemühen ihm überlassen, der mit seinem Heiligen Geist für uns eintritt. Das sind die Verheißung und der Trost von Pfingsten, die gewiss einen hohen Feiertag verdienen.

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1 Das Positive der negativen Theologie besteht darin, dass sie uns daran hindert, mehr über Gott zu sagen als es uns von Gott ermöglicht wird. Sie erinnert die Theologie in ihrem Drang auf markierbare Positionen daran, sich auf das zu bescheiden, was uns in seiner Selbsterschließung geoffenbart wird.

2 Karl Barth, Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, in: Ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze (Karl Barth Gesamtausgabe), Zürich 1990, 65–97, 97.


Michael Weinrich