Ellich & Tüllich - Vor der Wochenzeitung
Hast du das hier gelesen? / Was? / Na, die Schlagzeile Tod auf Bewährung. / Wie geht denn das? / Irgend so ein Dissident in China. Den haben sie als angeblichen Spion verhaftet und nun zum Tod verurteilt. Aber er kann sich bewähren, und dann sitzt er nur lebenslang … / Nur? Also, Ellich! Da hätte ich wohl eher keine Lust auf Bewährung.
Tüllich. Ich finde schon die Formulierung schräg. Klingt wie vom lieben Gott. Ist theologisch anregend. Entlarvend. / Wie? Und wozu? / Na, man könnte einerseits ja auch sagen, dass Leben immer Tod auf Bewährung ist. Gegeben, damit wir uns in ihm bewähren, aber immer unter dem Damoklesschwert des Todes. / Du meinst, ob Spion oder nicht, Chinese oder ich? / Tüllich. Kaum geboren steht uns der Tod stets vor der Tür. / Und andererseits? / Wie? / Auf einerseits folgt andererseits. Oder nicht? / Doch, ja. Andererseits zeigt die Bibel, wie es schief geht, wenn der Mensch Herr über Leben und Tod sein will. Dann tötet er seinen Bruder. / Weil nur Gott diese Rolle gebührt? / Tüllich. Darum ist mir diese Schlagzeile ja auch ins Auge gestochen. Wer die Todesstrafe verhängt, masst sich an, der liebe Gott zu sein. / Eher der böse. / Ja, auch der. Gott ist beides und dennoch gerecht. Anders als der Mensch, wenn er beides ist. / Da sieht man mal wieder, wie man selbst bei der Lektüre der Wochenzeitung einen frommen Schub haben kann. / Tüllich.