Plätze an der Sonne
»Wir glauben einfach nicht daran, dass ein Volk das erste und stärkste sein müsste auf Unkosten aller übrigen. Wir glauben nicht daran und wollen nicht daran glauben, dass dem Wohl der Völker damit gedient sei, dass man ihnen immer wieder vorsagt: die Anderen dort drüben sind eure Feinde! Es gibt genug Plätze an der Sonne, die Alle genießen könnten, wenn Alle ihrer Selbstsucht und ihrem Hochmut einmal etwas Einhalt gebieten würden, wenn Alle sich als Brüder, statt als Konkurrenten und Gegner fühlen und benehmen würden. Wir können in diesem ganzen Machtkampf nur einen furchtbaren Wahnsinn erblicken, und darum können wir weder der einen noch der anderen Partei einfach den Sieg wünschen, denn wenn jetzt eine der beiden Parteien siegen sollte, dann wird dadurch die Selbstsucht und der Hochmut, die an allem Unheil schuld sind, nicht gebrochen, sondern erst recht gestärkt werden. Auf Seiten der Sieger wird dann der Übermut und auf Seiten der Besiegten die trotzige Rachsucht Platz greifen« (Karl Barth, Predigt zu Jes 30,15, in: Predigten 1914, GA I.5, 448f).