Psalm 139
„Psalm 139 ist das Zeugnis eines Menschen, der vor dem Richter aller Welt steht. Er weiß sich bis in den Grund seiner Seele durchschaut, kann nicht fliehen und ist vom Augenblick seiner Geburt an von Gottes Blicken begleitet. Ein hohes Wissen um die Allgegenwart Gottes tritt in dem doxologischen (rühmenden) Bekenntnis hervor. Doch bergen die Bekenntnisse im Grunde auch innige Vertrauenserklärungen. Der Verleumdete weiß um sein Recht, das bei Gott aufgehoben ist. Er vertraut sich dem Gott an, der ihm hilft. Darum durchpulsen Dank und Vertrauen die teilweise unerhört scharfen Erkenntnisse über das Richtamt Gottes.“ (H.J. Kraus)
Der größte Teil der Bereimung von Psalm 139 stammt von Matthias Jorissen und gibt den Psalm angemessen wieder. Die Melodie gehört zu den bekannteren Psalmmelodien; auch Psalm 30 und Psalm 76 werden nach ihr gesungen. Dieser nachdenkliche Psalm kann im Gottesdienst immer dann Verwendung finden, wenn das Geheimnis der gnädigen Gegenwart Gottes bei uns zum Thema werden soll.
1. Du, HERR, mein Gott, erforschest mich, / du kennst mich ganz, was trüget dich? / Ich sitz und stehe auf vor dir, / du schaust bis auf den Grund in mir. / Eh die Gedanken noch entstehen, / hast du sie schon von fern gesehen.
2. Ich gehe oder leg mich hin, / du, HERR, bist um mich, wo ich bin, / du missest meine Wege ab, / du siehst es, was ich bin und hab, / hast meine Worte schon vernommen, / bevor sie auf die Zunge kommen.
3. Wohin ich schaue, seh ich dich, / denn rings umher umgibst du mich, / und über mir ist deine Hand. / Wie wunderbar ist dein Verstand! / Ich kann ihn nimmermehr erreichen / und finde nichts, ihm zu vergleichen.
4. Wie könnt ich deinem Geist entfliehn? / Wo deinem Anblick mich entziehn? / Du bist an allen Orten nah. / Führ ich gen Himmel, bist du da, / wollt ich mich in den Abgrund legen, / so trittst du mir auch dort entgegen.
5. Wenn mir die lichte Morgenröt / auch ihre schnellen Flügel böt, / und flog ich gleich dem Wind daher, / ruht ich an dem entfernten Meer, / so würde deine Hand mich führen / und deine Rechte mich regieren.
6. Spräch ich: Mich decke doch gewiss / die Hülle dichter Finsternis, / so wär die Nacht rings um mich Licht, / denn Dunkel schützt vor dir mich nicht. / Nacht ist wie Tag, und Strahlen müssen / dir leuchten aus den Finsternissen.
7. Denn mich hat deine Schöpfermacht / geheimnisvoll hervorgebracht. / Dein Auge sah mich, eh ich war, / als du mich machtest wunderbar / und mich dein bildend Wort: Es werde! / schuf in dem dunklen Schoß der Erde.
8. Ja, HERR, noch ungeboren war / ich deinen Augen offenbar. / Mein Lebensweg und jeder Tag, / der noch in ferner Zukunft lag, / war längst schon in dein Buch geschrieben, / und nichts ist dir verhüllt geblieben.
9. Ich halte mich von allen fern, / die dich verleugnen, ihren HERRN. / Du, Gott, du bist der Menschen Freund, / wer dich nicht ehrt, der wird mein Feind. / Wie könnt ich lieben, die dich hassen, / die Frevler, die dich, HERR, verlassen?
10. Erforsch, ergründe meinen Sinn, / prüf und erkenne, was ich bin, / und was bewegt des Herzens Grund, / was du nur weißt, HERR, mach’s mir kund. / Sieh, ob ich geh auf argem Stege / und leite mich auf ewgem Wege.
Melodie: Genf 1551 / Text: Str. 1 bis 8 nach Matthias Jorissen 1793, Str. 10 nach Petrus Georg Bartels, 1832-1907
Psalm der Woche, Alfred Rauhaus / Audio: Dick Sanderman