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''Der Funke Freiheit - Calvin und Servet''
Predigt zu Apg 5, 17-33
Kreisrund mit schwarzen Rändern. In der Mitte ein Nichts. Ein häßliches Brandloch verunziert den Mantel. Eigentlich würden wir ihn gerne aufheben in diesem Jubiläumsjahr. Calvins Mantel hat ein Brandloch. Die Zeit hat es nicht stopfen können. Und wie es so ist mit Brandlöchern: Man muß immer hinsehen. Der Rest des Mantels ist unbeschädigt, aber dieses Loch…
Kreisrund, mit schwarzen Rändern. In der Mitte ein Nichts. Wie ist das nur passiert?
Das Brandloch in der Biographie Johannes Calvins ist der Fall Servet. Es sind allerdings nur die Gebildeten unter den Verächtern der reformierten Konfession, die überhaupt wissen, worum es in diesem Fall geht. Die Befürchtung, man werde sich im Calvin-Jahr 2009 vor allem mit den Vorurteilen gegenüber Calvin auseinander zu setzen haben, erweist sich als unbegründet – Vorurteile setzen ja zumindest eine gewisse, wenn auch oberflächliche Kenntnis des zu Verurteilenden voraus. Vor allem Stefan Zweig beschreibt eindrücklich das hässliche Brandloch in Calvins Mantel. In dem 1936 erschienenen Buch „Castellio gegen Calvin“ geht es um den Fall Servet. Zugänglich wohl nicht der breiten Masse, sondern eben den Gebildeten unter den Verächtern.
Ein Funke von einem Scheiterhaufen hat das Loch in den Mantel Calvins gebrannt. Verbrannt und vernichtet werden sollten auf diesem Scheiterhaufen die Ideen Michel Servets.
Der Spanier Servet war ein Feuerkopf, ein brennender Geist, ein vielfältig begabter Heißsporn. Er studierte Jura, Theologie, Medizin, Geographie und Astrologie und brachte auf allen diesen Gebieten Erstaunliches hervor. Sein Leben lang blieb er unruhig und getrieben, mit der Neigung zu Selbstüberschätzung und Rechthaberei. Kaum 20 Jahre alt, stellte er die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes grundsätzlich in Frage. Seiner Meinung nach ließ sie sich biblisch nicht begründen. Auch die Praxis der Kindertaufe kritisierte er.
Auf der Suche nach einem theologischen Gesprächspartner begann er einen Briefwechsel mit Calvin. Aus der theologischen Diskussion wurde bald ein erbitterter Streit.
Servet kämpfte in der Manier eines Don Quichotte gegen Windmühlenflügel. Er stellte dem theologischen Hauptwerk Calvins, der Institutio, eine Restitutio gegenüber. Das heißt „Wiederherstellung“ des christlichen Glaubens. Abschnitte aus dem Briefwechsel mit Calvin fanden später im Prozeß gegen Servet als Beweismittel Verwendung. Calvin selbst übergab sie den untersuchenden Behörden zur Verwendung. Am 27. Oktober 1553 wurde Michel Servet auf dem Hügel von Champel als Ketzer verbrannt.
Es gab und gibt viele Versuche, das hässliche Brandloch im Mantel Calvins zu stopfen. Aber die Fäden, die zur Verfügung sehen, sind dünn.
Sicher ist der Prozeß gegen Servet im Rahmen der seinerzeit gültigen Rechtsordnung abgelaufen – allerdings im Zeitalter der Inquisition. Es waren die staatlichen Behörden und nicht Calvin persönlich, die Servet zum Tode durch langsames Verbrennen verurteilt haben. Calvin soll sich sogar für eine mildere Todesart ausgesprochen haben. Aber Todesstrafe bleibt Todesstrafe. Während in Genf nur ein Ketzer verbrannt worden ist, starben zur gleichen Zeit in Frankreich Tausende Protestanten den Feuertod. Aber wer will tatsächlich die Scheiterhaufen gegeneinander aufrechnen? Dünne Fäden. Flickschusterei.
Das Brandloch bleibt. Wie ein Brennglas das Licht so bündeln kann, daß ein Brandloch entsteht, so bündelt der Fall Servet ein grundsätzliches Problem. Niemand hat das genauer erfasst als Stefan Zweig. Er ist für seine Darstellung Calvins oft kritisiert worden. Die Parallelen zwischen dem Genf Calvins, wie Stefan Zweig es beschreibt, und dem erstarkenden Nationalsozialismus in Deutschland sind überdeutlich. Zweigs Buch durfte 1936 nicht mehr in Deutschland erscheinen. Seine Werke waren 1933 auf dem Scheiterhaufen auf dem Opernplatz in Berlin verbrannt worden. Und wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.
Nichts anderes hat Stefan Zweig deutlich machen wollen. Wie in einem Brennglas bündelt er im Konflikt zwischen Calvin und Servet eine immer wiederkehrende geschichtliche, eine menschliche Erfahrung. „Es ist immer dasselbe. Das ist trostlos und tröstlich zugleich.“ schrieb Thomas Mann nach der Lektüre an Stefan Zweig.
Es ist immer dasselbe. Woher kommen die Brandlöcher in der Geschichte, zu denen auch das im Mantel Calvins gehört? Es ist, als blickten Menschen immer wieder und immer zu spät auf diese Brandlöcher. Schwarze Löcher sind es, in der Mitte ein Nichts, das sich allen Erklärungen zu entziehen scheint.
Der Fall Servet zeigt, worum es geht. Er erzählt von der Freiheit und der Angst vor ihr. Die Ideen Servets waren keine notwendigen, aber immerhin möglichen Folgen der neuen Gedankenfreiheit, die sich in der Reformation durchgesetzt hatten.
Ein Zwanzigjähriger, der die Lehre von der Dreieinigkeit durchdenkt, sie sogar in Frage stellt, ist heute mit etwas Glück durchaus an einer theologischen Fakultät zu finden. Und er muß nicht um sein Leben fürchten. Über die Kindertaufe kann man unterschiedlicher Meinung sein. Der berühmte Theologe Karl Barth ist wegen seiner Ausführungen gegen die Kindertaufe jedenfalls nicht in Lebensgefahr geraten.
Die Freiheit der Gedanken und Überzeugungen ist ein Funke. Wie ein Lauffeuer haben sich die Ideen der Reformation im Europa des 16. Jahrhunderts verbreitet. Aber immer wieder war da auch die Angst, die uns als Protestanten seitdem zu begleiten scheint: Wenn der Funke überspringt, wenn der Geist entflammt – was bleibt dann von dem übrig, was wir bisher als richtig und als wahr erkannt zu haben glauben? Gibt es eine Grenze dieser Freiheit? Muß das Feuer der Gedanken, das in einem Kopf lodert, nicht doch eingedämmt werden?
Was entsteht dort, wo das Feuer eines Geistes erstickt wird? Ein Brandloch, kreisrund mit schwarzen Rändern, in der Mitte ein Nichts.
So erschreckend es sein mag: Die Freiheit der Gedanken und Überzeugungen ist tatsächlich unbegrenzt. Immer wieder fällt dieser Funke in die Geschichte der Menschheit und immer wieder wird er ausgetreten und erstickt.
„Geschichte ist Ebbe und Flut, ewiges Hinauf und Hinab; nie ist ein Recht für alle Zeiten erkämpft und keine Freiheit gesichert gegen die immer anders geformte Gewalt. Gerade wenn von uns Freiheit schon als Gewöhnung und nicht mehr als heiligster Besitz empfunden wird, entwächst aus dem Dunkel der Triebwelt ein geheimnisvoller Wille, sie zu vergewaltigen.“ (Stefan Zweig, Castellio gegen Calvin)
Der Funke Freiheit, im Kopf, im Herzen eines Menschen. Brandgefährlich und beängstigend, eingesperrt, ausgetreten, erstickt, manchmal von anderen, manchmal von uns selbst.
„Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ antworten Petrus und die Apostel denen, die ihnen den Mund verbieten wollen. Gerade aus dem Gefängnis befreit, leuchtet der Funke Freiheit noch ganz hell in ihnen.
So wird es nicht bleiben. Die Geschichte, die mit diesen Menschen beginnt, die Geschichte des Christentums, ist auch eine Geschichte der Funken und der Brandlöcher. Eine Geschichte leuchtender Einsichten und tiefer Gedankenfinsternis, eine Geschichte der Lichtgestalten und der schwarzen Asche der Scheiterhaufen.
„Einen Menschen töten, bedeutet nicht: Eine Idee zu verteidigen, sondern einen Menschen zu töten“ sagt Sebastian Castellio, der Kritiker Calvins im Fall Servet. Das Gewissen gegen die Gewalt. Einen Menschen töten, bedeutet einen Menschen töten. Und es bedeutet in jedem Fall auch: Gott nicht gehorchen. Den Nächsten nicht lieben.
Der Funke Freiheit kommt von Gott. Wir nennen ihn Geist und er soll uns heilig sein. Aber er ist unfassbar und unverfügbar. Und das ist für uns schwer auszuhalten. Überraschend, manchmal blendend hell fällt er in ein Leben, brennt und frisst an allem, was wahr und richtig schien. Verzehrt die Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten. Die Angst, daß nichts übrig bleiben könnte, ist groß. Der Versuch, ihn auszutreten, beinahe ein Reflex. Zurück bleiben Brandlöcher, schwarze Ränder, in der Mitte ein Nichts.
Dort, wo ich lebe, haben wir zu tun mit diesen Brandlöchern. Der Funke Freiheit, über 40 Jahre lang immer wieder gefallen in drückendes Dunkel. Alte Brandlöcher, die Erfahrungen der Bespitzelten, der Unterdrückten und Gefangenen. Der physische Tod der Gegner der herrschenden Idee, des Systems. Die vielen zertretenen Leben. Lebensläufe vernichtet durch das Verbot, einen Beruf zu wählen oder die Meinung frei zu äußern. Schon der leiseste Wunsch nach Individualität und selbstbestimmter Gestaltung des Lebens erbittert bekämpft. Das sind Merkmale in jedem totalitären System. Die schwarzen Ränder und das Nichts.
Alte Brandlöcher und neue. Es ist immer dasselbe. Wir sehen immer wieder, wie der Funken Freiheit schnell ausgetreten wird, bevor er schmerzhaft frisst an dem, was gewohnt war und selbstverständlich und bevor er hell leuchtet in die dunklen Ecken. Es ist einfach, auf diese Brandlöcher zu zeigen, sie zu deuten. Und einfach, die anzuklagen, die sie verursacht haben, ob sie nun Johannes Calvin heißen oder andere Namen haben. Viel schwerer ist es zu sehen: Wo fressen sich die Brandlöcher in mein Leben? Wo wird der Funke Freiheit nicht von anderen, sondern von mir schnell ausgetreten?
Der Funke Freiheit, der Geist, den wir heilig nennen. Was fangen wir an mit ihm? Was tun wir, wenn er in unser Leben fällt? Wenn er anfängt zu brennen und zu fressen, die Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten verzehrt?
Dein Leben soll kein Loch sein, mit schwarzen Rändern, in der Mitte ein Nichts.
Hab keine Angst.
Laß es leuchten.
Amen.
Kathrin Oxen