THEOLOGIE VON A BIS Z
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Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen
Predigt zu 2. Mose 20, 4-6
"Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen" (Ex 20,4-6; Dtn 5,8-10)
Die Anmut des Messias Jesus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft der Heiligen Geistkraft sei mit uns allen!
Liebe Gemeinde,
ob Sie sich schon gewundert haben? Da haben wir einander eben das im Bibelwort mehrfach gehörte Bilderverbot zugesungen: "Du sollst mich nicht in Bildern fassen. / Wem sollt ich denn vergleichbar sein? / Kannst du dir doch genug sein lassen / an meinem Worte klar und rein" (eg 657,3). Und ich, ich lasse mir augenscheinlich nicht genügen am Wort, sondern habe Ihnen ein Bild mitgebracht. Einige von Ihnen werden es kennen, vor wenigen Wochen vielleicht erst davor gestanden haben, als es hier in Köln in der Ausstellung "Ansichten Christi" zu sehen, fast zu übersehen war mit seinen nur 25,8 x 20 cm. Ein kleines, groß(artig)es Bild, um dem Bilderverbot auf die Spur zu kommen. Wechseln wir mit ihm doch ein paar Blicke!
I.
Während auf vielen zeitgenössischen Bildern der Auferstandene als Lichtgestalt aus dem Grab empor fährt und die Wächter in Angst und Schrecken versetzt, ja sie mit der Wucht seines Glanzes geradezu umwerfend blendet, scheint Adam Elsheimers "Die drei Marien am Grabe Christi" (um 1603) auf den ersten Blick ein Auferstehungsbild ohne Auferstandener zu sein:
Im Mittelpunkt die drei Frauen, von denen jede auf ihre eigene Weise mit dem leeren Grab, dem Fingerzeig und der Botschaft des Engels zurecht zu kommen versucht: Links Maria Magdalena, den Blick noch ganz tief ins Grab gesenkt, den linken Arm jedoch weit ausgestreckt, Weg weisend und wegweisend vom Ort des Todes ins Leben, als wolle sie gleichsam die Bewegung des Auferweckten nachvollziehen, sie mit ihrem eigenen Leib wiederholen, während sie mit der Rechten noch ganz bei sich ist und an sich hält. In der Mitte vielleicht Maria Salome – mit geschlossenen Augen und erhobenen Händen. Ob sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte oder sie flehend oder gar dankbar zum Himmel erhebt, wir können da nur vermuten. Und die dritte Maria, sie erscheint ganz abwesend, versunken in Trauer, die Gestalt, den Kopf gebeugt, die Hände ineinander verschränkt, den Blick ins Leere gerichtet – fast als stünde sie noch ganz benommen unter dem Kreuz.
So deutlich wir die Gesichter der drei Frauen sehen, so wenig das des Engels. Nicht auf sein Gesicht, sondern auf seine Hände kommt es an. Sie sprechen: Mit dem rechten Zeigefinger ins leere Grab weisend, stützt sich seine Linke auf der weggerückten Grabplatte ab. Diese liegt – neben dem blutbeschmierten Leichentuch – im Vordergrund des Bildes, ragt aus dem unteren Bildrand heraus, kommt auf die Betrachtenden des Bildes gleichsam zu, geht sie buchstäblich an. Auf der Grabplatte steht Markus 16,1-8, die Erzählung, die hier ins Bild gesetzt ist. "Siehe da, der Ort ...!" (Mk 16,6b). Mit seiner Auferstehungsbotschaft weist der Engel die Frauen aufs leere Grab hin und die Betrachter und Betrachterinnen des Bildes auf den Text der Grabplatte. Der sichtbaren Leerstelle im Grab entspricht die nachlesbare Textstelle in der Bibel.
Das Wort der Bibel steht im Bild. Es ist zu sehen, nicht nur zu hören. Es ist zum Bildwort geworden. Und das Bild ist als Lese- und Hörbild bei uns im Wort – in diesem Fall am Ende des Markusevangeliums. Mehr als diesen Bibeltext hatte der Maler Elsheimer auch nicht, um die Auferstehungsbotschaft ins Bild zu setzen. Das Wort steht wie im Text so im Bild. "Die einzige Sicherung, die der Glaube verträgt, ist das Wort Gottes selbst." Das aber kann gemalt werden.
Wort und Bild müssen kein Gegensatz sein, wenn das Bild das Wort der Schrift zeigt, statt etwas ins Bild zu bringen, wovon die Bibel selbst schweigt. Dieses Bild versucht nichts zu begreifen und vergreift sich darum auch nicht an dem, was in der Bibel Geheimnis bleibt. Es bannt kein Ereignis in eine Momentaufnahme, von dessen Folgen und Wirkungen allein die Bibel erzählt.
Sie haben keine Gestalt Gottes gesehen, so hörten wir in der Lesung, aber sie haben Gottes Stimme gesehen. Gottes Wort macht nicht nur von sich hören, es kann sich auch sehen lassen!
II.
Mit einem Bild dem Bilderverbot auf die Spur kommen! So paradox das klingen mag – damit sind wir aber, liebe Gemeinde, in guter, in allerbester Gesellschaft. Denn das Bilderverbot steht in einem Buch, das selbst voller Bilder von Gott ist, Sprach- und Hörbilder, die die Bibel uns vor Auge malt. Und: das Bilderverbot steht in einem Buch, das vom Menschen als Bild Gottes redet. Wir haben dies eingangs des Gottesdienstes mit Worten aus 1 Mose 5 erinnert und wir haben mit Psalm 8 von diesem Menschen gesungen. Wie kann das zusammengehen? Das Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, der biblische Bilderreichtum im Reden von Gott und die Bestimmung des Menschen, Bild Gottes zu sein?
Ich möchte heute morgen versuchen, das uns aufgegebene Bilderverbot in dieser biblischen Trias zu verstehen. Und ich gehe dabei mit unserer reformierten Tradition davon aus, dass das Bilderverbot nicht nur – wie historisch wohl ursprünglich – sich auf dreidimensionale Götterbilder, auf geschnitzte, gehauene, gegossene Figuren bezieht, sondern auch und gerade auf unsere Sprach- und Denkbilder von Gott. Die reformierte Tradition hat das biblische Bilderverbot reicher und weiter gemacht, als es ursprünglich gemeint war und es als selbständiges Gebot aus dem Schatten des Fremdgötterverbotes herausgeholt. Es ist ihr zu der Grenze und dem Kriterium ihres Redens von Gott geworden.
Das Bilderverbot steht für ein Reden von Gott ein, das die Freiheit Gottes und des Menschen wahren, das Gott nicht begreifen und damit sich auch am Menschen nicht vergreifen will, das sich Gottes nicht bemächtigen und darum auch über die Mitmenschen nicht verfügen möchte, das sich weder seinen Gott noch seinen Nächsten nach eigenen Entwürfen zurechtmachen mag. Ein Reden von Gott, das sich von Gott selbst sagen lassen will, wer Gott und wer der Mensch ist. "Das Bilderverbot mutet uns zu, Gott als den fremden, unseren Erwartungen an das, was ein Gott ist und zu sein hat, widersprechenden Gott auszuhalten." [ix] Und es mutet uns zu, unsere Mitmenschen nicht zu enteignen, sondern sie in ihrer Andersartigkeit zu achten. Das Bilderverbot ist Gottes Widerspruch gegen unsere selbst gezimmerten Bilder von Gott, in denen wir doch immer nur ein Stück unserer Welt oder gar uns selbst mit Gott und den anderen verwechseln. Gott ist unvergleichlich anders.
"Nicht wirst du dir ein Bild machen ...!" Auf dreierlei Wiese lässt sich dieser Satz, je nach Betonung, lesen:
III.
Die erste Lesart: "Nicht wirst du dir ein Bild machen ...!" Wir Menschen sollen uns kein Bild von Gott machen, weil wir Gott gar nicht selbst von Angesicht zu Angesicht gesehen haben, weil wir nicht wissen, welche Gestalt Gott hat, weil wir nur Gottes Stimme kennen. Es gibt von Gott nichts anderes zu sehen als zu hören. Wollen wir uns dennoch ein Bild von Gott machen, können wir nur das ins Bild setzen, was uns bekannt ist, nämlich Geschöpfliches. Würden wir aber Gott ins Bild eines Geschöpfes setzen, käme es zwangsläufig zur Verwechslung von Schöpferin und Geschöpf. Wir würden das Geschöpf vergötzen und den Schöpfer verhöhnen. Bei jedem Tanz ums goldene Kalb geschieht das, und wo immer wir vor dem in die Knie gehen, was wir selbst gemacht und erreicht haben.
Schwerer aber wiegt noch ein anderer Grund: Wir Menschen sollen uns kein Bild von Gott machen, weil sich Gott selbst längst ein Bild von sich gemacht hat, nämlich in der Erschaffung des Menschen als Bild Gottes. Unsere selbstgemachten Gottesbilder verfehlen nicht nur Gott, sie missachten auch unsere Mitmenschen. Gottesbilderproduktion ist Menschenverachtung. Wo wir meinen, es nötig zu haben, uns ein eigenes Bild von Gott zu machen, übersehen und verkennen wir nämlich, dass uns tagtäglich die Bilder Gottes begegnen, die Gott selbst gemacht hat.
Aber, so höre ich jemanden einwenden, begegnet mir denn wirklich im Drogendealer und den von ihm abhängigen Junkies, in der gnadenlos profitorientierten, geizgeilen Konzernleitung und den von ihr entlassenen Arbeitenden, im Kinderschänder und seinen gequälten Opfern, in den Gewaltregimen und den vor ihnen Flüchtenden, in dem Krankenpfleger, der den Todesengel spielt, und der Chefärztin, die einen fatalen Behandlungsfehler vertuscht, in den Kindersoldaten und der Ladendiebin und nicht zuletzt in mir selbst mit all' meinen Fehlern und Abgründen, in meiner ganzen Armseligkeit – begegnet mir überall da das Bild Gottes? So kann Gott doch nicht sein!
In der Tat, so ist Gott nicht. Aber dass die menschlichen Gottesbilder, fremd- oder selbstverschuldet, verzeichnet und verzerrt, verletzt und entstellt sind – bis zur Unkenntlichkeit, das heißt nicht, dass irgendein Mensch in den Augen Gottes aufgehört hat, Bild Gottes und damit hochgeschätzt und wert geachtet zu sein. Aber uns sind die Augen gehalten. Eben darum wurde Gott selbst Mensch, damit wir wieder mit Augen sehen und mit Händen greifen können, wer der Mensch ist, den Gott im Bild Gottes geschaffen hat. Darum nennt das Neue Testament den auferweckten Gekreuzigten die Ikone Gottes. In Jesus von Nazareth hat sich Gott auf alle Verzerrungen und Entstellungen der Bilder Gottes eingelassen, hat sie am eigenen Leib erlitten und sich ihnen bis zum Tod ausgesetzt, um in der Auferweckung des Gekreuzigten jenen Menschen auferstehen zu lassen, aus dessen Antlitz unverhüllt der Glanz Gottes erstrahlt.
Hier können wir erkennen, wer Gott ist und wie Gott sich wahres Menschsein gedacht hat. Was der eine von sich sagt, kann für alle Menschen Wirklichkeit sein: "Wer mich sieht, sieht den Vater." Wir alle können als Bilder Gottes Gott in dieser Welt verkörpern und Ihr/ihr so Gewicht geben. Gott kennt unser großes Bedürfnis nach Sinn und Sinnlichkeit, nach Sichtbarkeit, nach Berührung. Wir wollen Gott sehen, spüren, riechen und schmecken können. Die Unsichtbarkeit eines Gottes im Himmel macht uns zu schaffen. "Wo ist denn euer Gott?" Gott kommt diesem Bedürfnis entgegen – in Jesus und in jedem unserer Mitmenschen.
Gott geht in Ihren Bildern nicht auf, Gott ist immer noch mehr und anders, als jedes Bild, das Sie und von sich gibt, aber Gott bindet sich an Seine Bilder, lässt sich in ihnen finden, berühren, betreffen, angehen ...
Die Gottesbildlichkeit des Menschen steht nicht im Bilderverbot, weil Gott und nicht der Mensch den Menschen zu Gottes Bild geschaffen hat.
IV.
Die zweite Lesart: "Nicht wirst du dir ein Bild machen ...!" Bilder Gottes, die Gott gemacht hat, können menschlicherseits nicht hergestellt werden, sie stellen sich vielmehr ein in zwischenmenschlichen Begegnungen voller Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Wo dagegen Menschen zu Machern von Gottesbildern werden, stürzen sie die Welt ins Chaos, machen die Schöpfung rückgängig. Wer sich seinen eigenen Gott macht – so können wir es in Jes 44,9 lesen –, ist selbst tohu, hat Teil an jenem tohuwabohu der Welt (1Mose 1,2), bevor Gottes schöpferisches Wort sie als Lebensraum einrichtete.
Und nicht nur die Schöpfung wird rückgängig gemacht, sondern wo Menschen ihre eigenen Gottesbilder herstellen, kehren sie zurück ins Haus der Sklavenarbeit. Warum? Die selbstgemachten Götter werden nicht l'art pour l'art fabriziert, entstehen nicht just for fun. Sondern das haben Idole so an sich, dass wir sie uns zum Vorbild nehmen, ihnen nacheifern und sie möglichst einholen möchte. Indem wir uns ihnen andienen, gleichen wir uns ihnen immer mehr an. Genau das geschieht, so haben wir es mit Ps 115 gelesen, mit denen, die sich ihre eigenen Gottesbilder machen. Ihr Tun fällt auf sie selbst zurück, über Generationen hinweg, wie das Zehnwort es besagt. Das selbstgemachte Gottesbild wirkt auf seine Produzentinnen zurück, bemächtigt sich ihrer und nimmt sie gefangen. Die Macher bedienen ihre leblosen Produkte und werden ihnen dabei immer ähnlicher: sie haben einen Mund, aber verstummen, wenn es darum geht, lauthals für Gerechtigkeit einzutreten; sie haben Augen, aber sind blind für die Not ihrer Mitmenschen; sie haben Ohren, aber sind schwerhörig, wenn sie jemandem ihr Ohr leihen sollen; haben Nasen, doch können ihre Mitmenschen nicht mehr riechen; ihre Hände haben aufgehört behutsam und zupackend zu sein, ihre Füße sind lahm geworden, aus ihrer Kehle kommt nur noch unverständiges, unartikuliertes Röcheln.
Das ist der biblische Realismus: dass die Bilderproduktion Bilderdienst im Sinn hat. Dieser vermeintliche Gottesdienst ist SklavInnenarbeit. Die Bibel entlarvt, dass Menschen vor den selbstgemachten Idolen auf die Knie gehen und sie anbeten und dabei ihre eigene, gottgegebene Quicklebendigkeit verlieren. Sie versklaven sich an die Götter 'Marke Eigenbau' und verspielen so die Freiheit, die ihnen Gott doch gerade mit der Befreiung aus dem Haus der Sklavenarbeit geschenkt hat. Liegt es da nicht nahe, dass gerade im Zusammenhang des Bilderverbots von der Eifersucht Gottes gesprochen wird?! Gott wird schrecklich eifersüchtig, wo Menschen die Freiheit aufgeben, die Er sich so viel hat kosten lassen. Es ist schier unerträglich für Gott, dass sich die, die Sie liebt, in die Abhängigkeit selbstgemachter Götter begeben und dabei ihre Mitmenschen und Mitgeschöpfe in Mitleidenschaft ziehen. Wo Gott nicht mehr Herr sein darf, gewinnt die Herrschaft von Menschen über Menschen erneut an Boden und aus der Bewahrung der Schöpfung wird ihre Ausbeutung. Wer sich Gott nach eigenem Bild gestaltet, wird auch Menschen nach der eigenen Pfeife tanzen lassen. "Wer Gottesbilder macht, wird eines Tages auch Menschenbilder machen" (Dieter Schellong). Können von Menschen gemachte Menschen Bilder Gottes sein? Ich möchte das nur fragen.
"'Was tun Sie', wurde Herr K. gefragt, 'wenn Sie einen Menschen lieben?' 'Ich mache einen Entwurf von ihm' sagte Herr K., 'und sorge dafür, daß er ihm ähnlich wird.' 'Wer? Der Entwurf?' 'Nein', sagte Herr K., 'der Mensch.'" [x]
Das ist Liebe in Zeiten der Selbstvergötzung und damit Verrat an der Liebe. Um eben dies geht es auch in der dritten Lesart des Bilderverbots:
V.
"Nicht wirst du dir ein Bild machen ...!" Wenn jeder Mensch, wenn alles, was Menschenantlitz trägt, Bild Gottes ist, gibt es so viele Bilder Gottes wie es Menschen gibt. Darum kann weder ein Bild allein noch ein einseitiges Bild Gott gerecht werden. Darum spreche ich auch in diesem Gottesdienst von Gott in männlichen und weiblichen Nomen und Pronomen. Einseitig männliches Reden von Gott vergöttert das Männliche und fällt unter das Bilderverbot. Gott ist weder Mann noch Frau; wenn wir darum von Gott persönlich sprechen wollen, als einem Gegenüber, das ansprechbar und beanspruchbar ist, dann darf das nicht in ausschließlich männlichen oder weiblichen, sondern kann nur im Wechsel beider Formen geschehen.
Wo wir Gott nurmehr in einem Bild sehen, können wir uns einbilden, Gott verstanden, Gott begriffen und im Griff zu haben. Und wir stehen in der Gefahr, Gott zu instrumentalisieren, Ihn vor den Karren unserer eigenen Zwecke zu spannen. Einseitige Gottesbilder sind missbrauchsdienlich.
Wo wir meinen, Gott zu kennen, sind wir sehr bald mit Ihr fertig. Das ist mit Gott nicht anders als mit Menschen. Bannen wir unseren Blick auf Gott in ein Bild, kann dieser Blick schnell tödlich sein, denn er beraubt Gott Seiner unfassbaren, unbändigen Lebendigkeit, die aus jedem Rahmen fällt. Wer sich von Gott ein Bild macht, für den oder die hört Gott auf, unbegreiflich und überraschend zu sein, geheimnisvoll und wunderbar, uns staunen zu machen, aber auch zweifeln, loben und klagen. Wie monoton würde die Beziehung zwischen Gott und den Menschen, wo Gott nur König oder nur Hebamme, nur Weberin oder nur Töpfer, nur in den Wehen liegende Frau oder nur Kriegsmann, nur Bärin oder nur Geier, nur Fels in der Brandung oder nur Fliehburg ... wäre. All' diese Gottesbilder und noch viel mehr begegnen in der Bibel. Fänden wir für Gott nur ein Bild, würde Er so unbeweglich und leblos werden wie unsere selbstgemachten Gottesbilder. Und wir würden es verlernen, Sie immer wieder mit neuen Augen zu sehen, wie am ersten Tag.
Vielleicht kennen Sie diese Erfahrung auch: Von Menschen, die wir lieben, können wir gar nicht genug Bilder haben. Gewiss, da gibt es das eine oder andere Lieblingsbild, an dem wir besonders hängen. Doch auch das kann zu bestimmten Zeiten in den Hintergrund treten, vielleicht weil wir merken, dass es nicht mehr passt, dass wir in der Gefahr sind, die Andere auf dieses Bild festzulegen. Aber selbst wenn wir eine ganze Bildergalerie besäßen, die nächste Begegnung könnte sie alle wieder über den Haufen werfen, wenn wir uns einlassen auf die unberechenbare, uneingebildete Lebendigkeit des Anderen. Dann machen wir die Erfahrung, dass dieser Mensch in Wirklichkeit viel lebendiger ist als jedes Bild, das ihn uns zeigt. Von dem Menschen, den wir am meisten lieben, genügt uns ein Bild am allerwenigsten; und wir ertragen es noch weniger, wenn andere ihn oder sie auf ein Bild festlegen. Um wieviel mehr gilt dies für den lebendigen, beziehungsreichen Gott!
Die Sprache der Liebe legt die Geliebten nicht auf ein Bild fest, sondern besingt sie in tausend Bildern. Das Bilderverbot spricht die Sprache der Liebe. Nicht einfach Bildlosigkeit, sondern Vielfalt der Bilder erfüllt das Bilderverbot. Bilder sind – wie Namen – Wege [xi] , Gott zu verstehen, mit Gott ins Gespräch zu kommen, Lebenserfahrungen als Gotteserfahrungen zu machen. Wir können Gott nicht in Bildern begreifen, aber wir können uns von den Bildern, die Gott uns von sich gibt, ergreifen und mitnehmen lassen. Die Vielfalt der Bilder meint keine Beliebigkeit. Ihr Maßstab bleibt das Wort, jenes Wort zuerst, das Fleisch geworden ist, die Ikone Gottes, und dann die Worte, die von ihm erzählen, es bezeugen. Die Worte des Buches, in dem auch das Bilderverbot steht. Im Hören auf die Bildkunde, die Gott uns von sich gibt, können wir aufhören, Gott durch eigenmächtiges Bebildern begreifbar zu machen. Gott lässt von sich hören, darum gibt es viel zu sehen und zu staunen und mehr noch zu hoffen. Nämlich darauf, dass wir einst Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Bis es soweit ist, begegnen wir der Spur Gottes in jedem Menschen. Dessen Antlitz be-deutet uns: "Gib' Acht auf mich!"
Amen.
Magdalene L. Frettlöh