Provokation

Herausforderung

Absurdes und Nachdenkenswertes aus den sozialen Medien kommentiert von Georg Rieger

Kinderbuchautor

Leider schon wieder er: Friedrich Merz nennt beim CDU-Parteitag in Münster Robert Habeck einen „Kinderbuchautor“. Soweit erstmal richtig. Tatsächlich hat Habeck zusammen mit seiner Frau Andrea Pauch unter anderem fünf Kinderbücher veröffentlicht. Allerdings auch Übersetzungen englischer Lyrik und anspruchsvolle Romane und Theaterstücke.

Gemeint war das natürlich nicht respektvoll. Schlimmer als die Geringschätzung eines Berufsstandes ist, dass diese verkürzte Bezeichnung eine typische aus der rechtsradikalen Szene ist. AfD-Politiker benutzen den „Kinderbuchautor“ teilweise ohne Namensnennung.

Dieses Nachäffen rechter Rhetorik und die damit einhergehende Normalisierung von Respektlosigkeit gefährden den politischen Diskurs und damit die Demokratie. Heino wünscht sich einen deutschen Trump und schwarzbraun ist die Haselnuss. Dsa darf doch alles nicht wahr sein!
Georg Rieger
Allen eine Stimme

Eigentlich war eine Talkshow bei Julian Reichelts „Nius“ geplant. Jetzt verhandelt Jan Fleischhauer mit dem ZDF. Der öffentlich-rechtliche Sender wird „von der Politik“ gedrängt, auch das rechte Meinungsspektrum zu Wort kommen zu lassen. Der ehemalige Spiegel-Kolumnist hält sich heute für „die Stimme der Vernunft“ und gibt an, der Mehrheit eine Stimme zu geben. 

Beharrlich hält sich die Auffassung, die Presse und die Medien müssten alle Meinungen abbilden. Fleischhauer arbeitet mit Unterstellungen, Verunglimpfungen und trägt ganz offen seinen Hass auf alles Linke und Grüne zur Schau. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat er nicht selten geschmäht. Es hat etwas von Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, was da vor unseren Augen passiert.


Georg Rieger
Unverhältnismäßig

Mit Maschinengewehr im Anschlag werden Mitglieder der Letzten Generation in ihren Wohnungen überfallen, die Wohnungen verwüstet. Anlass ist die Blockade des Frankfurter Flughafens. Vorwand die Suche nach Beweisen und die Abnahme von DNA-Proben. Oder ist der Grund doch Einschüchterung?

Denn die Beweise gibt es bereits und die Vergehen werden von den Betreffenden gar nicht bestritten. Und am Flughafen waten bereits alle verhaftet. Weder muss also ihre Beteiligung durch DNA-Spuren bewiesen werden noch gab es nicht vorher bereits ausreichend Gelegenheit zu dieser Beweissicherung.

Ziviler Ungehorsam ist eine Form des Widerstands, die bewusst den Rechtsbruch in Kauf nimmt. Die letzte Generation hat noch nie Gewalt gegen Personen angewandt, sondern trainiert eben genau die Gewaltlosigkeit selbst in angespannten Situationen. Die Rechtsbrüche werden nicht bestritten, allerdings ins Verhältnis gesetzt – insbesondere in das gerichtlich festgestellte Versäumnis der Bundesregierung, Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Und genau das scheint die Staatsmacht so zu provozieren, dass sie völlig unverhältnismäßig reagiert.


Georg Rieger, Nürnberg
Blasphemie

Die Abendmahlsszene bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris wurde ganz offensichtlich in vielerlei Hinsicht falsch gedeutet. Aber selbst wenn der Bezug zum letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern stimmen würde: Ist es nicht toll, dass dieser heilige Moment bis heute eine Vorlage zur künstlerischen Verarbeitung ist? Schon das Gemälde von da Vinci ist eine Verfremdung – in gewisser Weise eine Karikatur des echten Abendmahls.

Welche Personen sich zusammengefunden haben, die Szene „blasphemisch“ zu nennen, ist erschreckend und noch mehr die Argumente, die belegen sollen, wie verletzend und zerstörerisch die Darstellung gewesen sei. Das Beste, was es zum Thema „Verletzung religiöser Gefühle“ zu sagen gibt, stammt vom Theologieprofessor Harald Schroeter-Wittke:

„Blasphemien sind geboten, um unsere Fixierungen (unsere Erfahrungen) auf und von Gott zu lösen. Die Kirche begrüßt daher freudig alle Formen von Blasphemie, insbesondere diejenigen, die ihr selber weh tun! Denn die Erfahrungen von Blasphemie sind ein Grund dafür, dass wir etwas lernen, dass wir überhaupt auf die Idee kommen, es könnte anders sein, als wir uns das denken!“

Quelle: Phillip Greifenstein in zeitzeichen, https://zeitzeichen.net/ressort/?ressort=612
Zitat aus „Kann man Gott beleidigen?“ (Herder 2013), hg. von Thomas Laubach


Georg Rieger, Nürnberg
Kinderlos

Die Schauspielerin Jennifer Aniston (55) ist sonst eher unpolitisch in ihren Äußerungen. Allerdings ging sie in den letzten Jahren offen mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch um. Jetzt ist ihr der Kragen geplatzt und sie hat sich mit der voraussichtlichen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris solidarisiert. Diese hatte sich nämlich (schon 2022, aber jetzt natürlich wieder hervorgeholt) von dem Trump-Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance anhören müssen: „Wir werden von einem Haufen kinderloser Katzen-Ladys regiert, die unglücklich über ihr eigenes Leben und die Entscheidungen sind, die sie getroffen haben, und deshalb wollen sie auch den Rest des Landes unglücklich machen.“

Sie können nicht glauben, „dass das von einem potenziellen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten kommt", schreibt Aniston in ihrem Instagram-Account. Aber das Verächtlichmachen von Frauen gehört in den Kreisen der MAGA-Bewegung (Make America Great Again) zum guten Ton. Je gemeiner desto besser!


Georg Rieger Nürnberg
Die Stimme Gottes

Gott mag seine Hand mit ihm Spiel gehabt haben, als Donald Trump bei dem Attentatsversuch nur am Ohr getroffen wurde. Auch wenn das als Feststellung schwer haltbar ist, geht es als Ausdruck der Erleichterung durch. Etwas gewagt ist allerdings die Schlussfolgerung eines Delegierten des republikanischen Parteitags: „In diesem Moment, hat Gott seine Stimme für Trump abgegeben.“

Die religiöse Überhöhung des Geschehens geht aber noch weiter: „Wir sind Zeuge geworden, wie Präsident Trump eine Kugel für uns abbekam“, sagt ein anderer Delegierter und inszeniert Trump als den jesusgleichen stellvertretenden Leidenden. 

Auch sein Kontrahent Joe Biden bemühte Gott mit einer seltsamen Aufgabe: Nur er könne ihn von einer weiteren Kandidatur abhalten, äußerte er trotzig nach dem missglückten TV-Rededuell. Es scheint so, als habe sich Gott dafür nun einige menschliche Helfer engagiert.

(Quelle: Apokalypse & Filterkaffee, Reborn in USA, 18.7.24)


Georg Rieger, Nürnberg
Gotteslästerung

„Aus der Turmspitze der gotischen Kathedrale der Stadt Rouen in Nordfrankreich steigen dunkle Rauchwolken empor. trib.al/mv442T0“ postet die Neue Zürcher Zeitung am 11. Juli. Und ihre Redakteurin Fatina Keilani kommentiert umgehend: „Lieber Gott lass es keine Moslems gewesen sein“ (@KeilaniFatina). 

Nicht einmal für das fehlende Komma war Zeit – die Gelegenheit einfach zu günstig, um einen Verdacht in die Welt zu setzen. Und besonders perfide: als frommes Stoßgebet getarnt.

Der Turm war – auf allen Fotos leicht zu erkennen – eingerüstet. Es waren also Bauarbeiten im Gang. Auch wenn die offizielle Klärung der Ursache noch dauern wird, ist allen klar, wie der Brand entstanden ist. 

Das Feuer war am Abend gelöscht. Der giftige Verdacht steht aber weiter im Netz.


Georg Rieger, Nürnberg
Meisterpredigt

Der Saxophonist André Schnura hatte im Frühsommer seinen Job als Musiklehrer verloren und hatte die Idee, die freie Zeit zu nutzen und die EM-Fanmeilen mehrerer Nationen musikalisch zu unterstützen. Inzwischen ist er der Star außerhalb der Stadien. Dazwischen postet er auch bewegende Texte:

Hallo, ich bin der EM-Typ mit dem Saxophon und möchte meine 5 Minuten Fame nutzen, um euch an etwas Wichtiges zu erinnern.

Noch sind alle Augen auf mich gerichtet, doch das wird nicht immer so bleiben.

Wir alle haben Sorgen, Ängste und Unsicherheiten. Manchmal unterdrücken wir unsere Gefühle aus Scham, fühlen uns minderwertig und glauben, wir müssten etwas leisten, um liebenswert zu sein. Weil wir meinen, nicht gut genug zu sein, versuchen wir, jemand zu sein, der wir nicht sind. Doch in uns allen steckt die Sehnsucht nach Frieden, Geborgenheit und Liebe.

Wir sind einfach alle gleich.

Ich möchte euch daran erinnern, einander zu lieben und zu vergeben. Niemand ist ohne Grund böse. Jeder hat seinen eigenen Rucksack zu tragen. Lasst euer Ego sterben und zeigt Verständnis für eure Mitmenschen.

Meine Uhr sagt, es ist Zeit, dass sich was dreht.

Quelle: andreschnura, Instagram 26.6.24


Georg Rieger RefApp
Binäre Ernährung

„Vegetarisch oder vegan?“ lautet die Frage im Regierungsflugzeug, wenn Robert Habeck mit Wirtschaftsvertreter*innen und Journalist*innen unterwegs ist. Der ARD-Korrespondent Oliver Sallet sieht dadurch die Freiheit „über den Wolken“ gefährdet und erinnert an den vermeintlich fatalen Vorschlag eines „Veggie-Day“ im Wahlkampf 2013.

So ein Flug mag schon mal acht/neun Stunden dauern und zwei Mahlzeiten beinhalten. Zeit genug, um arglosen Mitreisende nicht nur tierische Eiweiße zu verweigern, sondern sie auch ernährungstechnisch „umzudrehen“. Wie gut, dass die aufmerksame Presse diesen Eingriff in die Freiheitsrechte aufgedeckt hat. Einfach mal vegetarisch essen – das geht überhaupt nicht!

Der Fleischkonsum ist nicht nur ungesünder und einseitiger als das meiste vegetarische und sogar vegane Essen. Bis das Fleisch verzehrt wird, haben die verbleibenden Nährstoffe 5-20 mal mehr CO2 verbraucht als Gemüse. 


Georg Rieger, Nürnberg
Wollen oder dürfen?

Laut Christian Lindner wendet der Staat „Milliarden Euro auf, um Menschen zu unterstützen, die nicht arbeiten“. Die Aussage stimmt und ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für billigen Populismus. Im moralischen Sinn falsch wird der Satz nämlich durch das einfache Weglassen des Modalverbs. Um die beabsichtigte Einsparung von Sozialausgaben zu begründen, muss der Satz mit „wollen“ ergänzt werden. In den meisten Fällen wäre aber „dürfen“ richtig, denn einer großen Gruppe der Bürgergeldempfänger*innen, den Asylsuchenden nämlich, wird das Recht zu arbeiten verweigert oder unnötig erschwert.

Nicht nur, dass dieses Arbeitsverbot und die bürokratischen Auflagen viel Geld kosten, sie setzen die Betroffenen auch dem Sozialneid aus – mit allen bekannten Folgen. Dieses Heraushalten aus dem Arbeitsmarkt rührt noch aus einer Zeit, in der man dem Argument „Die nehmen uns die Arbeit weg“ begegnen wollte. Statt den Schritt zu tun, den Experten empfehlen, nämlich alle arbeiten zu lassen, die sich im Land befinden, wird weiter populistische Symbolpolitik – Stichwort Bezahlkarte – betrieben.


Georg Rieger, Nürnberg
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