2000 Jahre Konfessionsgeschichte in einer Stunde

Der zweite Tagungstag in der Johannes a Lasco Bibliothek endete mit einem öffentlichen Vortrag

08. Oktober 2022

Er habe, so erinnerte sich Professor Dr. Kestutis Daugirdas, wissenschaftlicher Vorstand der Johannes a Lasco Bibliothek, einmal mit seinen Tübinger Studenten überlegt, ob es möglich sei, die Geschichte des Christentums in nur einem Semester gerafft darzustellen. Man sei der Überzeugung gewesen, dass das nicht gelingen könne.



Gesprächsrunde nach dem Vortrag: Professor Dr. Kestutis Daugirdas, Dr. Susanne Bei der Wieden, OB Tim Kruithoff und Professor Dr. Michael Maurer

Der Referent des Abends, Professor Dr. Michael Maurer (Jena), indes habe genau dies in seinem öffentlichen Vortrag im Rahmen der Tagung „Konfession und Kunst“ in nur einer Stunde geschafft. Der Kulturhistoriker führte die Besucher in kleinen Kapiteln behutsam durch rund 2000 Jahre Religionsgeschichte – und das unter der spezifischen Betrachtung des Verhältnisses von Wort und Bild.

Ausgangspunkt war dabei das zweite Buch Mose, Kapitel 20, Vers 4: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“ Maurer schilderte, wie dieses Wort seit dem Frühen Christentum, das sich an das biblische Gebot hielt und dementsprechend „bildlos“ war, allmählich uminterpretiert wurde und über das Kultbild in der nachkonstantinischen Zeit dennoch Einzug in die Kirchen hielt – etwa als Majestas Domini, als thronender Christus, in den Apsiden der Kirchen.


Viel Resonanz erfolgte auf die Einladung zum öffentlichen Vortrag mit anschießendem Empfang durch die Stadt Emden

Was dann in der Ostkirche mit den Ikonen als Inkarnation der biblischen Erlösungsbotschaft der kniefälligen Verehrung zukam, das wurde im Westen in den didaktischen Bereich verschoben – in Form von Armenbibeln, der reichen Bemalung von Kirchen mit biblischen Szenen. Dies diente, so Maurer, der Unterweisung jener Menschen, die des Lesens nicht kundig waren und die auf diese Weise dennoch der Heilsbotschaft teilhaftig werden sollten.

Mit den Bilderzerstörungen der Reformation habe sich auch unter den Reformatoren ein Zwiespalt aufgetan. Während zum Beispiel Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, sich für den Bildersturm einsetzte, sprach sich Martin Luther dagegen aus und sorgte 1522 mit seinen sogenannten „Invokavit-Predigten“ dafür, dass die radikalisierenden Tendenzen, die durch den Bildersturm in Wittenberg drohten, eingedämmt wurden.

Entschlossener ging es bei den calvinistischen Reformatoren zu: Zwingli sprach von der Bilderverehrung als von Götzendienst, Calvin machte deutlich, dass man das mosaische Gebot wörtlich nehmen müsse. Aus den unterschiedlichen Einstellungen zur Frage vom Verhältnis zwischen Wort und Bild schälte Maurer im Laufe seines Vortrags dann Unterschiede zwischen dem bilderreichen Katholizismus und der „Wort-Kultur“ des Protestantismus heraus: eine „Kirche für alle“ steht dabei dem Priestertum aller Gläubigen gegenüber; die Erkenntnis, dass „Bilder keine Göttlichkeit haben“ und daher nichts dagegen spricht, ihnen Ehre zu erweisen, wird vom didaktischen Auftrag des Protestantismus kontrastiert.

Dazu gehöre dann auch, dass der Protestantismus der Kulturtechnik des Lesens so vehement zusprach, dass Schulgründungen die Folge waren – wie sie auch für Ostfriesland verbürgt sind. Dies im Zusammenhang mit der Technik des Buchdrucks sorgte für Bibelübersetzungen, denn dem Latein, dass die Jesuiten als Mittel der Bildung nutzen und das ihnen den europaweiten Gelehrtenaustausch ermöglichte, setzten die Protestanten auf die Sprache des Volkes. Diesen sprach Maurer in der „konkurrierenden Bildungsoffensive“ den allgemeinen Kulturvorsprung zu.

Seit dem 18. Jahrhundert autonomisiere sich die Kunst von ihrer kirchlichen Bindung und sei frei für eine metaphysische Dimension – wie sie sich etwa in den Bildern Caspar David Friedrichs zeige. Seither gebe es eine künstlerische Vielfalt, die mit den neuen Medien eine geradezu explosive Entwicklung genommen habe.

Eingangs des Vortrags hatte Kirchenpräsidentin Dr. Susanne Bei der Wieden gestanden, dass sie mit der Tagungsthematik „Wort und Bild“ ganz andere, poetische Erfahrungen gemacht habe. Die Ausgangsbasis einer von existenziellen Sorgen belegten schlaflosen Nacht kontrastierte sie mit der lindernden Betrachtung des nächtlichen Firmamentes und der Erkenntnis des Schöpfergottes als eines Künstlers.

Oberbürgermeister Tim Kruithoff dagegen breitete genussvoll das Gespräch mit einem katholischen Geistlichen aus, der ihn nach einer Feier mit schier endlos sich hinziehenden Grußworten trocken belehrte: „Wir haben das Fegefeuer, ihr die Grußworte!“


Ina Wagner