Sixtus ab Hemminga: Astrologiae ratione et experientia refutatae liber:

Continens brevem quandam apodixin de incertitudine et vanitate astrologica et particularium praedicationum exemplaria triginta. Antwerpen 1583.

„Die Sterne lügen nicht“, heißt es. Aber reden sie denn überhaupt? Dass sie auf eine bestimmte Art und Weise etwas kundtun, behaupten jedenfalls Astrologen. Die Kunst der Sterndeutung besteht ihrem eigenen Anspruch nach darin, die stummen Himmelskörper zum Sprechen zu bringen.

Das Buch, das diesmal vorgestellt wird, hat diesen Anspruch vor nunmehr knapp 450 Jahren gründlich kritisiert. „Die Sterndeutung – widerlegt auf Grund von Vernunft und Erfahrung“ lautet in Übersetzung der Titel des lateinischen Werkes, das seit kurzer Zeit zu den Beständen der Johannes a Lasco Bibliothek gehört: „Astrologiae ratione et experientia refutatae liber“. Verfasst hat es der aus Ostfriesland stammende Arzt Sixtus ab Hemminga (1533–1586), und gedruckt wurde es 1583 in einem der bedeutendsten Verlagshäuser der damaligen Zeit, bei Christoph Plantin in Antwerpen. Gewidmet war es François-Hercule de Valois, einem französischen Prinzen, der seit 1580 als – weitgehend glückloser – Herrscher der Niederlande amtierte und gerade 1583 Antwerpen gewaltsam eingenommen hatte. Wenn denn die Sterne das Schicksal der Menschen bestimmen, so war François-Hercule nicht gerade als ihr Günstling zu betrachten. Der erfolglose Regent starb 1584 mit noch nicht einmal 30 Jahren. Ob Hemminga sich für dessen Horoskop, also die Stellung der Planeten zum Zeitpunkt der Geburt, interessiert hat, wissen wir nicht.

Was ihn hingegen interessierte, waren 30 Horoskope von den Großen seiner Zeit: von Kaiser Karl V., der englischen Königin Elisabeth, um deren Hand François-Hercule einst angehalten hatte, von dessen Vater und dessen Bruder, verschiedenen europäischen Herrschern, und schließlich auch von sich selbst. Der Sinn der Deutung der Konstellation zum Zeitpunkt der Geburt bestand gewöhnlich darin, die betreffende Person über Chancen und Gefahren in seinem Leben aufzuklären, zur Vorsicht zu mahnen oder die Tatkraft anzuspornen. Im Rückblick erschien an Hand des Horoskops manches erklärbar, was sonst rätselhaft geblieben wäre. Gewiss, solche Prognosen besaßen keinerlei belastbare Grundlage, und sie waren so zuverlässig wie heute oft die Prognosen von politischen und Finanzexperten. Manchmal trat ein, was in Aussicht gestellt worden war, häufig auch nicht; so mancher, dem man Erfolg und ein langes Leben verheißen hatte, starb, vom Pech verfolgt, in jungen Jahren. Astrologen und ihrem Publikum war im Grunde klar, dass die Sterndeutung unsicher war, doch die Andeutung von möglichen Chancen, noch mehr aber das bedeutungsschwere Raunen von Bedrohungen verschaffte ein Gefühl gewisser Sicherheit. Und schließlich: Wen kümmert nach einiger Zeit noch die Ankündigung eines Unglücks, das nicht eingetroffen ist?

Hemminga, in den astrologischen Techniken gut bewandert, hielt sie für unverschämten Schwindel. Doch er beließ es nicht beim allgemeinen Wettern gegen den Aberglauben der Sterndeutung. Vielmehr studierte er eingehend Horoskope, verglich das, was man als Astrologe daraus schließen konnte, damit, was tatsächlich geschehen war, und stellte haarsträubende Abweichungen fest. Dass ein Feldherr diese Schlacht gewonnen, jene aber verloren hatte, dass dieser alt und resigniert, jener aber in der Blüte seiner Jahre von der Bühne des Lebens abgetreten war, hatte mit der Stellung der Gestirne offensichtlich nichts zu tun. Eines wusste Hemminga, der natürlich sein eigenes Horoskop besonders aufmerksam betrachtete und mit seinem Leben vergleichen konnte, ganz genau: An ihm hatte die ganze Zukunftsdeuterei auf ganzer Linie versagt. Dass er überhaupt noch am Leben war, zeigte das, denn laut Horoskop hätte er schon mit 11 Jahren sterben müssen. Die Planeten hatten einen Melancholiker erwarten lassen, aber Hemminga war, wie er (allem Anschein nach zu Recht) zugab, seinem Temperament nach eher ein aufbrausender Choleriker. Und dass ihm die Planeten eine nur mittelmäßige Intelligenz zugemessen hatten, dürfte ihn verärgert haben – jedenfalls gab er zu verstehen, dass es nicht zutraf.

Sixtus ab Hemmingas Buch gehört zu den Werken, die in einer Zeit, in der die Sterndeutung so gefragt war wie niemals zuvor, die Haltlosigkeit ihrer Erkenntnisansprüche mit ihren eigenen Mitteln darlegten. Es lehrte die Einsicht, dass das, was die Gestirne zu sagen haben, mit unserem persönlichen Schicksal nichts zu tun hat.

 

Das Horoskop des Autors Sixtus ab Hemminga, S. 226

Das Bild zeigt das zwölfteilige Geburtshoroskop, datiert auf den 6. Februar 1533, 13:06 Uhr (Quadrat Mitte). In den umschließenden Dreiecken sind die sog. "Häuser" mit den entsprechenden Planetenständen zum Zeitpunkt der Geburt dargestellt, unterhalb des Horoskopschema sind die genauen Positionen von Sonne und Mond festgehalten. Diese Aufteilung der Planeten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort diente dem Astrologen als Ausgangsmaterial für seine Deutung, wobei z.B. Entfernungen der Planeten zueinander, aber auch ihre Stellung in einem der zwölf Häuser maßgeblich waren. 

Dr. Michael Weichenhan

 

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