Weihnachten mit Vergil

 

 

 

Vergil: Publii Vergilii Maronis Latinorum poetarum principis, Bucolica, Georgica, et Aeneis, doctissimis Seruij et Aelij Donati, excellentium grammaticorum commentarijs illustrata, multoque nunc quam antehac unquam castigatus excusa. Basel 1544

Sign.: Philol. 2° 0026 M

 

 

 

 

 

Eduard Norden: Die Geburt des Kindes. Geschichte einer religiösen Idee. Darmstadt 41969

Sign.: 17.94.10.110

 

 

 

 

 

Zwei Bücher aus sehr unterschiedlichen Zeiten werden diesmal präsentiert: Eine Ausgabe des römischen Dichters Vergil aus dem Jahre 1544 und eine zuerst 1924 erschienene Monographie. Deren Titel, „Die Geburt des Kindes“, lässt bereits ahnen, warum es für den Dezember ausgewählt wurde. Verfasst hat sie der 1868 in Emden geborene Altphilologe Eduard Norden. Als er die religionshistorische Studie publizierte, zählte er, der bereits mit 26 Jahren ordentlicher Professor geworden war und seit 1906 an der Berliner Universität lehrte, zu den bedeutendsten Gelehrten Deutschlands. Das freilich hat nicht verhindert, dass Norden, der sich 1885 hatte taufen lassen, seiner jüdischen Abstammung wegen seit 1933 zahlreichen Demütigungen ausgesetzt und seiner Ämter enthoben wurde; 1938 emigrierte er in die Schweiz, wo er 1941 starb.

Worum geht es in „Die Geburt des Kindes“? In dem noch immer fesselnden Werk unternimmt es Norden, das religiöse Umfeld dessen zu rekonstruieren, was uns als „Weihnachtsgeschichte“ bekannt ist, die Erzählungen von der Geburt eines Kindes, über die der Himmel jubelt und von der eine Veränderung der Verhältnisse auf Erden erhofft wird. Den Ausgangspunkt bilden für den klassischen Philologen aber nicht die Geschichten der Bibel, sondern ein Gedicht des Vergil (70 bis 19 v. Chr.), die vierte Ekloge, die um 40 v. Chr. verfasst worden ist. In ihr kündigt der römische Dichter die Geburt eines Kindes an, mit dem ein neues Zeitalter beginnen werde, ein goldenes Zeitalter, eine Epoche des Überflusses und des Friedens. Anders als die meisten Philologen versteht Norden das Gedicht des Vergil nicht als eine Weissagung, die sich auf ein konkretes Kind bezieht, sondern als Ausdruck von Erwartungen und Hoffnungen, die sich im ersten Jahrhundert an verschiedenen Stellen in der antiken Welt ausgeprägt haben. Auch das hellenisierte Judentum hat an ihnen Teil, und die idyllischen Szenen, die das Lukasevangelium malt, führen uns an jedem Weihnachten zurück zu den Erwartungen, die unter Juden und Heiden vor zwei Jahrtausenden Gestalt gewonnen hatten.

Nicht nur wegen der vierten Ekloge hat Vergil im lateinischen Mittelalter und darüber hinaus gewirkt wie kein zweiter Dichter  – als den „Fürsten der lateinischen Poeten“ bezeichnet ihn der Titel unserer Ausgabe. An ihm lernte man seit dem ersten bis ins ausgehende 17. Jahrhundert den edlen und lebendigen Stil, die gute Sprache und den künstlerischen Ausdruck. Schier unzählige Ausgaben seiner Werke sind gedruckt worden, häufig, wie in unserem Fall, versehen mit Kommentaren antiker Gelehrter. Als Norden sich am Ende des 19. Jahrhunderts intensiv mit Vergil zu beschäftigen begann, war dessen große Zeit vorbei und er kaum mehr als Gegenstand akademischer Interessen.

 

Vielleicht vermag eine Lektüre von Nordens immens gelehrter Studie aber die Neugier auf die Welt des Vergil zu wecken. Ganz gewiss würde sie lehren, dass sie uns weniger fremd ist als man manchmal anzunehmen geneigt ist. Als Anregung schaue man in die folgende Übersetzung.

Dr. Michael Weichenhan

 


 

Vergil, 4. Ekloge (Anfang)

 

Auf nun, Musen Siziliens, lasst uns Erhabneres singen!
Denn nicht jeden erfreun Tamarisken und niederes Strauchwerk.
Singen wir Lieder dem Hain, so sei er würdig des Konsuls.

 

Schon ist erfüllet die Zeit nach dem Liede von Cumae,
Und es ersteht ein großer Lauf neuer Geschlechter.
Schon kehrt wieder die Jungfrau, kehrt wieder die Herrschaft Saturns.
Schon steigt vom hohen Himmel ein neues Geschlecht hinab.
Du, sei dem Kinde, mit dem bald das eiserne Weltalter endet,
Goldene Zeit aufleuchtet über der ganzen Erde,
Du, reine Lucina, sei hold ihm. Schon herrscht ja Apoll.


Ja, mit dir beginnt er, o Pollio, Konsul, der Glanz dieser Zeit,
Monde gewaltiger Größe werden dahingehen.
Spuren unserer gräulichen Taten werden vergehen.
Atmen werden die Länder, befreit von ewiger Angst.


Jener wird göttliches Leben empfahn; Heroen vereint mit den
Göttern wird er erblicken und selbst sich zu ihnen gesellen
Und die Welt mit der Tugend der Väter befrieden.
Dir aber, Knabe, spendet zuerst das Erdreich ohne den Pflug
Kleine Gaben in Fülle, schweifenden Efeu, dazu auch
duftendes Baccar, heiteren Akanthus und Kolokasien.
Ziegen werden von selbst die strotzenden Euter zum Stalle
heimwärts tragen, Rinder nicht scheuen gewaltige Löwen.
Liebliche Blumen werden dir wachsen zur Wiege.
Sterben wird die Schlange, sterben das tückische Giftkraut,
Köstlicher Balsam Assyriens wird überall sprießen.


Aber, wirst einst du lesen vom Ruhme der Helden, den
Taten des Vaters und erkennen das Wesen der Tugend,
Dann wird das Feld von weichen Ähren vergoldet,
Rot am wildernden Dornbusch schwellen die Traube,
Honig wird triefen aus hartstämmigen Eichen.
Einige Spuren uralter Tücke werden noch bleiben:
Meere mit Schiffen zu queren, Städte in Mauern zu fassen,
Furchen in die Haut der Erde zu schneiden.
Dann wird kommen ein anderer Tiphys, andere Helden wird
Tragen die Argos, und andere Kriege beginnen,
Und der große Achill wird wieder gen Troia gesendet.
 

Dann aber, hat dich das Alter zum Manne gefestigt,
Weicht selbst der Schiffer vom Meere; Waren tauschet nicht mehr die
Planke von Fichte: jegliches Land wird alles erzeugen.
Nicht mehr duldet der Boden den Karst, nicht Hippen der Weinstock,
Dann erlöset der kräftige Pflüger die Stiere vom Joche,
Nicht mehr lernet die Wolle zu lügen alle die Farben,
Selber wird wechseln der Widder die Farbʼ auf den Wiesen,
Bald in liebliches Rot, bald in gelblichen Safran;
Purpur wird kleiden die weidenden Lämmer.


Lass solche Zeitalter kommen, raunen die Parzen,
Fügsam dem göttlichen Schicksal, im Chor.
Kommt, herrliche Ehren – die Zeit ist erfüllt.
Siehe, ein Sprössling, den Göttern so teuer, Juppiters großer Sohn!
Und wie freudig erbebet des Weltalls lastende Wölbung,
Länder umher und Ströme des Meeres und die Tiefen des Himmels!
Sieh doch den Jubel über den Aufgang glücklicher Zeiten.

(Übersetzung: Dr.  Michael Weichenhan)

 

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